»Mein Gott.« Ned sagte langsam: »Es war richtig von dir, uns anzurufen.«
»Sind denn alle verrückt geworden? Will der Mörder uns einen nach dem anderen kaltmachen?« entfuhr es Susan.
»Wenn wir uns einmischen oder ihm zu nahe kommen, würde ich sagen, wir sind die nächsten.« Harry klang nicht gerade ermutigend.
»Ich rufe Mrs. H. und Mim an. Dann muß ich Fair wecken. Wie wär's, wenn wir uns alle zum Frühstück im Café treffen - halb acht? Hmm, vielleicht sollte ich Blair auch anrufen. Was sagst du dazu?«
»Ja, zu beidem«, antwortete Susan.
»Gute Idee. Wir sehen uns dort.« Ned hielt inne. »Und danke noch mal.«
Harry rief Mrs. Hogendobber an, die erschüttert war, Big Marilyn, die sowohl erschüttert war als auch wütend darüber, daß so etwas in ihrer Stadt passieren konnte, und Blair, der, aus tiefem Schlummer gerissen, ganz benommen war.
Sie fütterte die Pferde, Mrs. Murphy und Tucker. Dann weckte sie Fair. Sie machten sich frisch.
»Mrs. Murphy und Tucker, das wird ein schwerer Tag heute. Ihr zwei bleibt zu Hause.« Sie ließ die Küchentür offen, damit die Tiere auf die Veranda konnten. Sie stellte für jedes einen großen Napf Trockenfutter hin.
»Nimm mich mit«, winselte Tucker.
»Vergiß es«, sagte Mrs. Murphy unbewegt. »Sobald sie aus der Einfahrt sind, hab ich einen Plan.«
»Sag's mir jetzt.«
»Nein, die Menschen stehen noch hier.«
»Sie verstehen dich doch gar nicht.«
»Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.«
Harry küßte beide Tiere, dann sprang sie in den alten Transporter, während Fair in seinen großen Chevy-Kombi stieg. Sie fuhren zu dem Café in der Innenstadt. Er hatte in der Klinik angerufen. Dem Pferd ging es gut, daher beschloß er, der Gruppe beim Frühstück Gesellschaft zu leisten.
»Mir nach«, befahl Murphy, sobald die Automotoren nicht mehr zu hören waren.
»Ich hab nichts dagegen, zu tun, worum du mich bittest, aber ich hasse es, Befehle entgegenzunehmen«, knurrte Tucker.
»Hunde sind folgsam. Katzen sind unabhängig.«
»Du hast sie ja nicht mehr alle.«
Trotzdem folgte Tucker Mrs. Murphy, als sie durch die vorderen Weiden und an der Reihe hoher Platanen am Ufer des Baches, der die Weideflächen teilte, entlangsauste.
»Wo gehen wir hin?«
»Zu Kerry McCray. Der schnellste Weg ist, wenn wir uns nach Süden wenden. Auf diese Weise können wir auch die Straße meiden, aber wir müssen den Bach überqueren.«
»Du machst dir die Pfoten naß?«
»Wenn es sein muß«, gab die Katze entschlossen zur Antwort.
Im Dauerlauf kamen die beiden Tiere schnell voran. An dem breiten Bach blieb Murphy stehen.
»Das Wasser ist hoch. Wie kann es hoch sein, wenn es nicht geregnet hat?«
Tucker ging am Ufer entlang zu einer Biegung. »Hier hast du die Antwort. Ein großer, breiter Biberdamm.«
Mrs. Murphy trat zu ihrer kurzbeinigen Freundin. »Ich will mich nicht mit einem Biber anlegen.«
»Ich auch nicht. Aber die schlafen vermutlich. Wir könnten über den Damm rennen. Bis sie aufwachen, dürften wir drüben sein. Sonst müssen wir stromabwärts, wo es niedrig ist, eine Stelle zum Durchwaten finden.«
»Das dauert zu lange.« Sie atmete tief ein. »Okay, laß uns rennen wie der Blitz. Soll ich zuerst?«
»Klar. Ich bleib direkt hinter dir.«
Damit stürmte Mrs. Murphy los, alle viere in der Luft, aber über einen Biberdamm zu rennen erwies sich als schwierig. Sie mußte hier und da stehenbleiben, weil dicke Äste und kräftige Zweige die Oberfläche holprig machten. Murphy konnte hören, wie es sich im Innern des Biberbaus regte. Sie bahnte sich einen Weg durch das Gehölz, so schnell sie konnte.
»Egal, was passiert, Murphy, fall bloß nicht ins Wasser. Die ziehen dich runter. Wenn schon kämpfen, dann besser oben auf dem Damm.«
»Ich weiß, ich weiß, aber sie sind in der Überzahl. Und sie sind stärker als wir.« Sie rutschte aus, ihr rechtes Vorderbein sank in die Behausung. Sie zog es so schnell wieder heraus, als hätte es Feuer gefangen.
Schlitternd und schlingernd gelangte Murphy auf die andere Seite. Tucker, die schwerer war, hatte zu kämpfen. Plötzlich tauchte am anderen Ende des Dammes ein Biberkopf aus dem Wasser.
»Beeil dich!« schrie die Katze.
Tucker lief, ohne sich umzudrehen, so schnell sie konnte. Der Biber schwamm neben dem Damm her. Er hatte Tucker schon fast eingeholt.
»Laß sie in Ruhe. Sie will den Bach überqueren. Wir tun euch nichts«, flehte die Tigerkatze.
»Das sagen sie alle, und als nächstes tauchen Männer mit Gewehren auf, zerstören den Damm und töten uns. Hunde sind der Feind.«
»Nein, der Mensch ist der Feind.« Mrs. Murphy war verzweifelt. »Zu so einem Menschen gehören wir nicht.«
»Das mag ja stimmen, aber wenn ich einen Fehler mache, könnte meine ganze Familie draufgehen.« Der Biber war jetzt neben Tucker, die das Bachufer fast erreicht hatte. Er packte Tuckers Hinterbein.
Der Hund drehte sich blitzschnell um und knurrte wütend. Der Biber schreckte für einen Moment zurück. Tucker torkelte vom Damm, gerade als das große Tier wieder auf sie losging. Auf festem Boden waren Tucker und Mrs. Murphy schneller als der Biber. Sie fegten davon, daß ihre Füße kaum die Erde berührten.
Am Waldrand blieben sie stehen, um zu verschnaufen.
»Und wie kommen wir zurück?« überlegte Mrs. Murphy laut. »Ich mag nicht auf der Straße laufen. Die Leute fahren wie die Idioten.«
»Wir müssen eine Stelle zum Durchwaten finden, die weit genug stromabwärts liegt, daß der Biber uns nicht hören kann. Schwimmen geht jetzt nicht. Der ganze Bau wird auf dem Posten sein.«
»Wir werden über eine Stunde bis nach Hause brauchen, aber darüber wollen wir uns später den Kopf zerbrechen. Wenn wir rennen, können wir in zehn Minuten bei Kerry sein.«
»Ich krieg wieder Luft. Düsen wir los.«
Sie flitzten über die Felder mit wilden Mohrrüben, Prachtkerzen und hoher Goldrute. Ein kleines Backsteinfarmhaus kam in Sicht. Zwei Streifenwagen parkten hinter Kerrys Toyota. Der Kofferraumdeckel stand offen.
»Hoffentlich kommen wir nicht zu spät.« Murphy schaltete auf Höchstgeschwindigkeit.
Tucker, ein rasender Teufel, wenn es sein mußte, sauste neben ihr her.
Sie kamen bei den Autos an, als Kerry gerade von Sheriff Shaw aus ihrem Haus geführt wurde. Cynthia Cooper trug in einer Plastiktüte eine geflochtene seidene Vorhangkordel mit Quasten an den Enden.
»Verdammt!« fauchte Murphy.
»Zu spät?« Tucker, die ihr ganzes Leben mit Mrs. Murphy verbracht hatte, konnte sich denken, daß die Katze gerne ein paar Nachforschungen angestellt hätte, bevor die Polizei eintraf.
»Es gibt noch eine Chance. Du springst Cynthia an, wenn sie die Hand ausstreckt, um dich zu streicheln, und schnappst dir die Plastiktüte. Ich zerfetze sie, so schnell ich kann. Steck deine Nase rein und sag mir, ob Kerrys Geruch an der Kordel ist.«
Ohne zu antworten, stürmte Tucker auf Cynthia los, die beim Anblick des kleinen Hundes lächelte.
»Tucker, wie kommst du denn hierher?« Tucker schloß ihre mächtigen Kinnbacken um die durchsichtige Plastiktüte. Cynthia war völlig überrumpelt. »He!«
Tucker riß Cynthia die Tüte aus der Hand und raste damit zu Mrs. Murphy, die weiter hinten auf dem Feld hockte, wo Cynthia sie nicht sehen konnte.
Kaum hatte Tucker die Tüte vor Mrs. Murphys Nase fallen lassen, da fuhr die Katze die Krallen aus und riß, was das Zeug hielt. Cooper näherte sich ihnen, ohne allerdings zu wissen, daß Mrs. Murphy auch da war.