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„Ist das der Name deines Gefährten?“

Jill hatte das Gefühl, Vitree Laväl wolle mit einer solchen Gegenfrage nur Zeit gewinnen, weil sie sich scheute, die Antwort auszusprechen. „Ist er verletzt?“ drängte Jill sie.

„Er ist tot“, sagte sie zögernd. „Ich habe Bescheid bekommen von den Krabbieren, daß er genauso wie du in einen Kokon gelegt worden ist. Auch dich hielt man schon für tot. Die Krabbieren dichten solche Kokons mit konservierendem Harz ab und machen sie damit schwimmfähig, um die darin Eingesponnenen, wie die Bräuche es bestimmen, auf dem Meer zu bestatten.“

„Gib mir noch mal was zu trinken“, krächzte er. Seine Zunge fühlte sich plötzlich pelzig an.

Sie drückte eine Frucht aus und ließ den bitteren Saft in seinen Mund tropfen.

„Kiabbieren also nennst du diese Chitiner. Sind sie Insekten, vielleicht Riesengrillen?“ wollte er nach einer Weile wissen, als er seine Stimme wieder unter Kontrolle hatte.

„Nein“, sagte sie. „Nein, ganz bestimmt nicht. Sie sind Primaten, mindestens Primaten oder auch schon auf einer höheren Entwicklungsstufe. Auf diesen Inseln stellen sie die beherrschende Art dar. Wie es anderswo damit bestellt ist, weiß ich nicht. Mag sein, daß sie aus einer Evolutionslinie stammen, die etwas mit Krustentieren zu tun hat. Ihre Knochenstruktur ist eine Kombination zwischen Außen- und Innenskelett. Aber auf diesem Planeten sind sie längst keine Tiere mehr, auch wenn es uns so scheinen mag.“

„Hast du mich vor ihnen hier im Dickicht versteckt?“

Die Antwort erübrigte sich, denn das Stengelgeflecht wurde von einem höckrigen Kopf durchstoßen, der knackende Nuschellaute von sich gab. Vitree Laväl antwortete mit ähnlichen Geräuschen, wenn auch mühsamer. Nach einigem Hin und Her dieser Verständigung verschwand der knubblige Chitinkopf.

„Ich bin also ein Gefangener“, schlußfolgerte Jill.

„Ja, sie bewachen dich.“

„Aber du, du bist keine Gefangene?“

„Ich weiß es nicht; ich habe noch nicht ausprobiert, was sie tun würden, wenn ich mich ohne ihre Zustimmung entferne. Jedenfalls akzeptierten sie es in der zurückliegenden Zeit, daß ich vorhanden bin, und behelligen mich nicht. Wahrscheinlich sind Menschen für sie ein Mysterium, eine Botschaft aus anderen Himmeln, die zu begreifende bemüht sind.“

Wenn sie ein unbekanntes Wesen wie den Menschen nicht einfach umbrachten und Vitree bisher frei umhergehen konnte, sprach das für die Krabbieren und deutete an, daß sie in ihren Handlungen moralischen Regeln folgten, ganz gleich, wie diese Moral aussah. „Dann bin ich für sie vielleicht auch eine Botschaft, und sie werden mir nicht noch mehr antun“, sagte ei“.

„Das ist nicht gewiß. Eure Landung auf dem Strand hat immerhin über fünfzig Prozent des Nachwuchses der Gierschnabler vernichtet“, betonte sie. „Wir vom Modul haben nichts zerstört.“

„Was, zum Teufel, sind Gierschnabler?“

„Die Verteidungswaffe der Krabbieren gegen ihre ärgsten Feinde, die Glitscher“, antwortete sie. „Sie brauchen sie, wenn sie auf das Meer zum Fischfang oder zur Tangernte fahren. Ohne Gierschnabler müßten die Krabbieren auf den wichtigsten Teil ihrer Ernährung verzichten. Sie sind ihrerseits die Verteidiger der Gierschnablerbrut gegen die Buschwackerer.“

„Aha“, murmelte Jill schwach. „Wie ich es mir dachte, als ich den Schaden sah. Es sind Brutanlagen.“ Er verzichtete darauf, Vitree auch noch danach zu fragen, was Buschwackerer waren, und konzentrierte sich auf Wesentliches. „Wo sind deine Gefährten aus dem Modul? Kannst du mir helfen, meinen Raumgleiter zu erreichen? Wie gefährlich sind die Chitiner?“

„Du meinst die Krabbieren? Langsam, langsam. Eine Frage nach der anderen. Auf jeden Fall hat man dir nicht den Schädel eingeschlagen. Helm und Schutzanzug haben das Schlimmste verhütet“, sagte sie. „Dafür bist du übersät mit Prellungen, Blutergüssen und Beulen.“

Sie träufelte ihm erneut bitteren Saft ein und schälte ihn anschließend aus dem Kokon. Dann öffnete sie seine Kombination, massierte ihn und brachte so seinen Blutkreislauf wieder auf Touren. Der Saft hatte eine schmerzstillende Wirkung, denn das Dröhnen im Kopf und das Stechen in den Prellungen ließen deutlich nach. „Warum ist Leo tot? Ihn hätten Helm und Anzug doch auch schützen müssen so wie mich.“

„Sein Tornister riß ab, und das Sicherheitsventil wurde ihm zum Verhängnis. Niemand hat rechtzeitig seinen Helm geöffnet.“

„Das hätten wir wissen sollen, daß wir die Helme unbesorgt abnehmen können“, sagte Jill “und betrachtete Vitree, die als lebender Beweis der Verträglichkeit von Luft und Umwelt dieses Planeten vor ihm kauerte. „Waren sie darauf aus, uns beide zu töten, Leo und mich?“

„Nein, wahrscheinlich nicht. Aber sie waren entsetzt über das plötzliche Erscheinen des Raumgleiters, der wie ein Ungeheuer herabkam. Auch eure Skaphandergestalten sahen für sie gewiß furchteinflößend aus. Sie stürzten sich auf euch, weil sie wegen der vernichteten Jungtiere verzweifelt waren. Vielleicht ist deshalb die Reaktion so heftig ausgefallen. Normalerweise sind sie nicht gewalttätig, außer gegen die Glitscher“, erklärte sie. „Immerhin haben Leo und du sie für die nächste Zeit im Kampf gegen die Glitscher stark benachteiligt“, wiederholte sie.

Warum war sie bemüht, die dürren Chitiner mit Worten wie „Entsetzen“ und „Verzweiflung“ zu entlasten? Es irritierte Jill, wenn sie damit Verständnis für die Fremden zeigte. Sie wußte doch, daß die Beschädigung der Brutanlage keine Absicht gewesen war. Sie war doch wie er ein Mensch und müßte seine Situation viel besser verstehen als die der Krabbieren. „Ich hoffe, du hast inzwischen unsere Leute im Orbit über den Zwischenfall auf dem Strand verständigt“, sagte er.

„Nein. Wie hätte ich das tun können?“

„Wie? Natürlich mit dem Funkgerät des Raumgleiters oder des Moduls!“

„Wer ist im Orbit?“

Er starrte sie an. Wußte sie noch nicht einmal das? Nun, woher auch? Er hatte es ihr bis jetzt nicht gesagt und holte es schnell nach: „Die ABENDSTERN mit Kommandant Rickmar Iggensen hat den Befehl, euch zu suchen.“

„Ach, die ABENDSTERN“, sagte sie nur.

In der Dämmerung des Inselwaldes vermochte er nicht festzustellen, ob diese Nachricht sie nach jahrelanger Robinsonade bewegte. Sie gab nichts dergleichen zu erkennen. Eigentlich gewann er sogar den Eindruck, die Ankunft neuer Raumfahrer störe sie.

„Im Modul jedenfalls gibt es keine Funkgeräte mehr“, erklärte sie.

Er schluckte die Paste hinunter, die sie ihm zur Stärkung aus der Notausrüstung seines Einsatzanzuges zwischen die Lippen drückte. Selbst nahm sie nur Nahrung zu sich, die offenbar eine Kost aus hiesigen Pflanzen darstellte. Eine verborgene Gestalt hatte ihr mit dürrem Arm eine gefüllte Schale durch den Vorhang von Blättern gereicht.

Jill versuchte, die verschiedenen Laute, die ihn umschwebten, zu unterscheiden. Es raschelte, knackte, schleifte, huschte, ächzte und zirpte, begleitet von Geräuschen, für die er keine irdischen Begriffe fand. Sie konnten ebensogut von Chitinern herrühren wie von allerlei Tieren. Vitree schien keine Furcht zu haben vor all diesen Wesen. Offenbar vertraute sie den verborgenen Bewachern, daß die sie beide vor Gefahren schützten.

„Lauf zum Strand und melde dich aus dem Raumgleiter beim Kommandanten der ABENDSTERN!“ forderte er sie nochmals auf.

„Nichts zu machen. Der Strand mit den Wabenfeldern ist tabu.“

Für ihn klang diese Feststellung zu kategorisch und auch immer noch vorwurfsvoll. Das regte ihn auf. „Himmel. Es tut mir leid, wenn Leo und ich Schaden angerichtet haben. Wir konnten nicht wissen, daß es unter dem Sand Brutanlagen gibt. Dann haben die Chitiner eben mal vorübergehend Schwierigkeiten auf See. Na und? Das wird doch wohl kaum einen Weltuntergang heraufbeschwören. Und du solltest nicht vergessen, daß sie Leo umgebracht haben. Ich fühle mich nicht schuldig, und wenn ich die gesamte Brutanlage zerstört hätte!“ schrie er erbost. „Was ist mit den Nachbarinseln? Gibt es dort keine Gierschnabler, die den Verlust ausgleichen könnten?“