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»Und?«, fragte Davies.

»Gib mir eine Sekunde.« Stanton rieb sich die Augen.

»Du siehst total fertig aus.«

»Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung, was das zu bedeuten hat.«

»Du siehst echt beschissen aus, Gabe. Du musst dich unbedingt ausruhen, du brauchst ein paar Stunden Schlaf.«

»Das brauchen wir alle.«

Davies lachte spöttisch. »Ich hab noch genug Zeit zum Schlafen, wenn ich hier liege, so wie die beiden.«

»Jetzt hör aber auf.«

»Was? Noch zu früh?«

Als sie mit dem Unfallfahrer fertig waren, unterzogen sie Volcy der gleichen Prozedur. Wieder setzte sich Stanton ans Mikroskop und drehte den Lichtregler höher. Die Krater in Volcys Hirn waren tiefer, und die Hirnrinde war stärker deformiert. Er war eindeutig derjenige, der sich zuerst infiziert hatte.

Stanton hatte das zwar schon vermutet, aber er hatte bislang nicht gewusst, was er mit dieser Information anfangen sollte. »Ich will, dass du alle diese Proben fotografierst«, sagte er zu Davies. »Und wir brauchen die MRTs, die wir von Volcy gemacht haben. Wenn wir sie miteinander vergleichen, können wir feststellen, wie schnell sich der Erreger in seinem Gehirn ausgebreitet hat. Und wenn wir das bestimmen können, können wir auch den ungefähren Zeitpunkt der Infektion bestimmen.«

Davies nickte. »Eine Zeitachse.«

Wenn es ihnen gelang, den Zeitpunkt der Infektion zu ermitteln, würden sie vielleicht auch herausfinden, wo Volcy sich infiziert hatte. Und mit ein bisschen Glück würde ihnen das Gleiche bei dem Unfallfahrer gelingen.

»Soll ich Cavanagh anrufen?«, fragte Davies.

Stanton nickte. Der Fahrer war der Schlüssel. Irgendjemand in dieser Stadt musste ihn kennen. Sobald er identifiziert war, würden sie Kontoauszüge und Kreditkartenquittungen haben und wissen, wo er seine Lebensmittel einkaufte, was er aß. Eine Spur aus Papier, die direkt zum Ausgangspunkt führen würde.

»Sie ist dran.« Davies hielt ihm sein Handy ans Ohr.

Stanton schälte sich das zweite Paar Handschuhe von den Händen und sagte nur ein Wort ins Telefon: »Positiv.«

Cavanagh holte tief Luft. »Sind Sie sicher?«

»Die gleiche Krankheit, verschiedene Stadien.«

»Ich nehme die nächste Maschine. Was brauchen Sie, um die Sache unter Kontrolle zu halten?«

»Als Erstes muss der Fahrer identifiziert werden. Wir haben zwei Fälle, und beide waren John Does, als sie eingeliefert wurden.« Der Ford Explorer war nicht registriert, und der Fahrer hatte genau wie Volcy keine Papiere bei sich gehabt. Dieser merkwürdige Zufall beunruhigte Stanton. Was, wenn es gar kein Zufall war? Aber was würde das bedeuten?

»Die Polizei ist schon an der Sache dran«, entgegnete Cavanagh. »Was noch?«

»Die Öffentlichkeit muss erfahren, dass es einen zweiten Fall gibt, und sie müssen es von uns erfahren, nicht von irgendeinem Blogger, der sich die Hälfte aus den Fingern saugt.«

»Falls Sie an eine Pressekonferenz denken, vergessen Sie’s. Dafür ist es zu früh. Jeder in der Stadt wird denken, er hätte sich infiziert.«

»Dann sorgen Sie wenigstens dafür, dass in den Läden Milchprodukte und Fleisch aus den Regalen genommen werden. Als reine Vorsichtsmaßnahme. Das USDA soll sämtliche Importe aus Guatemala kontrollieren. Und sagen Sie den Leuten, sie sollen ihre Milch und alles, was sie sonst noch im Kühlschrank haben, wegwerfen.«

»Erst wenn wir den Infektionsherd gefunden haben.«

»Dann schicken Sie alle unsere Leute her, damit sie die Pupillengröße jedes Patienten in jedem Krankenhaus überprüfen«, erwiderte Stanton aufgebracht. »Und ich rede nicht nur von L.A. Ich rede von Long Beach, Anaheim, der ganzen Region hier. Ich brauche mehr als zwei Messwerte.«

»Es sind schon Leute im Einsatz. Lassen Sie die ihren Job machen, okay?«

Stanton stellte sich Cavanaghs unbeugsamen Blick vor. Ihr Stern war 2007 aufgegangen, als ein Flugpassagier im Verdacht stand, an antibiotikaresistenter TB erkrankt zu sein. Cavanagh war eine der ganz wenigen im CDC gewesen, die einen kühlen Kopf bewahrten, bis die Gefahr gebannt war. Seitdem war sie bei den hohen Tieren in Washington gut angeschrieben. Aber jetzt war nicht die Zeit, einen kühlen Kopf zu bewahren.

»Wie können Sie nur so ruhig bleiben?«, fragte Stanton schließlich.

»Einer muss ja ruhig bleiben, wo Sie es schon nicht sind«, erwiderte sie trocken. »Eins hätte ich gern noch gewusst. Wie viel Schlaf haben Sie eigentlich in letzter Zeit gehabt? Ich werde in sechs Stunden da sein, und ich brauche Sie ausgeruht und mit klarem Verstand. Falls Sie nicht geschlafen haben, dann tun Sie’s jetzt.«

»Emily, ich –«

»Das war kein Vorschlag, Gabe. Das war ein Befehl.«

***

Zu Stantons Verwunderung hatte sich in Venice nichts verändert, als er an diesem Abend nach Hause kam. Die Biergärten waren voll wie immer. Unter den Markisen der Einzelhandelsgeschäfte hatten sich die Leute, die kein Dach über dem Kopf hatten, eine Bleibe für die Nacht gesucht. Auf der Strandpromenade wurden immer noch Talismane gegen die bevorstehende Apokalypse verscherbelt. Für kurze Zeit empfand Stanton es als beruhigend, dass das Leben hier seinen gewohnten Gang ging.

Kurz nach 23 Uhr stand er in seiner Küche und telefonierte mit dem Direktor der obersten guatemaltekischen Gesundheitsbehörde, Dr. Fernando Alarcon.

»Mr Volcy hat uns erzählt, er sei bereits krank gewesen, bevor er über die Grenze gekommen ist«, sagte Stanton. »Das wissen wir mit Sicherheit. Das bedeutet, entlang der panamerikanischen Schnellstraße muss jedes Krankenhaus überprüft werden, jede öffentliche Einrichtung des Gesundheitswesens und jede Arztpraxis, in der Indios behandelt werden.«

»Wir haben schon Teams in die fragliche Gegend geschickt«, erwiderte Alarcon. »Obwohl es uns Millionen von Dollar kostet, die wir nicht haben, überprüfen unsere Leute jede Farm in ganz Petén und nehmen Blutproben von den Rindern. Bis jetzt haben sie natürlich nichts gefunden. Keine Spur von irgendwelchen Prionen.«

»Noch nicht. Aber Sie verstehen doch, wie dringend die Angelegenheit ist, nicht wahr? Ihnen könnte der Ausbruch einer Epidemie bevorstehen.«

»Es gibt nicht den geringsten Hinweis darauf, dass Ihr zweiter Patient jemals hier gewesen ist, Dr. Stanton.«

Das Foto des zweiten Opfers war in den Abendnachrichten gezeigt worden, aber bisher hatten sich weder Angehörigen noch Freunde des Mannes gemeldet. »Wir konnten ihn noch nicht identifizieren, aber –«

Alarcon ließ ihn nicht ausreden. »Wir haben hier keine weiteren Fälle, und es ist verantwortungslos von Ihnen, etwas anderes zu behaupten. Dieser Volcy hat sich nicht hier bei uns infiziert. Aber wir werden natürlich alles tun, was in unserer Macht steht, um Ihnen bei Ihren Nachforschungen behilflich zu sein.«

Das Gespräch endete abrupt. Stanton war völlig frustriert. Solange keine Fälle im Land gemeldet wurden, war die Angst in Guatemala nicht groß genug, als dass sie dort entschlossen handeln würden. Aber selbst wenn eine Infektion nachgewiesen werden sollte, war vermutlich nicht viel zu erwarten von einem Land mit einem eher unterentwickelten Gesundheitssystem.

Stanton hörte, wie ein Schlüssel ins Schloss geschoben wurde. Die Haustür sprang auf, Pfoten tappten über den Boden. Stanton eilte ins Wohnzimmer. Nina, in abgetragenen Jeans, einer Windjacke und noch nass glänzenden Überschuhen, lächelte ihn mitfühlend an, während Dogma freudig auf sein Herrchen zu rannte. Nina folgte dem Hund und schlang Stanton die Arme um den Hals.

»Na, Captain, hast du den sicheren Hafen angelaufen?« Er gab ihr einen Kuss auf die Wange.

»Schätze, das ist ein guter Platz bis Sonnenaufgang. Du siehst echt beschissen aus, weißt du das?«

»Du bist nicht die Erste, die mir das sagt.«

Dogma begann zu winseln, und Stanton kraulte ihn und massierte ihm die Ohren mit kreisförmigen Bewegungen.