Выбрать главу

Es war schon nach drei, als Hector ins Bett fiel. Sein Mund war staubtrocken, und obwohl er die Augen kaum noch offen halten konnte, fand er keinen Schlaf. Die Zeiger der Uhr rückten unerbittlich weiter. Mit jeder Minute, die verstrich, kam der Morgen näher, und Hector hatte einen anstrengenden Tag vor sich: Er musste die im Haus versteckte Ware fortschaffen. Schließlich weckte er seine Frau – ein letzter Versuch, sich zu verausgaben, damit er endlich einschlafen konnte.

Es war der beste Sex seit Monaten, aber Hector konnte danach immer noch nicht einschlafen. Fast zwei Stunden lag er nackt neben seiner Frau, sein Schweiß durchtränkte das Bettzeug, bis es ihm an der Haut klebte. Frustriert schlug er den Kopf gegen die Matratze. Schließlich stand er auf, schaltete den PC ein und surfte im Internet, wo er auf Tabletten aus Kanada stieß, die erholsamen Schlaf innerhalb von zehn Minuten nach dem Einnehmen versprachen. Aber natürlich wurden Bestellungen nur während der regulären Geschäftszeiten angenommen.

Bald zwitscherten die ersten Vögel, und hinter den Jalousien dämmerte der neue Tag herauf. Hector lag eine weitere Stunde wach im Bett. Dann stand er auf und ging ins Bad. Er schnitt sich beim Rasieren, so heftig zitterten seine Hände vor Erschöpfung. Nach dem Frühstück, Haferbrei und Kaffee, spürte er einen Energieschub. Als er das Haus verließ und zur Bushaltestelle ging, empfand er die kühle Brise als wahre Wohltat.

Um sieben Uhr erreichte er die Parkgarage unweit des Los Angeles International Airport, wo er seinen grünen Ford Explorer mit den gefälschten Kennzeichen abgestellt hatte, den er immer zum Transport geraubter Antiquitäten benutzte. Als er sicher sein konnte, dass Maria und Ernesto das Haus verlassen hatten, fuhr er zurück, um die restlichen Stücke einzuladen und zu dem neu angemieteten Lagerraum in West Hollywood zu schaffen.

Als er bei der Kathedrale Our Lady of the Angels ankam, wo er Chel Manu getroffen hatte, war er schon wieder schweißgebadet. Aber er hatte vor ihr verbergen können, wie schlecht es ihm ging, und sie überredet, den Kodex für ihn aufzubewahren. Entweder sie würde einen Weg finden, die Handschrift zu erwerben, oder aber sie war die perfekte Lösung für sein Problem. Falls man ihn schnappte, würde er gegen sie aussagen und sich dadurch Straffreiheit sichern. Verglichen mit ihr war er für die Ermittlungsbehörden nur ein kleiner Fisch.

Nach dem Besuch der Kirche setzte er sich wieder ans Steuer. Er hatte Mühe, sich auf den vorbeirauschenden Verkehr zu konzentrieren. Die Neonwerbung an der 101 kam ihm seltsam stumpf vor, so als hätte jemand die Farben abgewaschen. Die ganz normalen Geräusche des Wagens und des Motors dröhnten in seinen Ohren wie Hammerschläge. Den Rest des Tages verbrachte er damit, die Orte abzuklappern, an denen er oft seine verschiedenen Geschäfte abwickelte. Er schmierte Motelangestellte und Werkstattmechaniker und die Türsteher von Striplokalen. Er sorgte dafür, dass es nichts gab, was irgendwie gegen ihn verwendet werden konnte.

Auf halbem Weg nach Hause an diesem Abend bemerkte er im Rückspiegel einen schwarzen Lincoln. Hector geriet in Panik. Wurde er beschattet? Obwohl er den Wagen später aus den Augen verlor, konnte er an nichts anderes mehr denken.

Maria stand am Fenster, als er in die Einfahrt in Inglewood einbog. Er hatte das Haus kaum betreten, da fing sie an, auf ihn einzureden. Er kam gar nicht zu Wort. Er hatte seit fast sechsunddreißig Stunden nicht mehr geschlafen. Seine Augen waren stark gerötet, weil er sie in einem fort rieb. Maria schenkte ihm ein Glas Rotwein ein, suchte einen Sender mit klassischer Musik, zündete Kerzen an. Ihre Mutter hatte an Schlaflosigkeit gelitten, daher kannte sie alle Tricks, wie man jemandem half, innerlich zur Ruhe zu kommen.

Doch es nützte nichts. Um zwei Uhr morgens lag Hector immer noch wach. Er dachte über sein Leben nach, ging mit sich selbst ins Gericht: Um drei Uhr befand er, dass er ein guter Vater war, um vier Uhr, dass er ein schlechter Ehemann war.

Irgendwann schmiegte er sich wieder an Maria und streichelte ihre Brüste. Aber als sie die Hand zwischen seine Beine schob, ihn massierte, bekam er keine Erektion. Sie setzte sich auf ihn, aber es tat sich nichts. Sein Körper ließ ihn im Stich, was er als Verrat empfand. Er entschuldigte sich bei Maria und quälte sich aus dem Bett. Schwer atmend, mit zitternden Händen und verschwommenem Blick taumelte er aus dem Haus und setzte sich auf die Veranda, wo er in der kühlen Nachtluft sitzen blieb, bis die ersten Flugzeuge in der Morgendämmerung über die Stadt hereinschwebten. Wieder war eine Nacht vergangen, in der er nicht geschlafen hatte, und zum ersten Mal seit vielen Jahren verspürte Hector das dringende Bedürfnis zu weinen.

Plötzlich hörte er eine Stimme hinter sich. Sie kam aus dem Haus. Wer zum Teufel trieb sich um fünf Uhr morgens in seinem Haus herum? Hector stürmte hinein und rannte in die Küche. Es dauerte einen Augenblick, bis er begriff, wer der Mann war, der da stand.

Es war der Vogelmann. Der Vogelmann saß am Küchentisch.

»Was hast du hier zu suchen?«, herrschte Hector ihn an. »Verschwinde! Raus hier!«

Der Vogelmann stand auf, aber noch bevor der etwas sagen konnte, versetzte Hector ihm einen Kinnhaken, sodass er zu Boden ging.

Maria kam hereingelaufen. »Was hast du getan?«, schrie sie. »Warum hast du ihn geschlagen?«

Hector zeigte auf den Vogelmann und wollte zu einer Erklärung ansetzen, doch dann erstarrte er mitten in der Bewegung. Das war Ernesto, der sich auf dem Fußboden krümmte und seinen Vater entsetzt anstarrte.

»Papa!«, schrie der Junge mit vor Angst und Bestürzung weit aufgerissenen Augen.

Hector hatte das Gefühl, als müsste er sich übergeben. Vor langer Zeit hatte er Maria hoch und heilig versprochen, dass er seine Wut niemals an ihr oder ihrem Sohn auslassen werde, so wie sein eigener Vater es früher mit seiner Familie getan hatte. Maria ging auf ihn los, hieb mit beiden Fäusten auf ihn ein. Ohne nachzudenken, stieß er sie zu Boden.

Maria Gutierrez sah ihren Ehemann zum letzten Mal, als er in seinem Geländewagen rückwärts aus der Einfahrt schoss, mit quietschenden Reifen anfuhr und davonjagte.

9

Die Notaufnahme des Presbyterian Hospital war bis in den letzten Winkel belegt mit Verletzten. Stanton eilte durch das Chaos, das der schwere Unfall auf der Schnellstraße verursacht hatte. Er prallte mit Pflegern zusammen. Stieß Notfallwägelchen um. Suchte hektisch nach dem Mann, der das alles angerichtet hatte. Autounfälle wurden oft im Zusammenhang mit Fällen von FFI genannt. Für Zeugen, wie bei einem Fall, der sich in Deutschland ereignet hatte, sah es so aus, als ob der Fahrer auf der Autobahn am Steuer eingenickt wäre.

Stanton riss die Vorhänge auf, mit denen die Betten abgeschirmt waren, einen nach dem anderen, und sah, wie Assistenzärzte Operationen durchführten, die sie niemals allein hätten durchführen dürfen, und Schwestern, die selbstständig medizinische Entscheidungen trafen, weil nicht genug Ärzte da waren. Das Einzige, was er nicht sah, war jemand, der ihm sagen konnte, wer der Unfallverursacher war, ob er noch lebte und ob er ebenfalls hier eingeliefert worden war.

Stanton blieb stehen und schaute sich ratlos um. Sein Blick fiel auf zwei Rettungssanitäter auf der anderen Seite, die aushalfen, weil das Krankenhaus viel zu wenig Personal hatte.

Stanton lief zu ihnen hin. Sie versorgten einen Patienten über eine Maske mit Sauerstoff. »Wart ihr Jungs an der Unfallstelle? Wisst ihr, wer den Unfall verursacht hat?«

»Ein Latino«, antwortete der eine.

»Und wo ist er jetzt? Hier?«

Der Mann nickte. »Suchen Sie nach einem John Doe.«

Stanton wandte sich um und überflog die Liste mit den Namen der eingelieferten Patienten. Noch ein John Doe? Selbst wenn der Fahrer keine Papiere bei sich hatte, hätte der Fahrzeughalter doch inzwischen ausfindig gemacht werden müssen.