»Relativ gesehen ist sie dicker als ich«, bemerkte er.
»Aber Sie haben Diät gehalten und sind schwimmen gegangen. Ich finde, Sie haben kräftig abgenommen«, schmeichelte ihm Harry.
»Wirklich? Sieht man das?«
»Allerdings. Kommen Sie, trinken Sie eine Tasse Tee«, lud Mrs. Hogendobber ihn nach hinten ein, wobei sie sorgsam die Doughnuts zugedeckt hielt.
Der gute Reverend leerte sein Postfach, dann ging er schwungvoll durch die Klapptür, die den Raum für den Publikumsverkehr vom hinteren Bereich trennte. »Alle sind ganz aus dem Häuschen wegen diesem Computervirus. In den Richmonder >Morgennachrichten< haben sie einen ganzen Bericht darüber gebracht, was zu erwarten und was dagegen zu tun ist.«
»Erzählen Sie.« Harry stand vor der kleinen Kochplatte.
»Nein. Ich will, daß unser Computer stirbt.«
»Miranda, ich glaube nicht, daß Ihr Computer in Gefahr ist. Es scheint sich hier um eine Art Firmensabotage zu handeln.« Reverend Jones zog sich einen Stuhl mit Sprossenlehne heran. »Soweit ich informiert bin, wurde der Virus von einer oder mehreren Personen in das Computersystem eines großen, in Virginia ansässigen Unternehmens eingeschleust, aber niemand weiß, in welches. Das infizierte Gerät muß ein Computer sein, der mit vielen anderen Computern kommuniziert.«
»Und wie, bitte schön, darf ich das verstehen?« Miranda senkte die Stimme. »So was wie Kommunion?«
»Reden. Computer können miteinander reden.« Herb beugte sich nach vorn. »Danke, Schätzchen.« Er nannte Harry »Schätzchen«, als sie ihm seinen Tee reichte. Wenn es von ihm kam, hatte sie nichts dagegen. »Wer immer diesen Virus eingeschleust hat.«
Miranda unterbrach ihn wieder. »Was meinen Sie mit Virus?«
Der Reverend, ein warmherziger Mann, der die Menschen liebte, zögerte einen Moment und seufzte. »Aufgrund der Art und Weise, wie ein Computer Befehle versteht, ist es möglich, ja ganz einfach, einen Befehl einzugeben, der sein Gedächtnis verwirrt oder auslöscht.«
»Dafür brauche ich keinen Virus«, sagt Miranda. »Das tu ich jeden Tag.«
»Dann könnte also jemand einem Computer so einen Befehl eingeben wie Lösche jede Datei, die mit dem Buchstaben A beginnt<«, warf Harry ein.
»Genau, aber wie der Befehl lautet, das weiß eben keiner. Stellen Sie sich vor, dies geschieht in einer medizinischen Datenbank. Der Befehl würde etwa lauten: Zerstöre alle Aufzeichnungen über jeden, der John Smith heißt. < Da sehen Sie, welche Auswirkungen das haben könnte.«
»Aber Herbie« - Miranda nannte ihn beim Vornamen, weil sie seit einer Ewigkeit befreundet waren -, »warum sollte jemand so etwas tun wollen?« »Vielleicht, um eine Polizeiakte zu löschen oder eine Schuld zu stornieren oder eine Krankheit zu verheimlichen, die ihn den Job kosten könnte. Manche Firmen entlassen Angestellte, die Aids oder Krebs haben.«
»Wie können die Menschen sich davor schützen?«
Mrs. Hogendobber bekam allmählich eine Vorstellung von den Möglichkeiten, damit Unheil anzurichten.
»Der Initiator hat Faxe an Fernsehsender geschickt, daß der Virus am ersten August wirksam wird und daß er Threadneedle- Virus heißt.«
Harry rieb sich das Kinn. »Threadneedle, ein komischer Name. Wo mag da die Verbindung sein?«
»Oh, die gibt es bestimmt. Die Journalisten suchen wie verrückt danach«, erklärte Herbie zuversichtlich.
»Ein einziges großes Rätsel.« Harry liebte Rätsel.
»Der Computerexperte sagte in der Morgensendung, eine Möglichkeit, eine Information zu schützen, bestehe darin, seinem Computer zu sagen, daß er jeden Befehl, der am ersten August eingeht, ignorieren soll.«
Miranda nickte. »Vernünftig.«
»Nur, daß die meisten Geschäfte über Computer abgewickelt werden, und das würde heißen, daß einen ganzen Tag lang sämtliche kommerziellen, medizinischen, sogar politischen Transaktionen auf Eis liegen.«
»Ach du meine Güte.« Miranda machte große Augen. »Kann man denn sonst gar nichts tun?«
Herbie trank seinen Tee aus und stellte den Becher mit einem leisen Plop auf den Tisch. »Der Experte hat einen Überblick über die Schutzmaßnahmen gegeben und die Leute aufgerufen, ihre Computer so zu programmieren, daß sie alle am ersten August eingehenden Befehle aufschieben und überprüfen. Wenn etwas merkwürdig ist, kann das Prüfprogramm den Computer anweisen, den verdächtigen Befehl ungültig zu machen. Natürlich werden große Firmen ihre eigenen Computerexperten heranziehen, aber wie es scheint, wird alles, was sie austüfteln, eine Variante des Prüfprogramms sein.«
»Ich wollte schon immer >Ungültig< auf meine Autozulassung setzen«, gestand Harry.
Mrs. Hogendobber schürzte die Lippen, die heute muschelrosa geschminkt waren. »Warum das denn?«
»Weil der Computer dann jedes Jahr meine Zahlungsanweisung an die Kfz-Abteilung des Finanzamts zurücküberweisen würde. Zumindest habe ich mir das so vorgestellt.«
»Unsere kleine Saboteurin.«
»Miranda, ich hab's ja nicht getan. Ich hab bloß drüber nachgedacht.«
»Aus kleinen Eicheln wachsen mächtige Eichen.« Mrs. Hogendobber setzte ein grimmiges Gesicht auf. »Stecken Sie dahinter?«
Die drei lachten.
»Also, was gibt's Neues, Pewter?« fragte Tucker, dann wandte sie sich Mrs. Murphy zu. »Ich nehme an, du weißt es schon, sonst hättest du ihr längst das Fell abgezogen.«
Mit der leisen Andeutung von Überlegenheit, die Katzen so aufreizend macht, ließ Mrs. Murphy ihre Schnurrhaare vorwärts schnellen. »Wir haben hinten auf der Veranda ein bißchen geplaudert.«
»Los, erzähl.«
Pewter schlenderte zu dem Hund hinüber, der sich unterdessen aufgesetzt hatte. »Aysha Cramer hat Mim Sanburne glattweg ins Gesicht gesagt, daß sie sich weigert, mit Kerry McCray auf dem Wohltätigkeitsfest für die Obdachlosen zusammenzuarbeiten.«
Mim Sanburne hielt sich für die Queen von Crozet. An ihren großzügigen Tagen dehnte sie ihr Reich auf ganz Virginia aus.
»Wenn's weiter nichts ist.« Tucker war enttäuscht.
»Das ist noch nicht alles. Mim kommt niemand ungestraft in die Quere. Sie ist aus der Haut gefahren und hat zu Aysha gesagt, das Wohl der Gemeinde sei wichtiger als ihre Zankereien mit Kerry«, erklärte die rundliche Katze.
»Ach, Aysha.« Tucker lachte. »Jetzt wird Mim ihr den miesesten Job bei der Wohltätigkeitsveranstaltung geben - Adressen schreiben, Couverts zukleben und abstempeln. Die müssen nämlich alle mit der Hand geschrieben werden.«
Pewter kicherte. »Und alles wegen Norman Cramer. Diesem Langweiler.«
Die Tiere hielten einen Moment die Luft an.
»Junge, Junge, das muß ein fader Sommer sein, wenn wir schon über dieses Dreiecksverhältnis lachen«, sagte Mrs. Murphy nachdenklich.
»Hier passiert aber auch gar nichts«, nörgelte Tucker.
»Die Parade am Vierten Juli war okay. Aber nichts Besonderes. Vielleicht stellt ja jemand am Labor Day was auf die Beine.« Pewter unterbrach sich. »Hoffen wir auf ein bißchen Wirbel.«
Mrs. Murphy streckte sich vorwärts, dann rückwärts.
»Wißt ihr, was meine Mutter immer gesagt hat? >Sieh dich vor, worum du bittest, du könntest es bekommen.««
Die drei Freundinnen sollten später noch an diese Prophezeiung zurückdenken.
2
Ash Lawn, der Landsitz von James und Elizabeth Monroe, liegt hinter einer Reihe mächtiger englischer Buchsbäume. Zu Lebzeiten des fünften Präsidenten und seiner Gattin reichten diese stacheligen Gewächse den Menschen vermutlich nur bis zur Taille. Heute strahlt ihre gewaltige Größe etwas Unheimliches aus, verleiht aber gleichzeitig ein Gefühl von Sicherheit. Der offizielle Eingang wird nicht mehr benutzt; die Besucher müssen an dem kleinen Andenkenladen vorbeigehen und erreichen das Haus über eine Nebenstraße.