»Dein Ego macht, daß du gut bist in dem, was du tust.«
Blair errötete bei dieser Bemerkung. Mit einem verlegenen Lächeln sagte er:
»Ja, aber es hat schon was Albernes, in Klamotten herumzustehen und fotografiert zu werden. Es ist einfach - wenn ich ein bißchen Mumm hätte, Harry, würde ich Schauspielunterricht nehmen, aber ich glaube, im tiefsten Innern weiß ich, daß ich nicht die Spur Talent habe. Ich bin bloß ein hübsches Ding.« Er lachte, weil er einen Ausdruck benutzt hatte, mit dem gewöhnlich nur Frauen beschrieben werden.
»Du bist mehr als das. Es liegt ganz bei dir, und he, was kostet es, Schauspielunterricht zu nehmen - an Geld und an Zeit? Niemand bewirft dich im Unterricht mit Tomaten. Wenn es dir liegt, wirst du's merken. Frisch gewagt ist halb gewonnen.« Sie überlegte einen Moment. »Die Universität von Virginia hat einen guten Schauspielzweig.«
»Du bist in Ordnung.« Er langte über den Tisch nach ihrer Hand, aber da klingelte das Telefon.
»Entschuldigung.« Sie stand auf und ging an den Wandapparat. »Hi. Im Stall.«
Am anderen Ende der Leitung sagte eine tiefe warme Stimme, die Fair gehörte: »Sprichst du noch mit mir?«
»Ich spreche jetzt mit dir.«
»Sehr komisch. Ich bin im Wagen, hatte gerade bei Mim zu tun und bin unterwegs zu dir.«
»Nicht jetzt.«
»Was soll das heißen, nicht jetzt?«
»Ich hab Besuch und.«
»Blair? Ist der Kerl bei dir?«
»Ja, er ist gekommen, um sich zu entschuldigen.«
»Verdammt!« Fair schaltete sein Mobiltelefon ab.
Harry setzte sich wieder hin.
»Fair?«
»In einem Aufruhr der Gefühle, wie meine Mutter gesagt hätte.«
Das Telefon klingelte wieder. »Wetten, das ist er. Tut mir leid, Blair.« Sie nahm den Hörer ab. Es war nicht Fair, es war Susan Tucker. »Susan, ich bin froh, daß du's bist.«
»Natürlich bist du froh, daß ich's bin. Ich bin deine beste Freundin. Weißt du schon das Neueste?«
»Ich höre.« Harry sagte lautlos den Namen Susan zu Blair.
»Ned und Rick Shaw hatten heute ein Treffen wegen der Finanzen in seiner Abteilung, und nebenbei ließ Rick fallen, daß der Tote Mike Huckstep ist, derselbe Kerl, dem das Motorrad gehört. Es steht morgen in der Zeitung.«
»Schätze, das ist keine Überraschung. Ich meine, das hatten wir doch ohnehin schon vermutet - daß der Motorradbesitzer der Tote war.« »Ja, ich denke, damit ist der Fall erledigt. Hast du eine Minute Zeit?«
»Eigentlich nicht. Blair ist hier.«
»Ah, darüber wollte ich mit dir reden. Ich hoffe, er ist gekommen, um sich zu entschuldigen.«
»Ja.«
»Wir können das später ausführlich bekakeln, aber hier schon mal in aller Kürze: Little Marilyn ist scharf auf Blair.«
»In aller Kürze: Vergiß es.« Harry fand, jede Frau unter neunzig müßte für Blair schwärmen.
»Aha, meldest wohl schon Besitzansprüche an, was?«
»Nein«, log Harry.
»Soso. Okay, ich ruf dich später an für ein Gespräch von Frau zu Frau.«
»Verschon mich damit. Ich kann keine emotionale Enthüllung mehr ertragen. Meine oder deine oder sonst eine. Wir sprechen uns später. Tschüs.«
Blairs Gesicht verfinsterte sich. »Hab ich, hm, zuviel gesagt?«
»O nein, nein, das hatte ich nicht gemeint, aber, Blair, alle meine Freunde beschäftigen sich damit, mich, dich und Fair zu analysieren. Ich hab das satt. Allmählich denke ich, ich bin Freiwild für jedermann.«
»Ich glaube, ein alleinlebender Mann kränkt sie, und eine alleinlebende Frau erregt ihr Mitleid.« Er hielt seine Hand hoch, ehe sie widersprechen konnte. »Das ist sexistisch, aber das ist die Welt, in der wir leben.«
Sie fuhr mit dem Zeigefinger über die glatte Fläche der HighTech-Kaffeemaschine. »Möchtest du heiraten? Halt, nein, nicht mich, so ist die Frage nicht gemeint, sondern ganz theoretisch, möchtest du heiraten?«
»Nein. Im Augenblick, in diesem Abschnitt meines Lebens, jagt mir der Gedanke eine Heidenangst ein.« Er war aufrichtig bis dorthinaus. »Und du?«
»Dito. Ich meine, ich war verheiratet und dachte, ich hätte das große Los gezogen. Die Ereignisse haben mich widerlegt.«
»Das war seine Dummheit, nicht deine.«
»Vielleicht, aber ich bin sehr unabhängig, und ich glaube, Fair und vielleicht die meisten Männer behaupten, daß sie diese Eigenschaft bewundern, aber das ist gelogen. Fair wollte mich, na ja, konventioneller, abhängiger, und, Blair, das bin ich einfach nicht.«
»Ist dir schon mal aufgefallen, wie die Leute dir sagen, sie lieben dich, und dich dann ändern wollen?«
Sie fühlte sich unendlich erleichtert. Er hatte ihr aus der Seele gesprochen. »Stimmt. So habe ich das noch nie gesehen, aber du hast recht. Ich bin, die ich bin. Ich bin nicht vollkommen, und ich bin beileibe kein Filmstar, aber ich komme zurecht. Ich will kein bißchen anders sein, als ich bin.«
»Wie steht es mit Sex?«
Sie schluckte. »Wie bitte?«
Er warf den Kopf zurück und lachte schallend. »Harry, so direkt war das nicht gemeint. Wie ist die Einstellung der Leute zum Sex? Wenn du eine Affäre hast, giltst du dann in dieser Gegend als Flittchen?«
»Nein, ich denke, diese Ehre gebührt Boom Boom.«
»Uuhu.« Er stieß einen Pfiff aus. »Aber wenn du mit jemandem schläfst, deutet das nicht auf eine Bindung hin, auf eine Verpflichtung? Du kannst nicht ungeschoren davonkommen. Hier scheinen alle alles zu wissen.«
Sie legte den Kopf schief. »Stimmt. Deshalb muß man erst wägen, dann wagen. Du könntest es dir viel eher erlauben als ich. Die berühmte doppelte Moral.«
»Dieselbe doppelte Moral, die du eben auf Boom Boom angewendet hast?«
»Ähhh - nein. Auf Boom Booms Grabstein wird stehen: >Endlich schläft sie allein.< Sie übertreibt es. Aber von einem Mann würde ich genauso denken. Du hast ihn nie kennengelernt, aber Boom Booms verstorbener Mann war ein richtiges Tier. Er war witzig und alles, aber als Frau hast du bald gelernt, ihm nicht zu trauen.«
»Tier! Ich fasse das als Beleidigung auf.« Tucker winselte und tappte wütend auf den Gang. Sie sah Mrs. Murphy und ging zu ihrer Freundin. Sie stupste sie mit der Nase an. »Aufwachen.«
»Ich schlaf nicht.«
»Das sagst du immer. Du verpaßt was Spannendes.«
»Nein, tu ich nicht.« »Meinst du, sie gehen zusammen ins Bett?«
»Ich weiß nicht. Heute nacht jedenfalls nicht.«
In der Sattelkammer räumten Blair und Harry ab. Sie packte die ungegessenen Sachen wieder in den Korb.
»Der Korb gehört dir auch.«
»Du bist schrecklich nett zu mir.«
»Ich mag dich.«
»Ich mag dich auch.«
Er zog sie an sich und küßte sie auf die Wange. »Ich weiß nicht, was mit uns passieren wird, aber auf eins kannst du dich verlassen, ich bin dein Freund.«
Harry gab ihm auch einen Kuß, umarmte ihn und ließ ihn dann los. »Ich nehm dich beim Wort.«
15
Die Crozet National Bank, ein flacher Holz- und Ziegelbau aus dem Jahre 1910, stand an der Ecke der Railroad Avenue in einer Reihe von Gebäuden, zu denen auch der alte Rexall's Drugstore gehörte. Das Holzwerk war weiß, der Eindruck schmucklos und zweckmäßig.
Dank der Sparsamkeit einer jahrzehntelangen Folge von guten Direktoren war wenig Geld auf das Interieur verschwendet worden. Die alten Hängelampen baumelten immer noch an der Decke. Bankierslampen mit grünen Schirmen standen auf schweren Holzschreibtischen. Die Kassierer arbeiteten an einem Marmortresen hinter Bronzegittern. Die Strenge verlieh der Bank etwas Gediegenes. Die einzigen Eindringlinge der Moderne waren die Computerterminals an allen Kassenschaltern und auf allen Angestelltenschreibtischen.