»Manche packt es eben auf diese Weise«, fügte Kerry wehmütig hinzu.
»Schätze, er wurde immer einsamer, und.« Susan hielt inne. »Spielt wohl keine Rolle. Aber ich kapier immer noch nicht, wie er darauf kam, sie in Ash Lawn zu suchen.«
»Ja, das ist merkwürdig.« Little Marilyn erinnerte sich an seinen Besuch.
»Ich habe den Verdacht, daß Aysha mit ihrer Herkunft geprahlt hat, das alte Virginia-Laster. Vermutlich hat sie erzählt, sie sei oder werde demnächst Fremdenführerin in Monticello oder Ash Lawn oder dergleichen. Ich bezweifle, daß wir es jemals erfahren werden; denn sie schweigt wie ein Grab.« Cynthia schüttelte den Kopf. »Wenn Ottoline sich nicht ständig verplappern würde, hätten wir nicht mal genug Informationen, um einen Fall zu konstruieren.«
»Armer Norman, das perfekte Rädchen in ihrem Getriebe.« Kerrys Augen trübten sich.
»Warum konnte Mike seinen Plan nicht verwirklichen?« fragte Little Marilyn.
»Ein Mann wie er hatte bestimmt keine Freunde in einer Bank. Er brauchte einen Partner, der entweder welche hatte oder gesellschaftlich anerkannt war. Ich nehme an, der ursprüngliche Plan sah vor, daß Aysha in einer Bank arbeitete«, bemerkte Mim scharfsinnig.
»Aysha hatte beschlossen, es ohne ihn durchzuziehen«, sagte Cynthia. »Als er aufkreuzte, erzählte sie ihm listig, sie hätte in der Bank einen Dummen gefunden. Das Geschäft könne sofort steigen. Obwohl Mike sie vermutlich liebte, wie Blair meint, konnte sie keine Macht über ihn ausüben, wie sie es mit Norman konnte. Und sie hatte es entschieden auf den ganzen Leckerbissen abgesehen.«
»Ich muß dauernd an den armen Hogan denken. Wie er da in Markets Laden stand und uns erzählte - uns und Aysha -, daß er an dem Abend noch spät arbeiten wollte.« Susan schauderte bei der Erinnerung.
»Er hat ihr mit Sicherheit einen Schrecken eingejagt. Der Nebel war reine Glückssache.« Cynthia schaute zu Blair hinüber. Er sah so gut aus, sie konnte den Blick nicht von ihm wenden.
Little Marilyn bemerkte: »Gott sei gedankt für Mrs. Murphy und Tee Tucker, sie sind die eigentlichen Heldinnen.«
»Bildet euch bloß nichts darauf ein«, murrte Pewter.
»Du bist ja bloß sauer, weil du die Party verschlafen hast«, sagte Mrs. Murphy von oben herab und putzte sich.
»Stimmt.« Pewter schlich auf Zehenspitzen zu den zugedeckten Schüsseln in der Küche.
»Hat sie Reue gezeigt?« fragte Mrs. Hogendobber.
»Kein bißchen.«
»Ottoline sagt, Aysha wurde in eine Falle gelockt. Sie behauptet, Kerry sei die eigentliche Schuldige, wogegen sie, Ottoline, Norman umgebracht habe, um ihrer Tochter eine qualvolle Ehe zu ersparen.« Mim erhob sich und machte ein Zeichen, daß es Zeit zum Essen sei. »Aber Ottoline war ja schon immer eine dumme Gans.«
»Von wem war das Blut auf den Satteltaschen?« fragte Harry.
»Was für Blut?« Mim winkte Little Marilyn zu sich. »Ich weiß nichts von Blut.«
»Ein paar Blutstropfen auf Mike Hucksteps Satteltaschen.« Cynthia musterte ihre Hände und befand, daß sie sie vor dem Essen waschen mußte.
»Von Aysha. Sie muß eine kleine Verletzung gehabt haben.«
Unterdessen hatten die Menschen die Küche in Beschlag genommen. Sie hätten ja gerne auf Fair gewartet, aber ihre Mägen nicht.
Außerdem konnte man bei einem Tierarzt nie wissen, wie lange er zu tun hatte.
Little Marilyn hatte knusprig gebratene Hühnchen mitgebracht.
»Vergeßt uns nicht«, tönte es im Chor vom Fußboden.
Aber nein. Jedes Tier erhielt leckeres, in kleine Würfel geschnittenes Hühnerfleisch. Während die Menschen mit ihren Tellern wieder ins Wohnzimmer gingen, fraßen die Tiere selig vor sich hin.
Miranda fragte: »Und was war mit Kerry?«
»Aysha war glatt, aalglatt.« Cynthia legte ihr Hühnerbein hin. »Sie hat das Wort Threadneedle in erster Linie verwendet, weil sie wußte, daß Kerry bei einer Londoner Bank nahe der Bank von England in der Threadneedle Street gearbeitet hat. Sie hatte sich ausgerechnet, daß Kerry, sobald wir diesem Umstand auf die Spur kämen, den Hals in der Schlinge hätte. Aysha hatte sich einen falschen Führerschein besorgt mit ihren Daten und ihrem Foto, aber mit Kerrys Namen, Adresse und Sozialversicherungsnummer, die sie aus dem Bankcomputer in Normans Büro abgerufen hatte. Damit hat sie bei Hassett die Waffe gekauft.«
»Falsche Führerscheine?« Miranda war erstaunt.
»High-School-Schüler sind ein großer Markt dafür - damit sie Alkohol kaufen können«, sagte Harry.
»Woher wissen Sie das?« erkundigte sich Miranda.
Harry hob die Stimme. »Oh.«
»Wie gut, daß Ihre Mutter das nicht mehr hören kann.«
»Ja«, pflichtete Harry Miranda bei.
»Aber warum hat Aysha Norman umgebracht? Er hat sie doch gedeckt«, wollte Marilyn wissen.
»Hat sie gar nicht«, platzte Harry heraus, nicht aus Kenntnis, sondern aus Intuition und dem, was sie in Ash Lawn beobachtet hatte.
»Norman ist nach Hogans Ermordung ausgestiegen. Wirtschaftskriminalität war ja gut und schön, aber Mord - da bekam er kalte Füße. Aysha fürchtete, er würde durchdrehen und sie verraten. Aus Angst, daß ihre Tochter erwischt würde, hat Ottoline ihn dann wohl erdrosselt. Ich bin sicher, daß das alte Mädchen diesbezüglich die Wahrheit sagt, obwohl wir keinen Beweis haben.« »Dann hat Ottoline es die ganze Zeit gewußt.« Harry war verblüfft.
»Nicht von Anfang an.« Cynthia zuckte die Achseln. »Als Mike Hucksteps Leiche gefunden wurde, hat's bei Ottoline zum erstenmal geklingelt. Als Hogan ermordet wurde, muß sie es gewußt haben. Vielleicht hat Aysha es ihr sogar erzählt. Wie gesagt, Aysha leugnet alles, und Ottoline gesteht alles.«
»Sie hat getötet, um ihre Tochter zu schützen.« Mim schüttelte den Kopf.
»Zu spät. Und die Mordwaffe in Kerrys Toyota zu deponieren - das war auffällig und ungeschickt.«
»Dann war das Aysha auf dem Motorrad, das aus Sugar Hollow kam?« Harry erinnerte sich an ihre brenzlige Begegnung.
»Ja.« Cynthia verzehrte einen Hühnerflügel, während die anderen tratschten.
»Wißt ihr« - Mim wechselte das Thema -, »Ottoline war immer Ayshas Sicherheitsnetz. Sie ließ sie nie erwachsen werden, so daß sie nie für ihr Handeln verantwortlich war. Die falsche Art Liebe«, bemerkte Mim. »Ich hoffe, daß ich dir das nicht angetan habe.«
Ihre Tochter erwiderte: »Na ja, Mutter, du würdest mit Freuden mein Leben für mich leben und das aller anderen in diesem Zimmer obendrein. Du bist nun mal ein Tyrann.«
Stille senkte sich über die Gruppe.
Big Marilyn brach das Schweigen: »Ach.?«
Alle lachten.
»Hattet ihr vermutet, daß es Aysha war?« fragte Pewter mit vollem Mund.
»Nein. Wir haben nur gewußt, daß es nicht Kerry war. Zumindest waren wir uns ziemlich sicher, daß sie's nicht war«, antwortete Tucker.
»Bin ich froh, daß wir noch leben.« Murphy schnippte mit dem Schwanz. »Ich verstehe nicht, warum die Menschen sich gegenseitig töten. Das werde ich wohl nie begreifen.«
»Du mußt sie lieben, wie sie sind.« Tucker pirschte sich an Pewters Teller heran, um ihn zu beschnuppern.
Pewter versetzte Tucker einen Nasenstüber. »Weg da. Wilddiebe muß ich überhaupt nicht lieben!«
Tucker zuckte zusammen. »Du brauchst so lange zum Essen.«
»Wenn du langsamer essen würdest, hättest du mehr davon«, riet Pewter ihr.
Sie hörten den Kombi des Tierarztes draußen vorfahren, das Schlagen einer Tür, dann stieß Fair die Fliegentür auf. Die Anwesenden, alle ins Essen vertieft, begrüßten ihn. Dann fiel es einem nach dem anderen auf.
»Was haben Sie denn gemacht?« rief Mrs. Hogendobber aus.