»Von jenem Tage an durfte der Name meiner Schwester, an der ich mit aller Zärtlichkeit hing, vor den Ohren meines Vaters nicht mehr genannt werden.
»Auf verschiedenen Wegen gelangten von Zeit zu Zeit Mitteilungen zu uns. Walther hatte sich in Ohio angesiedelt und bewirtschaftete eine größere Farm. Die Nachrichten wurden spärlicher, immer spärlicher, und seit fünf Jahren ist keine Kunde mehr zu uns gekommen. Es kam der Krieg gegen Frankreich, ich wurde schwer verwundet, war dem Tode nahe, meine Mutter war schon längst von uns geschieden, und da wachte endlich in meinem greisen Vater, dem mit meinem Hinscheiden ein einsamer, gramvoller Lebensabend drohte, die alte Zärtlichkeit gegen meine Schwester wieder auf, und während ich noch auf meinem Schmerzenslager ruhte, sagte der halbgebrochene alte Mann eines Tages leise zu mir: >Wo nur Luise sein mag?< und langsam rannen ihm die Tränen über die Wangen.
»>Gott segne diese Stunde,< erwiderte ich ihm freudig erregt, als ich die starre Rinde, welche sein Herz umlagerte, endlich gebrochen sah, >das macht mich wieder gesund, Vater,< und von der Zeit an begann ich von der schweren Wunde wirklich rasch zu genesen. Sofort wurden nun alle Mittel in Bewegung gesetzt, Kunde von den für uns Verschollenen zu erlangen. Ihr Aufenthalt in Ohio wurde festgestellt, aber von dort hatte Walther sich hinweg begeben, nachdem er seine Farm verkauft hatte, und es war trotz aller angewandten Mittel nicht zu erfahren, wohin. Als ich vollständig genesen war, machte ich mich auf, die Schwester zu suchen. In Ohio erfuhr ich endlich, daß Walther nach harten pekuniären Verlusten sich nach Michigan gewandt habe. Ich folgte hierher, forschte in Lansing, in Detroit vergeblich nach Walther, man wußte nichts von ihm, auch in den Grundbüchern war er nicht verzeichnet. So bin ich, fortwährend suchend, hierher an den Muskegon gelangt. Und nun helft mir, Grover, die Schwester zu finden. Die Liebe zu ihr ist im Vater mit voller Stärke erwacht und er kann nicht ruhig sterben, ehe er sein verstoßenes Kind wieder hat.«
Aufmerksam hatte Grover zugehört, als der junge Graf so sprach, und bedächtig entgegnete er: »Will Euch helfen, Mann, soweit ich kann. Steckt Eure Schwester im alten Mich, wollen wir sie finden, ist nicht aus der Welt hier. Wollen jetzt zu Baring reiten, wollen hören, was der meint. Ist's Euch recht?« [24]
»Tag und Nacht bin ich bereit, Grover.« Dieser gab seinem Jungen Befehl, die Pferde zu rüsten, und nach kurzer Frist saßen der Wirt, Graf Edgar und Heinrich im Sattel, die Büchsen vor sich, denn Grover hatte es nicht für rätlich erachtet, unbewaffnet zu reisen, und trabten unter seiner Führung in den Wald hinein.
Nach kaum zweistündigem scharfem Ritte erreichten sie Barings Farm, ein ausgedehntes Besitztum, welches sich ebenfalls den Muskegon entlang erstreckte.
Als sie sich dem Hause näherten, welches nach Landesart aus rohen Holzblöcken aufgeführt war, aber doch schon die Spuren von verschönerndem Luxus zeigte, trat ihnen der Besitzer, ein schon weißhaariger, aber kräftig ausschauender Mann entgegen. Kaum erkannte er Grover, als er ins Haus hinein schrie: »Holla, Mary, deck den Tisch, Bill Grover kommt, laß tafeln, Mary, kenne den Mann, laß tafeln!« und dann herzhaft lachte.
»Kennst den Bill Grover, alter Joe,« lachte dieser auch; »bringt immer einen Wolfshunger mit.« Damit sprang er vom Pferde und schüttelte Baring kräftig die Hand. »Habe dich lange nicht gesehen, Bill,« sagte Baring, »ist eine Freude für mich, in dein ehrliches Gesicht zu blicken. Deine Lady und deine Mädchen wohl, he?«
»Alles beim Rechten, Joe. Habe hier Fremde - sind meine Gäste, Leute von jenseits des Wassers.«
»Seid willkommen natürlich. Seid willkommen, Männer, bei Joe Baring, wen Bill Grover mit sich führt, ist bei Joe Baring willkommen.« Und er schüttelte den bereits Abgestiegenen die Hände, wobei er den Grafen nicht ohne einige Ueberraschung betrachtete. Die Pferde wurden befestigt und auf des Besitzers Einladung betraten sie das Haus, welches, umfangreicher als das Grovers, mehrere Gemächer im Erdgeschoß aufwies und noch in einem Oberstock einige Wohnräume enthielt.
In dem Zimmer, in welches sie geführt wurden, war man bereits emsig beschäftigt, einen Tisch zu decken.
»Meine Lady ist mit den Mädchen auf Besuch bei Nachbar Tennyson, Bill, kann euch also nicht willkommen heißen, müßt mit dem alten Joe fürlieb nehmen. Doch nun setzt euch und langt zu, Männer, wird gern gegeben.«
Nach dem zum Erstaunen Barings von seiten seiner Gäste ungewöhnlich rasch beendeten Mahle sagte Grover: »Sind herüber gekommen, Joe, wollen deinen Rat haben.«
»Sollt ihn haben, Leute, so gut ich ihn geben kann, doch erst steckt euch Pfeifen an und nehmt einen Schluck Cherry - ist zu trinken, Bill.«
»Weiß schon, trinkst nichts Schlechtes.« Pfeifen wurden gebracht und die Gläser mit Wein gefüllt.
»Nun laß hören, Bill, womit kann ich euch dienen?«
»Siehst hier den Fremden, Joe, ist von jenseits des Wassers gekommen, eine Schwester hier zu suchen, sollst helfen, sie zu finden. Ist ein Deutscher, wirst es schon wahrgenommen haben; kennst fast alle Deutschen im Land, wirst hier helfen können.«
»Bin begierig, was da herauskommt. Sprich weiter,« sagte der Alte, den Grafen anschauend.
»Ist dir ein Farmer, ein Deutscher von Geburt, mit Namen Walther vorgekommen, Joe?«
Mit der Faust schlug dieser auf den Tisch: »Gott segne meine Augen, jetzt weiß ich, was mich so bekannt anmutete, jetzt weiß ich's, 's sind Lady Walthers Züge.«
»Ihr kanntet sie, Herr?« rief Edgar in hoher Aufregung.
»Tragt ihre Züge, Mann, - jetzt weiß ich's.«
»Um Gottes willen, quält mich nicht lange! Ich bin der Bruder. Wo ist sie, wo?«
Der alte Farmer strich sich mit der Hand über die Augen, dann legte er sie auf Edgars Arm und sagte: »Seid ruhig, Mann - faßt Euch. Seid ruhig, sollt alles erfahren, was ich weiß. Bin ganz erschüttert, wo mich Euer Gesicht an Lady Walther erinnert.«
»Lebt sie denn noch - lebt sie?«
»Das weiß nur Gott, Fremder - ich nicht,« sagte Baring sehr ernst.
Graf Edgar sank erbleichend in den Stuhl zurück.
»Seid der Bruder - seh's: Müßt's tragen wie ein Mann.«
»So laßt mich's hören,« sagte Edgar in einem Tone, der bittere Seelenqual verriet. Grover rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, während Heinrich, der, ob er gleich nicht verstand, was gesprochen wurde, wohl wußte, wovon die Rede war und aus dem Benehmen des Grafen leicht schloß, daß die Nachrichten des alten Farmers nicht günstig lauteten, ebenfalls in nicht geringer Aufregung war.
»Ist ein Glück, daß mein Weib nicht hier ist, stürzen ihr die hellen Tränen aus den Augen, wenn von Lady Walther gesprochen wird. Hatte sie sehr ins Herz geschlossen, die Alte.« Er bemerkte die sich steigernde Erregung des jungen Mannes und fuhr fort: »Will's kurz machen - sollt's rasch haben, Mann. Kam da vor vier Jahren der Walther ins Land mit Frau und einem kleinen Knaben, kam damals in meiner Nachbarschaft an. Wohne erst seit zwei Jahren hier, war dies hier meines Bruders Farm, die ich erbte, als er starb, lebte früher am Miamis. Kam der Walther von Ohio, kaufte Bill Spurings Farm, zehn Meilen von mir und begann zu wirtschaften. Ist ein eigen Ding mit der Landwirtschaft hier, muß anders betrieben werden als im alten Europa. War ein rechter Mann, der Walther, ein Gentleman, wollt's aber auf seine Weise betreiben, glaubte, er verstünde es besser - hatte immer Pläne und Projekte, die kosteten Geld und brachten nichts ein. Hatte eine Frau mitgebracht, hieß nur Lady Walther, bei Mann und Weib, paßte in den Wald wie eine Rose in einen Tannenstrauch, war schön und gut und fleißig. Liebten sie alle, die sie kannten, aber war keine Frau für den Hinterwald, war eine Lady, eine zarte Blume.«