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»Ich hab eine Pistole in der Hand.«

»Die wird Ihnen nichts nützen.«

Aysha lachte. »Wenn ich zuerst schieße, schon.«

Ottoline rief heraus: »Cynthia, lassen Sie sie laufen. Nehmen Sie mich an ihrer Stelle fest. Sie hat ihren Mann verloren. Sie ist nicht ganz bei sich.«

Cynthia bemerkte die Katze und den Hund. »Raus mit euch.«

Mrs. Murphy schoß zum Vordereingang hinaus. Tucker war­tete einen Moment, warf Cynthia einen schmachtenden Blick zu, dann folgte sie ihrer Katzenfreundin.

»Tucker, hintenrum. Vielleicht kann ich durch ein Fenster rein.«

Sie hörten Harrys Stimme. »Aysha, ergib dich. Vielleicht machst du es dir dadurch leichter.«

»Halt den Mund!«

Harrys geliebte Stimme spornte beide Tiere an. Mrs. Murphy raste zu dem niedrigen Sprossenfenster. Geschlossen. Ash Lawn hatte eine Klimaanlage. Katze und Hund sahen Harry mitten im Zimmer; eine Pistole war auf sie gerichtet.

Ottoline stand abseits neben der Tür.

»Tucker, diese alten Fenster sind ganz niedrig. Meinst du, du kannst da durchkrachen?«

»Ja.«

Sie rannten knapp fünfzig Meter zurück, drehten dann um und sausten auf die alte mundgeblasene Scheibe zu. Tucker hob einen Sekundenbruchteil vor Murphy vom Boden ab, zog den Kopf ein und knallte mit der Schädeldecke gegen das Glas. Mrs. Murphy, die Augen wegen des splitternden Glases fest zuge­kniffen, segelte ganz knapp hinter Tucker ins Zimmer. Glas­splitter flogen überallhin.

Aysha fuhr herum und schoß. Sie war so auf einen menschli­chen Gegner eingestellt, daß sie nicht mit den Tieren gerechnet hatte. Tucker sprang noch im Laufen hoch und traf sie mit vol­ler Wucht, und sie taumelte rückwärts.

Ottoline schrie: »Erschieß den Köter!«

Mrs. Murphy sprang hoch und grub ihre Fangzähne in Ayshas rechtes Handgelenk, während sie mit den Krallen der Vorder­- und Hinterpfoten ihren Unterarm packte. Dann schlug sie ihr die Zähne mit aller Macht ins Fleisch.

Aysha heulte auf. Harry rammte sie mit der Schulter, und sie stürzten zu Boden. Tucker schloß ihre Kinnbacken um ein Bein. Ottoline rannte herbei, um nach dem Hund zu treten.

Mrs. Murphy lockerte ihren Griff und schrie: »Die Hand, Tu­cker, schnapp dir die Hand. « Tucker setzte über die zappelnden Leiber hinweg. Ottolines Tritt kam einen Sekundenbruchteil zu spät. Aysha war gerade im Begriff, Harry auf den Kopf zu schlagen, da fiel Tucker über ihre Hand her und biß tiefe Löcher in die fleischige Handfläche. Aysha ließ die Pistole fallen. Ottoline griff geschwind danach. Tucker lief lautlos hinter sie und biß auch sie, dann schnappte sie sich die Pistole.

Harry schrie: »Coop! Hilfe!«

Mrs. Murphy krallte sich weiterhin an Aysha fest, während Tucker der entschlossenen Ottoline auswich, die es auf die Pi­stole abgesehen hatte.

Coop hielt ihre Dienstpistole mit beiden Händen und zerschoß das Türschloß. »Es ist aus, Aysha.« Sie richtete ihre Waffe auf die kämpfenden Frauen.

Harry, die unter dem linken Auge bereits eine Schwellung hat­te, ließ Aysha los und rappelte sich hoch. Sie rang nach Atem. Ottoline lief hinter Coop und umfaßte ihren Hals, doch Coop duckte sich und versetzte ihr mit dem Ellbogen einen Stoß in die Magengrube. Mit einem »hmpf« ließ Ottoline los.

Aysha wollte schnell zur Tür hinaus, aber Harry hinderte sie daran.

Coop schob Ottoline zu Aysha hinüber, die langsam aufstand.

»Du warst so gerissen, Aysha, aber ein Hund und eine Katze haben dich zur Strecke gebracht«, triumphierte Harry, als Tu­cker ihr die Pistole brachte.

»Man wird immer von dem erwischt, mit dem man nicht rechnet.« Cynthia ließ ihre Beute nicht aus den Augen.

Rick Shaw stürmte herein. Er erfaßte die Situation und fessel­te Aysha und Ottoline mit Handschellen Rücken an Rücken zusammen, dann informierte er sie über ihre Rechte.

»Au.« Aysha zuckte zusammen, als die Handschellen die Stel­len berührten, wo Mrs. Murphy und Tucker ihre Hand aufgeris­sen hatten.

Harry hockte sich hin und streichelte ihre Freundinnen. Sie untersuchte ihre Pfoten nach Einschnitten vom Glas.

»Warum?« fragte Harry.

»Warum nicht?« gab Aysha schnippisch zurück.

»Na schön, dann wie?« fragte Cynthia.

»Ich habe das Recht zu schweigen.«

»Beantworte mir eine Frage, Aysha.« Harry wischte sich den Staub ab. »War Norman beteiligt?«

Aysha zuckte die Achseln, ohne die Frage zu beantworten.

Ottoline lachte spöttisch. »Dieser Feigling. Der hatte Angst vor seinem eigenen Schatten.« Ottoline wandte sich an Rick Shaw. »Sie machen einen großen Fehler.«

Aysha sagte, immer noch keuchend: »Mutter, das Reden wird mein Anwalt übernehmen.«

Harry nahm die schnurrende Mrs. Murphy auf den Arm.

»Aysha, deine Briefe an Marilyn aus St. Tropez und Paris und sonst woher - du hast die Poststempel gefälscht, und das war gute Arbeit. Aber die Stempelfarben zu fälschen ist viel schwie­riger.«

Ottoline murrte: »Das können Sie nicht vor Gericht beweisen. Und bloß weil ich gefälschte Postkarten verteilt habe, ist meine Tochter noch lange keine Verbrecherin.«

Ayshas Augen wurden eng, dann weit. »Mutter, alles, was du sagst, kann gegen mich verwendet werden!«

Ottoline schüttelte den Kopf. »Ich will reinen Tisch machen. Ich brauchte Geld. Eine Bank zu bestehlen ist lächerlich ein­fach. Die Crozet National Bank war sehr schlampig in puncto Sicherheitsmaßnahmen. Norman war Wachs in meinen Händen. Es war wirklich ganz leicht. Als er schwach wurde, hab ich ihn erdrosselt. Als er an der Konservenfabrik langsamer wurde, kam ich vorn Rücksitz hoch und hab ihm gesagt, er soll anhal­ten. Er war schwerer zu töten, als ich dachte, aber ich hatte das Überraschungsmoment auf meiner Seite. Wenigstens mußte ich mir nicht mehr sein Gejammer anhören, was passieren würde, wenn er erwischt wird.«

Mrs. Murphy streckte die Pfote mit ausgefahrenen Krallen aus. »Aysha, willst du etwa zusehen, wie deine Mutter die gan­ze Schuld auf sich nimmt?«

»Ich hasse Katzen«, fauchte Aysha die kleine Tigerkatze an, die ihre Pläne durchkreuzt hatte.

»Tja, die hier war schlau genug, Ihnen das Handwerk zu le­gen«, sagte Cynthia sarkastisch.

»Das genügt.« Rick wollte Mutter und Tochter aufs Revier bringen, um sie einzulochen. Er deutete auf den Streifenwagen. Da sie Rücken an Rücken gefesselt waren, erwies sich das Ge­hen als schwierig.

»Haben Sie Hogan Freely auch getötet?« fragte Harry Ottoli­ne.

»Ja. Erinnern Sie sich, als wir in Market Shifletts Laden wa­ren? Hogan sagte, er wolle noch spät arbeiten und auf den Computer einhämmern. Mit seinem Verstand hätte er glatt.«

»Mutter, sei still!« stieß Aysha stotternd hervor.

»Aber wenn Hogan nun hinter mein System gekommen wä­re?« sagte Ottoline mit der Betonung auf »mein«.

»Es gibt kein System, Mutter. Norman hat die Bank bestohlen. Hogan hat ihn bedroht. Er hat Hogan getötet, und seine Kom­plizin in der Bank hat ihn getötet. Kerry war seine Partnerin. Er hat mich betrogen.«

»Tatsächlich?« Ottolines Augenbrauen schnellten in die Höhe. Sie überlegte einen Moment, dann wechselte ihr Tonfall, da sie Ayshas verzweifeltem Gedankengang folgte. »So ein elender Wurm!«

»Aysha, wir wissen, daß du in der Anvil-Bar gearbeitet hast. Das kannst du nicht leugnen«, erklärte Harry, die noch immer innerlich kochte vor Wut, als sie ihnen zum Streifenwagen folg­te.

»So?«

Ottoline fuhr geschwind fort und brabbelte, als könne sie da­mit die Anwesenden von der Fährte ablenken: »Ich mußte etwas tun. Ich meine, wo meine Tochter, eine Gill, in so einem Lokal arbeitete. Sie durchlief natürlich nur eine Phase, aber denkt nur, wie das ihre Chancen auf eine gute Partie hätte ruinieren kön­nen, wenn sie wieder nach Hause käme, was sie früher oder später natürlich tun würde. Deswegen bat ich sie, Postkarten zu schreiben, als ob sie noch in Europa wäre. Den Rest habe ich besorgt. Sie hatte sich ja von Marilyn und Kerry abgesetzt, sie wußten also nicht genau, wo sie war. Gefälschte Postkarten zu verschicken war nicht weiter schwierig, und Ayshas Ruf blieb unbefleckt. Ich weiß nicht, warum junge Leute diese rebelli­schen Phasen durchlaufen müssen. Meine Generation hat das nie getan.«