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Es war noch nicht Mittag, und schon raste ihr der Tag davon. Zwei Unfälle während des Berufsverkehrs, beide auf der Route 29, was zu einem Verkehrschaos führte. Sie hatte einen Beam­ten hingeschickt, aber wegen der Sommerferien war das Perso­nal reduziert, und so nahm sie den anderen Unfall selbst auf.

Sobald Cynthia den Bescheid des Kfz-Amtes von Kalifornien erhalten hatte, rief sie die Polizei in Los Angeles an. Sie wollte wissen, ob eine Polizeiakte über Huckstep vorlag. Und tatsäch­lich kam die Meldung, daß er in San Francisco straffällig ge­worden war.

Die Polizei von San Francisco teilte ihr mit, daß sie über Mike Huckstep eine Akte wegen kleinerer Vergehen angelegt hatten: Überfall mit Körperverletzung, Verkehrsdelikte sowie eine Anklage wegen unzüchtiger Entblößung. Der diensthabende Beamte riet ihr, Frank Kenton anzurufen, den Besitzer der An­vil-Bar in San Francisco, wo Huckstep gearbeitet hatte. Als Cynthia fragte, warum sie das tun solle, sagte der Beamte, sie hätten immer geglaubt, daß Huckstep in mehr als nur geringfü­gige Vergehen verwickelt war, daß sie ihm aber nie etwas nachweisen konnten.

Cynthia griff zum Telefon. In San Francisco war es jetzt acht Uhr morgens. Sie hatte sich sowohl die Telefonnummer der Anvil-Bar als auch die Anschrift und Privatnummer des Besit­zers geben lassen.

»Hallo, Mr. Kenton, hier spricht Deputy Cynthia Cooper vom Sheriffbüro Albemarle County.«

Eine verschlafene, rauhe Stimme sagte: »Wer?«

»Deputy Cooper, Sheriffbüro Albemarle County.«

»Wo zum Teufel liegt Albemarle County?«

»In Mittelvirginia. Bei Charlottesville.« »So, und was wollen Sie von mir? Es ist früh am Morgen, La­dy, und ich arbeite bis spät in die Nacht.«

»Ich weiß. Entschuldigen Sie. Sie sind der Besitzer der Anvil- Bar, nicht?«

»Wenn Sie das wissen, dann hätten Sie auch wissen müssen, daß ich nicht vor ein Uhr Ortszeit zu sprechen bin.«

»Es tut mir leid, Sie zu stören, aber wir untersuchen einen Mord, und ich glaube, daß Sie uns helfen können.«

»Hä?« Die belegte Stimme ließ eine Spur Interesse erkennen.

»Wir haben eine Leiche gefunden, die wir als Michael Huck­step identifiziert haben.«

»Gut!«

»Wie bitte?«

»Gut, ich bin froh, daß jemand den Mistkerl umgebracht hat. Am liebsten hätte ich es selbst getan. Wie hat's ihn erwischt?« Frank Kenton, hellwach jetzt, wollte es ganz genau wissen.

»Drei Schüsse mit einer .357er Magnum aus kurzer Entfer­nung in die Brust.«

»Ha, der muß ausgesehen haben wie ein geplatzter Reifen.«

»Er sah tatsächlich noch viel schlimmer aus. Er hat in der Ju­lihitze mindestens drei Tage im Wald gelegen. Alles, was Sie mir sagen können, egal was, könnte uns helfen, den Mörder zu fassen.«

»Scheiße, Lady, ich finde, Sie sollten dem Mörder einen Or­den verleihen.«

»Mr. Kenton, ich muß meine Arbeit machen. Vielleicht hat er es verdient, vielleicht nicht. Es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen.«

»Und ob er's verdient hat. Ich will Ihnen sagen, warum.

Er hat früher als Barmann bei mir gearbeitet. Mike hatte ge­nau das richtige Aussehen dafür. Breite Schultern, schmale Taille, straffer kleiner Podex. Gutes, markantes Gesicht, und er ließ sich immer einen Dreitagebart stehen. Der Mann war ein­fach ideal für die Anvil-Bar. Sie müssen ihn sich als Prachtex­emplar eines >rough trade< vorstellen.«

Cynthia wußte, daß der Ausdruck >rough trade<, der aus der Homosexuellenszene stammte, wo er ursprünglich einen ge­walttätigen oder sadistischen Sexpartner bezeichnete, in den heterosexuellen Sprachgebrauch übernommen worden war. Hier stand er für jemanden außerhalb des Klassensystems, jemanden mit dem Ruf eines Gesetzlosen, wie etwa ein Hell's Angel. Der Ausdruck wurde für jeden Sexpartner verwendet, der einer niedrigeren Schicht angehörte als man selbst. Cynthia vermutete jedoch, daß auf Mike Huckstep eher die ursprüngliche Bedeu­tung zutraf.

»Verkehren in der Anvil-Bar Heteros oder Schwule?«

»Schwule.«

»War Mike schwul?«

»Nein. Ich hatte das nicht gewußt, sonst hätte ich ihn nicht eingestellt. Anfangs habe ich nichts gemerkt. Er hat seinen Job gut gemacht, konnte gut mit den Leuten. Er hat mit der Kund­schaft geflirtet, einen Haufen Trinkgeld kassiert.«

»Sie meinen, Sie haben nicht gemerkt, daß er nicht schwul war?«

»Lady, es war viel schlimmer. Er hat seine Freundin ange­schleppt, dieses flachbrüstige Weibsstück namens Malibu. Wo er die aufgetrieben hat, werde ich nie erfahren. Jedenfalls, er hat mich überredet, sie hier aushelfen zu lassen. Eine Frau hinter der Bar? Bei mir nicht. Aber sie hat sich angepaßt, hat fleißig gearbeitet, und da hab ich sie an die Tür gestellt. Sie konnte die Kundschaft checken und den Eintritt kassieren.«

»Sie nehmen Eintrittsgeld für die Bar?«

»Am Wochenende. Am Wochenende laß ich immer eine Live­Band bei mir spielen.«

»Haben die zwei Sie bestohlen?«

»Nicht einen Penny. Nein, sie haben ganz was anderes ge­macht. Mike hat sich einen reichen Typ geangelt. Ich glaub sogar, daß Malibu die Vorarbeit geleistet hat. Niemand hat sie ernst genommen. Sie war halt so eine Schwulenmama, Sie ver­stehen, was ich meine?«

Cynthia kannte diesen Ausdruck für eine Frau, die sich gern mit schwulen Männern umgab.

»Ich verstehe.«

»Sie hat also Fragen gestellt, hat sich in die Häuser der Leute eingeschlichen, wenn sie ihre Adresse rauskriegen konnte oder wenn sie sie Mike gegeben hatten. Dann hat Mike es mit dem reichen Typ getrieben, und Malibu hat Fotos davon gemacht.«

»Wie sie's zu dritt getrieben haben?«

»Nein«, brüllte er, »sie hat sich versteckt und Fotos gemacht, und dann haben sie das arme Schwein ausgenommen.«

»Ich dachte, San Francisco wäre ein Mekka des schwulen Amerika.«

»Wenn Sie in der Finanzwelt tätig sind, ist es sowenig ein Mekka wie Des Moines. Und einige ältere Herren - nun ja, sie haben eine andere Auffassung. Die haben große Angst, sogar hier.«

»Und was ist nun passiert?«

»Ein Stammkunde von mir, prima Kerl, alte San Franciscoer Familie, Mitglied vom Bohemian Club, Frau, Kinder, das ganze Pipapo, den haben Mike und Malibu sich vorgeknöpft. Er hat sich erschossen. Kopfschuß. Ein paar Freunde haben mir ge­sagt, sie vermuteten, daß Mike dahintersteckte. Schließlich hab ich zwei und zwei zusammengezählt. Er oder sie hat Wind da­von gekriegt. Er ist nie wieder zur Arbeit erschienen. Ich hab ihn nach dem Tag, an dem George Jarvis sich umgebracht hat, 28. Januar 1989, nicht mehr gesehen.«

»Und sie?«

»Sie hab ich auch nicht mehr gesehen.«

»Waren sie verheiratet?«

»Das weiß ich nicht. Sie haben sich jedenfalls gegenseitig verdient.«

»Noch eine Frage, Mr. Kenton, und ich kann Ihnen gar nicht genug danken für Ihre Hilfe. Haben die zwei gedealt?«

Frank zögerte mit der Antwort, um sich eine Zigarette anzu­stecken. »Deputy Cooper, damals, in den siebziger und achtzi­ger Jahren, da haben alle gedealt. Ihre eigene Mutter hat mit Drogen gehandelt.« Er lachte. »Okay, Ihre Mutter vielleicht nicht.«

»Verstehe.«

»Darf ich Sie um einen Gefallen bitten?«

»Versuchen können Sie's.« »Wenn Sie ein gutes Foto von dem verfaulten Drecksack ha­ben, schicken Sie's mir. Ich kenne eine Menge Leute, die Mike tot sehen möchten.«

»Es ist ziemlich grauenhaft, Mr. Kenton.«

»Was er getan hat, auch. Schicken Sie mir die Bilder.«

»Hm. Noch einmal vielen Dank, Mr. Kenton.«

»Nächstes Mal rufen Sie nach eins an.« Er legte auf.

Cynthia trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. Es herrschte kein Mangel an Menschen, die Mike Huckstep um­bringen wollten. Aber wären sie ihm hierher gefolgt, nachdem Jahre vergangen waren? Was hatte Huckstep von 1989 bis jetzt gemacht? War Malibu bei ihm gewesen? Wo war sie?