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»Wir haben den Kontrolleuren nie etwas verheimlicht«, beteuerte Mastras. »Sie gucken sich hier um, und sie kriegen alles von uns, was sie haben wollen, sämtliche Unterlagen. Wir waren immer sauber.«

»Sie meinen, der winzige Bruchteil von Proben, die kontrolliert worden sind, ist sauber gewesen«, entgegnete Davies.

»Ihr wisst ganz genau, dass wir am Arsch sind, wenn sich herumspricht, dass ihr Jungs bei uns herumschnüffelt«, brüllte Mastras über den Lärm der Bulldozer hinweg. Er hatte rote Haare und eine kränklich blasse Haut, und er war Stanton sofort unsympathisch gewesen. »Irgendwas bleibt immer hängen, auch wenn sich hinterher herausstellt, dass der Verdacht unbegründet war.«

»Die Öffentlichkeit wird nichts erfahren, bis wir den Seuchenherd gefunden haben«, versicherte Davies. »Das Seuchenzentrum hält die Angelegenheit unter Verschluss.«

Stanton versuchte anhand der Überreste zu schätzen, wie viele Tierkadaver sich in der Grube befanden. »Das ist viel mehr, als hier geschlachtet wird«, sagte er dann. »Nehmen Sie auch Schlachtabfälle von anderen Farmen an?«

»Ja, manchmal«, antwortete Mastras. »Aber wir nehmen kein abgepacktes Fleisch aus den Supermärkten, und diese Flohhalsbänder mit Insektiziden dran werden auch nicht mit vermahlen. Im Tierheim werden die Halsbänder abgenommen, bevor sie die Kadaver anliefern. Sonst nehmen wir sie nicht. Die Bosse legen Wert darauf, dass die Richtlinien eingehalten werden.«

»Oder, wie wir es nennen, das Gesetz«, sagte Davies trocken.

Sie blieben vor einer Reihe von Fließbändern stehen, auf denen die gehäuteten Kadaver verschiedener Tiere von den Lastwagen hereinkamen, die sie angeliefert hatten. Alle Fließbänder waren überzogen mit einer breiigen Masse aus Organen, blutigen Häuten, Knochen, zerschmetterten Gebissen. Davies wandte sich zu dem Band hin, auf dem die Überreste von Schweinen hereinbefördert wurden, während sich Stanton auf die Rinder konzentrierte.

Mit einer Zange und mit einem Schablonenmesser säbelte Davies Proben von verschiedenen Stücken ab und gab sie in einen Probenbehälter für das antikörperbasierte Nachweisverfahren ELISA. Er hatte diese Methode vor etlichen Jahren als Test zur Bestimmung von BSE entwickelt. Stanton hatte eine Plastikschale mit zwanzig Vertiefungen vor sich, von der jede mit einer klaren eiweißhaltigen Flüssigkeit gefüllt war. Er gab kleine Fleischstückchen in jede Vertiefung. Wenn sie mutierte Prionen enthielten, würde sich die Lösung dunkelgrün färben.

Zehn Minuten später hatten sie etwa ein Dutzend Proben genommen und untersucht. Keine einzige Lösung hatte reagiert. Stanton wiederholte den Vorgang, doch das Ergebnis blieb das gleiche.

»Keine Reaktion«, meinte Davies achselzuckend. »Vielleicht spricht der Erreger auf ELISA nicht an.«

Stanton wandte sich an Mastras. »Wo sind Ihre Lastwagen?«

Mastras führte sie zu den Verladerampen, wo sie jeden Quadratzentimeter der Fahrzeuge untersuchten, in denen die Tierkadaver aus den Schlachthöfen hertransportiert wurden. Stanton und Davies tupften mit Wattestäbchen die blutverschmierten Wände und den Boden von zweiundzwanzig Lkw ab. Jede Probe war negativ. Keine der ELISA-Lösungen hatte sich verfärbt.

Jetzt lächelte Mastras. Er sprang von der Ladefläche des letzten Lastwagens, griff zum Telefon und gab seinem Vorgesetzten Bescheid, dass unverzüglich mit der Auslieferung des Fleisches an die Schulkantinen begonnen werden konnte. Eine Million Kinder und Jugendliche würden an diesem Tag Fleisch von Havermore auf dem Teller haben, und Stanton konnte nichts dagegen tun.

»Ich hab’s Ihnen doch gesagt«, triumphierte Mastras. »Wir sind sauber.«

Stanton hoffte inständig, dass sie nichts übersehen hatten, und machte sich Vorwürfe, weil er allen Ernstes geglaubt hatte, sie würden den Fall im Handumdrehen aufklären. Die Verarbeitung von Schlachtabfällen war nur eine von vielen gefährlichen Arten, wie der Mensch das Fleisch, das er aß, manipulierte. Sie würden ihre Suche nach dem Infektionsherd ausweiten müssen. Mit jeder Stunde konnten sich weitere Menschen infizieren.

Als Stanton aus dem Lastwagen kletterte, sah er, dass Mastras von der Laderampe gesprungen war und ein Stück die Straße hinunterging. Er starrte auf irgendetwas in der Ferne. Stanton folgte ihm. Dann sah er es auch. In Staubwolken gehüllte Vans, auf deren Dach Antennen in alle Richtungen zeigten, näherten sich mit hoher Geschwindigkeit.

Mastras drehte sich zu Stanton um und knurrte: »Dreckskerl.«

Fernsehteams rasten auf sie zu.

6

Die Reportermeute vor dem Presbyterian Hospital machte Chel noch nervöser, als sie ohnehin schon war. Die Ärztin, mit der sie telefoniert hatte, hatte gesagt, der Fall müsse absolut vertraulich behandelt werden. Chel war das nur recht. Ihre Beweggründe hier waren kompliziert, und je weniger Aufmerksamkeit sie auf sich zog, desto besser. Aber irgendetwas musste passiert sein, irgendetwas Schlagzeilenträchtiges: Der Parkplatz des Krankenhauses wimmelte regelrecht von Fernsehteams und Kameras und Reportern.

Chel blieb einen Augenblick im Auto sitzen und überlegte, wie groß die Chance war, dass die Anwesenheit der Medien etwas mit dem Grund ihres Besuchs hier zu tun haben könnte. Wenn sie hineinging und es stellte sich heraus, dass es eine Verbindung gab zwischen dem Patienten und dem Maya-Kodex, kam sie womöglich in ernste Schwierigkeiten. Wenn sie aber nicht hineinging, würde sie vielleicht nie erfahren, warum ein kranker Indio das Maya-Wort für »Buch« oder »Kodex« ständig wiederholte – und das einen Tag, nachdem Gutierrez aufgetaucht und ihr das möglicherweise bedeutendste Dokument in der Geschichte ihres Volkes anvertraut hatte. Chels Neugier siegte über ihre Angst.

Zehn Minuten später stand sie neben Dr. Thane am Bett des Patienten im sechsten Stock des Krankenhauses. Zutiefst bestürzt betrachtete sie den Mann, der sich schwitzend und offenbar unter Schmerzen hin und her wälzte. Chel wusste nicht, wie er hierhergekommen war, aber weit weg von zu Hause an einem fremden Ort zu sterben war das denkbar schlimmste Schicksal.

»Wir müssen herausfinden, wie er heißt, wie er hierhergekommen ist, wie lange er schon in den Staaten ist und wann er krank geworden ist«, sagte Thane. »Alles, was Sie in Erfahrung bringen können. Jede Kleinigkeit kann wichtig sein.«

Chel nickte und sah wieder John Doe an. »Chaqi’j, i’j-chi …«, murmelte er auf Qu’iche.

»Er möchte Wasser«, sagte Chel zu Thane. »Können Sie ihm welches holen?«

Thane zeigte auf den Tropf des Patienten. »Er ist garantiert nicht so ausgetrocknet wie ich im Moment.«

»Er sagt, er hat Durst.«

Die Ärztin nahm den Krug vom Nachttisch neben John Does Bett, füllte ihn am Waschbecken mit Wasser und schenkte ihm dann einen Becher voll ein. Der Mann griff mit beiden Händen danach und trank ihn hastig aus.

»Ist es gefährlich, wenn man näher rangeht?«, fragte Chel.

Thane schüttelte den Kopf. »Die Krankheit wird durch verseuchtes Fleisch übertragen. Mit dem Mundschutz soll verhindert werden, dass wir ihn mit irgendetwas infizieren. Sein Immunsystem ist stark geschwächt.«

Chel zog ihren Mundschutz zurecht und trat näher an das Bett. Sie betrachtete den Mann aufmerksam. Es war unwahrscheinlich, dass er ein Händler war: Die Maya, die an den größeren Straßen von Guatemala den vorbeikommenden Touristen ihre Waren anboten, schnappten ein paar Brocken Spanisch auf. Er hatte weder Tätowierungen noch Piercings, er war also auch kein Schamane oder Priester. Aber seine Handflächen waren schwielig, am Ansatz der Finger hatte sich eine harte Hornhaut gebildet, und die Haut war vom Knöchel bis zum Daumenballen aufgesprungen und rissig. So sah eine Hand aus, die mit der Machete arbeitete, jenem Werkzeug, das die Indios zum Roden des Urwalds benutzten – und mit dem sich Plünderer auf der Suche nach antiken Ruinen einen Weg durchs Dickicht bahnten.