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„Dank dem Himmel, daß die Chitiner keine Kannibalen sind, sonst würdest du noch behaupten…“

„Sei still. Wenn hier ein solches Brauchtum vorläge, wäre in der Tat sogar das, was du andeutest, eine Ehre. Aber wie du selbst siehst, haben sie den Kokon hergebracht und verweigern ihm die Ehre des Meeres. Leo hier auf dem Strand abzulegen, damit du ihn an Bord nimmst, ist eine Abgrenzung zu uns, ist fast schon eine Geste der Verachtung. Laß es uns hinauszögern. Vielleicht kann ich doch noch eine Meeresbestattung erreichen. Wir müssen die Krabbieren veranlassen, uns Menschen in möglichst vielen Punkten als Gleichgestellte anzuerkennen.“

„Das führt sowieso zu nichts“, sagte Jill verdrossen.

Die ABENDSTERN meldete sich und enthob beide der Mühe, sich weiter auseinanderzusetzen. „Ist die Kontaktlerin erreichbar?“ fragte der Komman-, dant.

„Ja, an der Luke. Moment.“

„Muß sich Jill der VIKONDA stellen?“ fragte der Chef sie, als sie sich bei ihm meldete.

„Nicht unbedingt. Aber es würde ihm und uns allen den Status von Gleichen unter Gleichen verleihen.“

„Und wenn es ihn Kopf und Kragen kostet?“

„Die Krabbieren neigen Jiicht zu Gewalttaten. Jedenfalls ist ihnen Sühne etwa in der Art eines Marterpfahles unbekannt.“

„Na gut. Stammt die Einschätzung der Situation in Hinblick auf die gegenseitige Abhängigkeit von Gierschnablern und Krabbieren im ökologischen System des Archipels von Ihnen, Kosmonautin Laval?“

Sie bestätigte es und fügte hinzu: „Ich halte es für einen Fehler, wenn Jill startet und weitere Wabenfelder beschädigt.“

„Das dachten wir uns ebenfalls. Aber Sie können sich bestimmt vorstellen, zu welchem Ergebnis unsere Beratung hier oben im Orbit eben geführt hat: Wir brauchen den Raumgleiter! — Wie wäre es, wenn man Antigravplatten unter die Landestützen schiebt? Sie würden nach unseren Berechnungen ausreichen, um den Raumgleiter etwas anzuheben. Er könnte dann auf das Meer driften und dort starten.“

„Das ist eine ausgezeichnete Idee“, sagte Vitree.

„Woher soll ich die Antischwerkraftscheiben nehmen?“ protestierte Jill. „Ich habe keine.“

„Wir schicken welche und lassen sie am Fallschirm auf die Insel abwerfen. Würden die Krabbieren es zulassen, daß ihr die Scheiben bergt?“

„Ja, das kann ich wahrscheinlich erreichen“, bestätigte sie. „Und bitte ein paar Sachen für mich“, bat sie schnell noch. „Meine Kleidung ist abgetragen.

Rickmar Iggensen musterte kurz ihre verschlissene Kombination. „Selbstverständlich. Das geht in Ordnung“, sagte er.

„Danke“, sagte Vitree und wurde rot, weil sie sich eitel vorkam. Doch der Kommandant war schon vom Bildschirm verschwunden.

Der zweite Raumgleiter bekam Rückkehrorder. Er schraubte sich in den Himmel und verschwand dort.

Jill schnaufte. Dann stieg er aus. „Wann beginnt die VIKONDA?“ fragte er mit einem Ausdruck von Todesverachtung in der Stimme.

Acht Krabbieren hatten ihn im Kokon den Strand entlanggetragen und auf ein stattliches, langes Floß gelegt. Auf dem Meer berührte die Wega den Horizont. Im letzten Abendlicht sah er am Wassersaum Steine neu zu einem Gebilde angehäuft, das ihn entfernt an die Umrisse einer zum Start aufgerichteten, im Maßstab verkleinerten Fähre erinnerte. Es schien ihm eine aktuelle Ergänzung für die bevorstehende VIKONDA zu sein. In größerem Abstand zueinander waren am Ufer ferner kunstvoll gearbeitete Holzgebilde aufgestellt, wie sie vermutlich auch sonst für einen solchen rituellen Anlaß benutzt wurden. Gern hätte Jill die Kontaktlerin gefragt, welche Bewandtnis es mit diesen Darstellungen hatte. Doch Vitree war mit der Bergung des Fallschirmpakets beschäftigt, das vor einer Weile abgeworfen worden war.

Allmählich wurde es dunkel. Bald standen die Sterne in für Jill fremder Konstellation am Himmel. Nur teilweise hatte sie noch Ähnlichkeit mit der Anordnung am irdischen Nachthimmel. Die Erde war sechsundzwanzig Lichtjahre weit entfernt. Die Szene ringsum wirkte auf Jill unwirklich, allerdings nicht so ungewohnt, wie man es bei einem Abstand von sechsundzwanzig Lichtjahren hätte denken können. Pflanzen waren immer noch Pflanzen,

Gierschnabler mußte für die Glitscher verheerende Folgen gehabt haben. Auf den Flößen wurden neue Fackeln entzündet. Bald setzten wieder die sanften Gesänge ein. Es kam Jill in den Sinn, daß sie nach hiesigen Begriffen vielleicht Balladen sein mochten, und er fragte sich, ob ihnen über den jüngsten Kampf eine neue Strophe hinzugefügt wurde, deren Inhalt sich auch auf ihn bezog?

Er steckte seinen Nadler ein und blieb aufrecht neben seinem Kokon stehen. Die Lust, in ihn zurückzukriechen. war ihm vergangen. Er rückte die Pflanzenkübel, die verrutscht waren, an ihre alten Positionen. Dabei bemerkte er, daß beim Kampf alle Wabendeckel fortgespült worden waren. Darin sah er ein gutes Omen für seine VTKONDA.

Gegen Morgen kamen Nebelschwaden auf. Das Floß dümpelte und drang, isoliert von den anderen, in eine graue Welt ein. Jill konnte nur hoffen, daß die Glitscher nicht noch einmal angriffen, denn jetzt im Nebel wäre eine Koordination der Verteidigung kaum möglich. Und allein auf den Schutz der Gierschnabler mochte er nicht bauen.

Der Rest der Nacht verging jedoch ruhig. Die Gesänge der Krabbieren durchdrangen ab und zu die Nebelschwaden. Die Untätigkeit behagte Jill nicht. Spielerisch fischte er Früchte aus dem Wasser und schichtete sie auf. Der Tang schien hier ähnlich vielfältige Früchte zu tragen wie daheim auf der Erde die Landpflanzen. Zu Jills Überraschung regte sich auch der Visionär, stelzte zur anderen Kante des Floßes und häkelte ebenfalls Tangfrüchte aus dem Wasser. Ihm schien das Zeremoniell der VIKONDA auch langweilig geworden zu sein.

Als das erste Morgenrot am Kap hervorsickerte, verstummten die Gesänge auf den Begleitflößen. Eine frische Brise vertrieb die Schwaden. Der Visionär stellte sich auf seinen polierten Holzklotz und begann, allein zu singen.

Was du kannst, darauf verstehe ich mich auch, dachte Jill. Und als der Visionär eine Pause machte, stimmte der Kosmonaut, selbst auf die Gefahr hin, dem Ritual der VIKONDA nicht den erforderlichen Respekt entgegenzubringen, seinerseits ein Lied an.

So setzten die beiden, einander ablösend, den Gesang eine Weile fort. Jill versuchte es mit dem „Lied an den Mond“ und dem „Gesang der Schwäne“, aber auch mit Balladen, die in der Raumflotte üblich waren wie „Roter Riese Antares“ und „Havarie vor Jupiter“.

Dann tauchte der obere Sonnenrand aus dem Meer auf, und Jill verstummte. Das Floß hatte sich dem Strand genähert und lief auf Grund, nur wenige Meter von einem der kunstvoll geschnitzten Pfähle entfernt. Krabbieren in großer Anzahl näherten sich über den Strand. Sie strömten aus dem Wald hinter den Dünen hervor, mitten darunter Vitree. Schließlich verkündete der Visionär das Ergebnis der VIKONDA. Jills leerer Kokon wurde ergriffen. Mit stilisierten Klöppeln stießen daraufhin Krabbieren Löcher in das Gespinst und zerfetzten ihn schließlich ganz. Die Morgenbrise erfaßte die leichten Teile und wehte sie davon. Danach verstreuten sich die Krabbieren. Sie trugen die Tangfrüchte vom Hauptfloß fort. Auch die Schildträger und der Visionär verließen den Strand. Jill stand immer noch unter der Erwartung einer persönlichen Katastrophe und konnte es nicht fassen, daß gar nichts mehr geschah. Er und Vitree blieben einfach allein zurück.

„Die Krabbieren scheinen nicht mehr an mir interessiert zu sein“, stellte Jill irritiert und zugleich erleichtert fest. „Ist das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?“

„Ich gratuliere“, sagte sie freudestrahlend. Sie hatte ihre neue Kombination aus dem Fallschirmpaket angezogen. „Du hast den Visionär beeindruckt und damit auch seine Interpretation der VIKONDA positiv beeinflußt. Hinzu kommt noch, daß beim Nachtangriff der Glitscher kein Krabbiere getötet wurde. Es heißt, du sollst wie rasend mitgekämpft haben?“