Ich lächelte ihn schief an.
Charlie sagte:»Essen Sie mit mir zu Abend.«
«Heute, meinen Sie?«
Er nickte.
Ich biß mir auf den Daumen und dachte darüber nach.»Also gut.«
«Schön. Sagen wir um acht bei Parkes, am Beauchamp Place.«
«In Ordnung.«
Die Beziehung zwischen Charlie und mir bewegte sich seit Jahren in dem Grenzbereich zwischen Bekanntschaft und echter Freundschaft, wo man Zufallsbegegnungen schätzt und andere selten herbeiführt. An diesem Tag hatte er mich zum ersten Mal in seine Loge eingeladen. Wenn er mich jetzt auch noch zum Abendessen einlud, betraten wir grundsätzlich neues Terrain.
Ich nahm zwar an, daß er meine Geistesabwesenheit falsch ausgelegt hatte, aber ich mochte ihn ja, und kein vernünftiger Mensch hätte ein Dinner bei Parkes ausgeschlagen. Ich hoffte nur, er würde den Abend nicht als vergeudet ansehen.
Charlies Gäste brachen langsam auf, um für das nächste Rennen zu wetten. Ich sah in ein Rennprogramm, das noch auf dem Tisch lag, und begriff sofort, wieso ich Charlies Aufmerksamkeit erregt hatte: Zwei großartige Hürdenpferde traten gegeneinander an, und die Zeitungen sprachen seit Tagen von nichts anderem.
Ich sah Charlie an. Seine Augen funkelten belustigt.
«Wer also?«fragte er.
«Crepitas.«
«Wetten Sie?«
Ich nickte.»Habe ich schon. Am Toto.«
Er grunzte.»Mir sind die Buchmacher lieber. Ich weiß gern die Quoten, bevor ich mein Geld ausgebe. «Und für ihn als Investmentbanker war das auch durchaus konsequent.
«Nur kriegt mich jetzt keiner von hier weg.«
«Wir können uns meine Wette teilen«, sagte ich.
«Was haben Sie gesetzt?«fragte er vorsichtig.
«Zehn Pfund.«
Er lachte.»Man munkelt, daß Sie's nicht unter drei Nullen machen.«
«Das ist ein Insiderscherz«, sagte ich,»unter Technikern.«
«Was heißt das?«
«Ich benutze manchmal eine Präzisionsdrehbank. Die kann man auf drei Nullen genau einstellen — null Komma null null null eins. Ein Zehntausendstel Zoll, da ist für mich die Grenze. Kleiner geht's nicht.«
Er lachte leise.»Und Sie setzen nicht schon mal tausend auf ein Pferd?«
«Oh, auch das habe ich schon gemacht.«
Diesmal entging ihm nicht der trockene Unterton. Ich stand beiläufig auf und hielt auf die gläserne Balkontür zu.
«Sie gehen an den Start«, sagte ich.
Wortlos kam er mit hinaus, und wir schauten zu, wie Crepitas und Waterboy, die beiden von ihren Jockeys kaum zu bändigenden Stars, an der Tribüne vorbeitänzelten.
Charlie war etwas kleiner als ich, wesentlich korpulenter und an die zwanzig Jahre älter. Er ging immer perfekt gekleidet, und niemand, der seine weiche Stimme hörte, hätte vermutet, daß sein Vater Fernfahrer gewesen war. Charlie hatte seine Herkunft nie verleugnet. Im Gegenteil, er war zu Recht stolz auf sie. Er hatte als Einheimischer unter dem alten Erziehungssystem ein Stipendium für Eton bekommen und sich mit dem Lehrstoff zugleich die Sprechweise und die Umfangsformen angeeignet. Sein Verstand hatte ihn von jeher durchs Leben getragen wie die Welle den Surfer, und wahrscheinlich war es nur eine besonders glückliche Fügung, daß er in Sichtweite der großen Schule geboren worden war.
Die anderen Gäste kamen jetzt auch auf den Balkon und beanspruchten seine Aufmerksamkeit. Ich kannte die meisten vom Sehen, ein paar vom Hörensagen, keinen näher. Für den Anlaß genügte es, mehr mußte nicht sein.
Die Dame mit dem grünen Hut legte mir eine grün behandschuhte Hand auf den Arm.»Waterboy sieht fabelhaft aus, finden Sie nicht?«
«Fabelhaft«, stimmte ich zu.
Sie strahlte mich kurzsichtig hinter dicken Brillengläsern an.»Könnten Sie mir sagen, was im Ring geboten wird?«
«Natürlich.«
Ich hob mein Fernglas und schaute auf die Tafeln, die vor einem Tribünenabschnitt zu unserer Rechten aufgestellt waren.»Soweit ich sehe, steht Waterboy 20 zu 10 und
Crepitas 22 zu 10.«
«Vielen Dank«, sagte die grüne Dame freundlich.
Ich schwenkte das Fernglas ein wenig, um Ganser Mays einzufangen — er stand etwa in der Mitte der Buchmacherreihe vor der Absperrung zur Clubtribüne, ein dünner, mittelgroßer Mann mit einer langen, spitzen Nase, stahlgefaßter Brille und dem Gehabe eines High-Church-Geistlichen. Ich hatte ihn nie besonders gemocht und mich mit ihm höchstens mal über das Wetter unterhalten, aber ich hatte ihm restlos vertraut, und das war dumm gewesen.
Er beugte sich über die Absperrung und redete ernst mit jemand auf der Clubtribüne, der durch eine Gruppe Zuschauer verdeckt wurde. Dann zogen die Leute weiter, und zum Vorschein kam Jody.
Die Wut war Jodys Körperhaltung deutlich anzumerken, und er sprach mit heftig arbeitendem Unterkiefer. Ganser Mays, sehr viel gefaßter, schien bemüht, ihn zu beschwichtigen, und als Jody schließlich wütend abdampfte, blickte er eher nachdenklich als beunruhigt hinter ihm her.
Ganser Mays hatte in seiner Buchmacherlaufbahn den Punkt erreicht, wo herausragender persönlicher Erfolg sich messen ließ am Ansehen eines gutgehenden Unternehmens. Für die Wetter war er zur Institution geworden. Ab Glasgow südwärts trug eine ständig wachsende Zahl von Wettbüros seinen Namen, und vor kurzem hatte er bekanntgegeben, daß er in der nächsten Flachsaison ein Fliegerrennen für Dreijährige sponsern würde.
Bei großen Rennen stand er immer noch selbst an den Rails, um mit seinen zahlungskräftigeren Kunden zu plaudern und sie bei der Stange zu halten. Seinen großen Haifischrachen aufzureißen und immer neue kleine Fische in sich hineinzuschlingen.
Schmerzlich berührt drehte ich das Fernglas weg. Ich würde nie genau erfahren, um wieviel Geld mich Jody und Ganser Mays gebracht hatten, aber von meiner Selbstachtung hatten sie mir nur Reste gelassen.
Das Rennen begann, die Superhürdler liefen sich die Seele aus dem Leib, und Crepitas schlug Waterboy mit einer Länge. Am Totalisator würde ich dafür ein paar Pfund bekommen und für Energise eine ganze Menge, aber die beiden Wettgewinne des Nachmittags konnten meine Schwermut nicht verscheuchen. Ich drückte mich vor Tee und Kuchen, dankte Charlie für den Lunch, verabschiedete mich und ging wieder hinunter zur Waage in der Hoffnung auf einen rettenden Einfall in punkto Trainerwahl.
Ich hörte eilige Schritte hinter mir, und eine Hand packte mich am Arm.
«Ein Glück, daß ich Sie finde.«
Er war außer Atem und sah besorgt aus. Der junge Spediteur, der Energise mitnehmen sollte.
«Was ist los? Eine Panne?«
«Nein… aber Sie sagten doch, Ihr Pferd sei fast schwarz, nicht wahr? Hab ich das richtig verstanden?«
Der Schreck ließ meine Stimme scharf werden.»Ist was mit ihm?«
«Nein… das nicht, nein… Nur, das Pferd, das Mr. Leeds dagelassen hat, ist eine Fuchsstute.«
Ich ging mit ihm zu den Stallungen. Der Wächter freute sich immer noch, daß etwas verkehrt lief.
«Ganz recht«, lächelte er befriedigt.»Leeds hat vor 'ner Viertelstunde ein Pferd mit einem Miettransporter abgeholt. Sein Haustransporter hätte einen Blechschaden, sagte er, und Energise bleibe auf Wunsch des Besitzers hier.«
«Das Pferd, das er dagelassen hat, ist nicht Energise«, sagte ich.
«Dafür kann ich ja wohl nichts, oder?«meinte er spöttisch.
Ich wandte mich an den jungen Mann.»Fuchsstute mit großer Blesse?«
Er nickte.
«Das ist Asphodel. Sie ist heute im ersten Lauf gestartet.
Jody Leeds trainiert sie. Sie gehört mir nicht.«
«Was mach ich denn jetzt mit ihr?«
«Lassen Sie sie hier«, sagte ich.»Es tut mir leid. Schicken Sie mir eine Rechnung für die Stornierung.«