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»Volcy, ja ’e?«

Keine Antwort.

Stanton drehte den Türknauf. Die Tür war nicht verschlossen. Er öffnete sie und sah Volcy auf dem Boden liegen, mit dem Gesicht nach unten, als wäre er bewusstlos zusammengebrochen. Das Bad glich einem Trümmerfeld: Fliesen waren kaputt geschlagen, das Waschbecken war aus der Halterung gerissen, Kupferrohre ragten aus der Wand, und Wasser lief heraus.

»Masam … ahrana … Janotha«, murmelte der Indio.

Stanton kniete sich neben Volcy, packte dessen Arm und legte ihn sich über die Schultern, fasste den Mann dann um die Taille und zog ihn vom Boden hoch. Arme, Beine und Oberkörper waren angeschwollen und sahen aus wie aufgeblasen. Als drohte der Mann zu platzen, wenn er nicht punktiert würde. Seine Haut war eiskalt.

»Einen Arzt, schnell!«, schrie Stanton.

Chel stand wie gelähmt in der Tür zum Bad.

»Los, worauf warten Sie noch! Beeilen Sie sich!«

Endlich kam Bewegung in sie. Sie rannte aus dem Zimmer, und Stanton wandte sich wieder zu dem Kranken hin. »Halten Sie sich an mir fest, Volcy.« Er schleppte den Indio zum Bett. »Nicht ohnmächtig werden«, keuchte er. »Bleib bei mir, hörst du? Komm schon!«

Eine Ärztin und zwei Schwestern stürzten ins Zimmer. Volcy atmete kaum noch. Er hatte so viel Wasser getrunken, dass sein Herz überlastet war. Man injizierte ihm Medikamente gegen einen drohenden Herzstillstand und presste ihm eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht. Doch es war abzusehen, dass sie den Kampf verlieren würden. Drei Minuten später blieb Volcys Herz stehen.

Die Anästhesistin griff zu den Paddles des Defibrillators und jagte dem Patienten eine Reihe von Stromstößen, jeder stärker als der vorige, in den aufgedunsenen Körper. Volcy bäumte sich jedes Mal auf, und dort, wo die Paddles aufgesetzt worden waren, wies die Haut Verbrennungen auf. Stanton begann mit der Herzmassage, etwas, was er seit seiner Zeit als Assistenzarzt nicht mehr gemacht hatte. Die Hände oberhalb des Brustbeins übereinandergelegt, drückte er ein paar Mal kurz hintereinander auf den Brustkorb, so fest er konnte. Eins, zwei, drei, vier …

Nach einer Weile fasste die Anästhesistin Stanton am Arm und zog ihn mit sanfter Gewalt vom Bett weg. »Todeszeitpunkt 12 Uhr 26«, stellte sie sachlich fest.

***

Von der Schnellstraße 101 jagten weitere Rettungswagen heran. Stanton versuchte, ihre heulenden Sirenen auszublenden, während er und Thane zusahen, wie die Pfleger Volcys Leichnam in einen Leichensack hoben. »Er hat eine Woche lang stark geschwitzt«, bemerkte Thane. »Er muss völlig dehydriert gewesen sein.« Stanton schaute auf den blau verfärbten, aufgedunsenen Körper und meinte: »Das kommt nicht von den Nieren, sondern vom Gehirn.«

Thane machte ein verwirrtes Gesicht. »Sie meinen, so was wie Polydipsie?«

Stanton nickte. Patienten mit psychogener Polydipsie litten an einem übermäßigen Durstgefühl. Ihr Durst quälte sie so sehr, dass sogar das Wasser von Waschbecken und Toilette abgestellt werden musste. Im schlimmsten Fall, wie in diesem hier, kam es zu Herzversagen aufgrund der übermäßigen Flüssigkeitszufuhr. Stanton hatte zwar noch keinen FFI-Patienten mit Polydipsie erlebt, aber jetzt war er wütend auf sich selbst, weil er diese Möglichkeit nicht in Betracht gezogen hatte.

»Ich dachte, das sei ein Symptom von Schizophrenie.« Thane sah Volcys Krankenakte durch auf der Suche nach Hinweisen, die zur Klärung der Todesursache beitragen könnten.

»Nach einer Woche ohne Schlaf sind Symptome von Schizophrenie durchaus denkbar.«

Stanton stellte sich die schrecklichen letzten Minuten in Volcys Leben vor, während die Pfleger den Reißverschluss des Leichensacks zuzogen. Schizophrenie äußerte sich unter anderem durch Halluzinationen und Wahnvorstellungen. FFI-Patienten zeigten nicht selten die gleichen Symptome. Stanton hatte sich schon oft gefragt, ob Schlaf das Einzige war, das geistig Gesunde gesund erhielt.

»Wo ist eigentlich Dr. Manu geblieben?«, fragte Thane.

»Vor einer Minute war sie noch da.«

»Na ja, man kann es ihr nicht verdenken, dass sie bei dem Anblick die Flucht ergriffen hat.«

»Sie war die Letzte, die mit ihm gesprochen hat«, sagte Stanton. »Wir müssen sie finden. Sie soll alles, was er gesagt hat, so genau wie möglich aufschreiben.«

Volcys Leichnam wurde auf eine fahrbare Trage gehoben und aus dem Zimmer gerollt. Stanton würde die Obduktion später gemeinsam mit den Pathologen durchführen.

»Eigentlich hätte ich hier oben sein müssen«, sagte Thane. »Aber ich wurde unten in der Notaufnahme gebraucht. Die schicken uns viel zu viele Schwerverletzte von diesem Unfall. Da unten sieht es aus wie in einem gottverdammten Feldlazarett in Afghanistan.«

»Sie hätten nichts mehr tun können.« Stanton nahm seine Brille ab.

»Da schläft irgend so ein Arschloch auf der Schnellstraße in seinem Geländewagen ein, und alle anderen Patienten bei uns müssen es büßen«, knurrte Thane.

Stanton trat ans Fenster, schob den Vorhang auf und schaute hinunter. Ein weiterer Rettungswagen raste mit heulender Sirene heran und hielt vor der Notaufnahme. »Der Fahrer, der die Massenkarambolage verursacht hat, ist am Steuer eingeschlafen?«

Thane zuckte die Achseln. »Das hat die Polizei jedenfalls gesagt.«

Stanton starrte angestrengt auf die zuckenden Lichter der Einsatzfahrzeuge.

8

Hector Gutierrez hasste es, seine Frau belügen zu müssen, aber er wollte nicht, dass sie erfuhr, in was für Schwierigkeiten er steckte. Noch mehr aber quälte ihn der Gedanke, dass Ernesto, sein kleiner Sohn, seinen Vater vermutlich nicht mehr wiedererkennen würde, wenn dieser aus dem Gefängnis entlassen würde. Zum Glück hatte er seinen Lagerraum ausgeräumt, bevor die Bullen angerückt waren und alles durchsucht hatten. Aber früher oder später würden sie sich garantiert auch sein Haus vornehmen. Sein Informant bei der Einwanderungs- und Zollbehörde, von dem der Tipp gekommen war (für den er großzügig bezahlt worden war), hatte ihm gesteckt, dass schon seit Monaten gegen ihn ermittelt wurde. Noch reichten die Beweise allerdings nicht aus für eine Anklage. Aber falls sie alles herausfänden, drohten Hector bis zu zehn Jahre Gefängnis.

Deswegen hatte er die letzten Tage so viel Zeit mit seinem Sohn verbracht wie nur möglich. Letzten Sonntag war er mit ihm in den Vergnügungspark Six Flags gefahren, wo sie sich in alten Achterbahnen hatten durchschütteln lassen. Ernesto hatte viel Spaß gehabt, was Hector ganz glücklich machte. Dennoch wurde er das Gefühl nicht los, dass sie auf Schritt und Tritt verfolgt wurden. Er hatte verschwommene Gesichter bei der Arkade entdeckt und merkwürdige Schatten auf den Funnelcakes, den süßen Kuchen, die zum Besuch eines Freizeitparks gehörten. Und obwohl es endlich Winter geworden war in Los Angeles, hatte er den ganzen Tag fürchterlich geschwitzt. Als sie nach Hause kamen, waren Hemd und Socken nassgeschwitzt.

An dem Abend hatte er die Klimaanlage auf die höchste Stufe gestellt und sich dann mit Maria vor den Fernseher gesetzt. Während sie sich Comedyserien anschauten, zerbrach sich Hector den Kopf, wie er ihr beichten sollte, in was für Schwierigkeiten er steckte. Um zwei Uhr früh, als Maria schon lange selig schlief, saß Hector immer noch hellwach und schweißgebadet vor dem Fernseher. Seit seinem Teenagerflirt mit Kokain hatte er sich nicht mehr so angespannt gefühlt, so reizempfindlich. Jedes Geräusch tat ihm in den Ohren weh: das Summen des Kabelkastens, Ernestos Zähneknirschen im Schlaf, die Autos auf der 94. Straße, die sich alle anhörten, als wären sie unterwegs, um ihn zu holen.