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Harry blinzelte. »Die Stempelfarbe.«

»Genau.« Mrs. Hogendobber faltete die Hände, erfreut über Harrys Leistung, als wäre sie eine Musterschülerin.

Mim war neugierig. »Wovon redet ihr beiden?«

Harry ging zu ihr hinüber und legte der älteren Marilyn den Brief in den Schoß. Mim holte ihre Halbbrille hervor und hielt sich den Brief vor die Nase.

»Sehen Sie sich die Farbe des Stempels an.« Harry suchte in den Stapeln nach einem anderen Brief aus Frankreich. »Ah, hier ist einer. Paris. Sehen Sie, hier die Farbe. Der ist von Kerry.«

»Anders, nur ein bißchen, aber auf jeden Fall anders.« Mim setzte die Brille ab. »Sind Stempelfarben nicht wie Farbpartien? Dieser Brief ist aus Paris. Der andere aus St. Tropez.«

»Ja, aber Poststempelfarben sind bemerkenswert konstant.« Harry war jetzt auf Händen und Knien auf dem Boden. Sie zog Briefe hervor. »Die Briefe von 1986 sind echt. Aber hier, hier ist einer aus Florenz, Dezember 1987.« Harry reichte Little Marilyn diesen Brief und zugleich einen aus Italien aus dem Jahr zuvor.

»Die sind tatsächlich eine Idee verschieden.« Little Marilyn war verwundert.

Sekunden später knieten Harry und Mrs. Hogendobber beide auf dem Boden und warfen die Briefe auf getrennte Stapel, nach Jahrgängen sortiert.

»Ihr beide seid fix. Laßt mich helfen.« Little Marilyn beteilig­te sich.

»Willst du im Postamt arbeiten?« witzelte Harry.

Mim blieb im Sessel sitzen. Die Knie taten ihr weh, und sie mochte es nicht zugeben. Schließlich hatten sie alle Stapel sor­tiert.

»Es besteht kein Zweifel. Kerrys Poststempel sind echt. Ays­has sind echt bis 1987. Dann ändern sich die Stempelfarben.« Harry rieb sich das Kinn. »Das ist eigenartig.«

»Das ist doch sicher ein Irrtum.« Mim war von der Tragweite dieser Entdeckung verwirrt.

»Mim, ich arbeite im Postamt, seit George es 1958 übernom­men hat. Dieser Poststempel ist gefälscht. Jeder gute Schreib­warenhändler kann einen runden Stempel machen. Das ist ganz einfach. Aysha hat die Stempelfarben fast hingekriegt, vermut­lich hat sie sich an den Poststempeln auf den Briefen orientiert, die sie von Little Marilyn und Kerry aus Europa bekommen hat, aber verschiedene Länder haben verschiedene Rezepturen. Denk nur an das Briefpapier selbst. Ist dir schon mal aufgefal­len, daß das Papier von einem privaten Brief aus England ein bißchen anders ist als unseres?«

Big Marilyn stellte die Schlüsselfrage: »Aber wie sind die Briefe hierhergekommen?«

»Das ist einfach, wenn man eine Freundin in Crozet hat.« Har­ry kreuzte die Beine wie ein Inder. »Sie brauchte nichts weiter zu tun, als die Briefe in einem großen Umschlag herzuschicken und von ihrer Freundin verteilen zu lassen.«

»So ungern ich es zugebe, aber als George Postvorsteher war, hat er eine Menge Leute hinter den Schalter gelassen. Das tun wir auch, ehrlich gesagt, wie ihr sehr wohl wißt. Es dürfte nicht viel dazu gehört haben, diese Briefe in das entsprechende Schließfach zu stecken, wenn gerade keiner hinsah. Einige Brie­fe sind an Little Marilyn zu Händen von Ottoline Gill adres­siert.« »Hm, ich glaube, wir wissen also, wer ihre Freundin war«, sagte Harry.

»Warum hätte ihre Mutter bei so einem Trick mitmachen sol­len?« Mim war verblüfft. Aber Mim war ja auch gesichert in ihrer gesellschaftlichen Stellung.

»Weil sie niemanden wissen lassen wollte, was Aysha wirk­lich machte. Vielleicht paßte es nicht ins Bild«, erwiderte Har­ry.

Little Marilyns Augen wurden weit. »Wo war sie dann, und was hat sie gemacht?« fragte sie.

43

Little Marilyn übergab Rick Shaw die Briefe noch am selben Abend. Als er kam, verpflichtete er alle zu Stillschweigen. Mim wollte wissen, was er zu unternehmen gedenke, was dabei he­rauskommen könne, und er antwortete schließlich: »Das weiß ich nicht genau, aber ich werde alles tun, um dahinterzukom­men. Ich schiebe das nicht auf die lange Bank, da können Sie sich auf mich verlassen.«

»Mir bleibt nichts anderes übrig.« Sie schürzte die Lippen.

Nachdem er gegangen war, löste sich die Gruppe auf, um nach Hause zu gehen. Little Marilyn zog Harry still beiseite und frag­te nervös: »Wärst du mir sehr böse - und glaub mir, ich würde es verstehen -, aber wenn nicht, hättest du was dagegen, wenn ich Blair frage, ob er mit mir nach Richmond zum Konzert fährt?«

»Nein, überhaupt nicht.«

»Weißt du, ich bin nicht sicher, wie es mit euch steht - nein, so wollte ich es nicht ausdrücken, aber.«

»Ist schon in Ordnung. Ich weiß es auch nicht genau.«

»Hast du ihn gern?« Sie merkte nicht, daß sie ihre Hände ver­krampfte. Es fehlte nicht viel, und sie hätte sie gerungen.

Harry holte tief Luft. »Er ist einer der bestaussehenden Män­ner, die mir je vor die Augen gekommen sind, und ich mag ihn. Ich weiß, dir gefällt sein lockiges Haar.« Sie lächelte. »Aber Blair ist zurückhaltend, gelinde gesagt. Er mag mich, aber ich glaube nicht, daß er in mich verliebt ist.«

»Weshalb dann der Streit auf der Party?«

»Zwei Hunde um einen Knochen. Ich frage mich, ob es um mich ging oder nicht vielmehr um Besitzansprüche.«

»O Harry, du bist zynisch. Ich glaube, beide haben dich sehr gern.«

»Sag mir, Marilyn, was bedeutet es für einen Mann, eine Frau gern zu haben?«

»Ich weiß, was sie sagen, wenn sie was von dir wollen.« Little Marilyn hielt inne. »Und sie kaufen dir Geschenke, sie geben sich alle Mühe, sie tun alles, um deine Aufmerksamkeit zu erringen. Aber ich bin keine Expertin in Sachen Liebe.«

»Wer ist das schon?« Harry lächelte. »Miranda vielleicht.«

»Sie hat George jedenfalls um den Finger gewickelt.« Dann hellte sich Little Marilyns Miene auf. »Weil sie wußte, daß der Weg zum Herzen eines Mannes durch den Magen geht.«

Beide lachten, worauf Mim und Mrs. Hogendobber sich nach ihnen umdrehten.

»Wie könnt ihr in so einer Situation lachen?« fuhr Mim sie an.

»Das löst die Spannung, Mutter.«

»Such dir eine andere Methode.«

Little Marilyn flüsterte Harry zu: »Ich könnte sie prügeln. Das würde bestimmt helfen.«

Harry flüsterte zurück: »Unterstützung wäre dir gewiß.«

»Mutter meint es gut, aber sie kann einfach nicht aufhören, allen zu sagen, was sie und wie sie es zu tun haben.«

»Wollt ihr beide wohl nicht so tuscheln!« befahl Mim.

»Wir haben über hohe Absätze als Waffe gesprochen«, schwindelte Harry.

»Oh.«

Little Marilyn nahm den Faden auf. »Nach all den Gewaltta­ten - Schüsse, Erdrosseln - unterhalten wir uns darüber, was wir tun würden, falls uns jemand angreift. Also, einfach die Schuhe ausziehen und ihn mit dem Absatz aufs Auge schlagen. So fest du kannst.«

»Grauenhaft. Oder ihn auf den Hinterkopf schlagen, wenn er rennt«, fügte Harry hinzu.

»Harry.« Mim starrte auf Harrys Füße. »Sie tragen doch nur Turnschuhe.«

»Erinnerst du dich an Delphine Falkenroth?« fragte Miranda Mim.

»Ja, das ist doch die, die gleich nach dem Krieg als Manne­quin nach New York gegangen ist.«

»Als sie einmal ein Taxi anhielt, ist ihr ein Mann zuvorge­kommen und hineingesprungen. Delphine sagte, sie hat sich an der Tür festgehalten und mit ihrem hohen Absatz so oft auf seinen Schädel eingeschlagen, daß er geflucht hat wie ein Be­senbinder, aber er hat ihr das Taxi überlassen.« Sie machte eine kurze Pause. »Natürlich hat sie ihn geheiratet.«

»Ach, so hat sie Roddy kennengelernt? Das hat sie mir nie er­zählt.« Mim genoß die Geschichte.

Harry flüsterte wieder mit Little Marilyn. »Der Pfad der Erin­nerungen. Ich hole jetzt Mrs. Murphy und Tucker und mache, daß ich nach Hause komme.«

Sobald sie zu Hause war, rief sie Cynthia Cooper an, die be­reits über die gefälschten Stempelfarben informiert war.