»Sie beunruhigen mich mit ihren Besorgnissen, Herr - Herr - wie nenne ich Sie eigentlich?«
»Mein Name ist Johnson.«
»Was veranlaßt Sie zu dieser Vorsicht?«
»Wie ich Ihnen schon gestern abend sagte, die auffällige Unruhe unter den Indianern. Das schwärmt wie ein Bienenkorb, und gerät man zufällig zwischen den Schwarm, ist Gefahr, daß man den Stachel zu fühlen bekommt. Ich möchte Ihnen vorschlagen, mit zu meiner Hütte zu gehen, dort kann anstandslos Rauch emporsteigen.«
»Und der Indianer?«
»Er ist davon verständigt, hält es auch für das ratsamste und wird dort wieder zu Ihnen stoßen.«
Edgar erwog einen Augenblick den Vorschlag des fremden Mannes, doch die ehrliche, zuversichtliche Art desselben, und der Schluß, daß Athoree sie nicht schlafend in der Gewalt desselben gelassen haben würde, wenn er etwas von ihm für ihre Sicherheit befürchtete, ließen ihn antworten: »Nun wohlan, Mister Johnson, so will ich Ihrem Rate folgen. Brechen wir auf.«
Da der Graf die Bärendecke ungern zurückgelassen hätte, hatte sie Michael auf seine starken Schultern geladen, was ihm freilich die Führung des Tieres nicht erleichterte.
Nachdem Johnson allen strenges Stillschweigen während des Marsches anempfohlen hatte, schritt er voran und führte sie in den Bach, in dessen seichtem Wasser er sie wohl zwei Meilen aufwärts gehen ließ. Dann schlug er den Weg quer durch den Wald ein.
Während sie ruhig unter den Bäumen einherzogen, einer hinter dem andern gehend, Johnson voran, scheute plötzlich das Tier, welches Michael im Nachtrab einherführte, vor einem an ihrem Wege liegenden Haufen irr durcheinander liegender Baumäste. Trotz des streng anbefohlenen Stillschweigens stieß der Sohn der Smaragdinsel einen lauten Fluch aus und machte Miene, das widerspenstige Tier seinen Stock fühlen zu lassen. Der Kampf zwischen ihm und dem Tiere, welches angstvoll und schaudernd die Luft einzog, wurde so heftig, daß er die Aufmerksamkeit der andern erregte und Johnson zurückging, um dem verzweifelnden Irländer beizustehen. Kaum bemerkte er das auffällige Gebaren des Tieres, als er dem Michael befahl, dasselbe zurück- und in weiterer Entfernung an dem Haufen, vor dem es scheute, vorbeizuführen. Das tat denn auch der Irländer. Zum Grafen, der mit Heinrich ebenfalls herbeigekommen war, sagte Johnson: »Es sollte mich nicht wundern, wenn wir unter diesen Aesten seltsame Dinge fänden. Wir wollen doch einmal nachsehen, in diesen Wäldern ist keine Erscheinung unbedeutend zur jetzigen Zeit. Er machte sich daran, die Aeste zu beseitigen, welche mit einem starken Bowiemesser von den nächsten Bäumen und Büschen abgehauen zu sein schienen, und Heinrich half ihm dabei.
Kaum waren einige der belaubten Aeste hinweggeräumt, als Heinrich mit kurzem Ausruf erschreckt zurücktrat.
»Was gibt's, Heinrich?« fragte Graf Edgar und ging näher.
»Ein toter Mann, Herr Graf.«
Johnson hatte noch einige Aeste entfernt, und dem Auge zeigte sich jetzt deutlich der Leichnam eines Mannes, der auf dem Gesichte lag. [161]
»Was ist das,« äußerte Johnson. »Ein Mord? Und so nahe meiner Hütte?«
Der Tote trug die im Lande gewöhnliche Kleidung, das Hinterhaupt war mit geronnenem Blute bedeckt.
Büchse und Messer lagen neben ihm.
Aufmerksam betrachtete Johnson den dahingestreckten Körper.
»Der Mann ist von hinten meuchlerisch in den Kopf geschossen worden und zwar von einem Weißen.«
»Woraus schließen Sie das?«
»Nie würde ein Indianer den Leichnam so ungeschickt verborgen haben, auch hätte er ihm aller Wahrscheinlichkeit nach den Skalp genommen; nein, das hat einer unsrer Farbe getan.«
Man wandte den Leichnam um, und mit großem Erstaunen erkannte der Graf die Züge des Gesellen aus Grovers Blockhause, den er noch jüngst in Lansing bei Myers gesehen hatte, aller Wahrscheinlichkeit nach der berüchtigte Mörder Wilfers. Zweifel konnte nicht existieren, der Ermordete war der Gefährte von Morris und Iltis.
Die Kleidung war aufgerissen und alle Taschen herausgezogen.
Das Gesicht hatte einen ruhigen, friedlichen Ausdruck, als ob der Tod ganz plötzlich eingetreten sei.
»Hier liegt ein Raubmord vor, das sieht man deutlich an den durchsuchten Kleidern. Büchse, Pulverhorn, Messer, alles ist da, er muß also vielleicht Geld bei sich geführt haben. Aber wie in aller Welt kommt der Mann mit seinem Mörder hierher?«
Der Graf teilte ihm jetzt mit, wen er in dem Ermordeten erkenne.
»Wenn das so ist, so ist den Burschen im Süden überall der Weg verlegt worden und sie haben sich hierher gewendet, um mit Hilfe der Indianer nach Kanada zu entkommen. Dann hat der andre, dessen sie erwähnen, den Mord vollführt, und ihn von hinten niedergeschossen.«
»Ihre Vermutung dürfte um so mehr Wahrscheinlichkeit für sich haben, als der Ermordete in Lansing die Summe von tausend Dollar betrügerischerweise erhoben hatte.«
»Es ist kein Zweifel, sein Genosse hat den hier erschossen, um ihn zu berauben. Es ist beunruhigend, einen solchen Gesellen in der Nähe zu wissen. Schon vor Jahresfrist trieben sich einige solcher ausgestoßener Vagabunden hier herum. Schlechte Nachbarschaft. Lassen Sie uns eilen, denn der Bube könnte auch meinem Heim und meiner alten Sumach einen Besuch abgestattet haben, ich bin drei Tage von Hause abwesend.« [162]
Nachdem sie den Leichnam mit einigen Aesten bedeckt hatten, traten sie von neuem den Marsch in der bisherigen Ordnung an, bis sie auf ein kleines Gewässer trafen, dessen Lauf sie nun stromab folgten. Nach einiger Zeit, es mochten seit dem Aufbruch wohl drei Stunden vergangen sein, erblickten sie das Shanty Johnsons, aus dessen Schornstein leichter Rauch emporwirbelte.
Die Hütte, aus rohen Balken errichtet, ruhte einsam hier im Urwald, auf einer kleinen Erhöhung, deren Fuß der Bach bespülte. Ein kleines Stück beackerter Boden, auf dem sich Mais, Korn und etwas Gemüse dem Auge darboten, zeugte von fleißiger Menschenhand.
»Hier ist meine Behausung,« sagte Johnson, »Ihr seid willkommen, Fremder. Jetzt bin ich beruhigt, da ich sehe, daß meine alte Sumach am Herde tätig ist.«
Während sie auf die so friedlich liegende Hütte zuschritten, erschien in der Tür ein altes Indianerweib und blickte nach ihnen hin.
Johnson rief ihr einige indianische Worte zu, die sie in gleicher Sprache erwiderte.
»Es ist Sumach, meine Haushälterin, Fremder. Ich habe sie vor fast drei Jahren verschmachtend im Walde gefunden, weiter oben, an der Küste, und sie mit mir genommen. Seitdem kocht sie für mich, flickt meine Schuhe und Kleider und arbeitet im Felde. Sie hat bis jetzt keine Lust gezeigt, zu ihren Landsleuten zurückzukehren.«
Die Indianerin war keineswegs eine besonders angenehme Erscheinung. Zwar trug sie ein reinliches Kalikokleid, und auch das Tuch, welches sie um den Kopf gebunden hatte, unter welchem lange Strähnen grauen Haares niederfielen, war sauber, aber das verwelkte Gesicht mit seinen tausend Falten, die entzündeten Augenränder, der fast zahnlose Mund machte die Erscheinung abschreckend, besonders beim ersten Anblick.
»Ja, eine Schönheit ist Frau Sumach nicht, Herr,« sagte Johnson zum Grafen, da er den Eindruck wahrnahm, den das Aeußere der alten Indianerin auf ihn machte, »aber ich bin an sie gewöhnt, und sie sorgt für mich mit einer rührenden Treue.«
Das Maultier wurde hierauf von seiner Last befreit und auf Johnsons Rat im Gebüsch, hinter dem Hause angebunden.
»Es ist zwar selten, daß einer von den roten Burschen hier vorbeistreift, denn sie meiden die Behausung des >Toten Mannes< wie ich Euch schon sagte, aber es könnte doch einer des Weges kommen und es ist nicht nötig, daß sie zu frühzeitig von Euch erfahren.«
Auf seine Einladung betraten sie die Blockhütte, welche sich [163] geräumiger erwies, als es von außen den Anschein hatte. Nach der Rückseite zu zeigte sich ein roh gefertigter Herd, der aus Feldsteinen und Lehmerde errichtet war, mit einem Abzug für den Rauch, der, obgleich aus Holz bestehend, doch keine Feuersgefahr fürchten ließ, da er stark mit der lehmigen Erde, wie sie das Ufer des Baches bot, gefüttert war.