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Die Frau stand, über das Kopfende meines Bettes gebeugt. Sie lächelte mir leise zu und verschwand. Es gelang mir aber noch, ihr Gesicht zu sehen. Es war mir, als hätte ich es schon früher einmal gesehen; doch wo und wann? Ich stand spät auf und irrte den ganzen folgenden Tag in den Feldern und Wiesen umher, kam einige Male zur alten Eiche am Waldsaum und sah mich aufmerksam um.

Gegen abend saß ich am geöffneten Fenster in meinem Arbeitszimmer. Meine alte Haushälterin stellte eine Tasse Tee vor mich hin, ich rührte sie aber nicht an... Ich war ganz verwirrt und fragte mich sogar: »Ob ich nicht den Verstand verliere?« Die Sonne war eben untergegangen, und nicht nur der Himmel glühte – auch die ganze Luft füllte sich plötzlich mit einem fast übernatürlichen Purpurglanz; das Laub und die Gräser schimmerten wie mit frischem Lack überzogen und rührten sich nicht; in ihrer starren Unbeweglichkeit, in der grellen Deutlichkeit ihrer Umrisse, in dieser Verbindung hellen Glanzes mit toter Stille lag etwas Seltsames und Rätselhaftes. Ein ziemlich großer grauer Vogel flog plötzlich lautlos herbei und setzte sich auf den Rand des Fensterbrettes... Ich betrachtete ihn, und auch er betrachtete mich von der Seite mit seinem runden, dunklen Auge. – »Hat man dich etwa hergeschickt, um mich zu erinnern?« dachte ich.

Der Vogel schwang sogleich seine weichen Flügel und flog so lautlos davon, wie er gekommen. Ich saß noch lange am Fenster, fühlte mich aber nicht mehr so verwirrt: ich war gleichsam in einen Zauberkreis hineingeraten, und eine sanfte, doch unwiderstehliche Macht zog mich fort, ebenso wie das Boot noch lange vor dem Wasserfall von der Strömung fortgezogen wird. Endlich raffte ich mich auf. Der Purpurglanz in der Luft war längst verschwunden, die Farben waren trüber geworden, und der Zauber der Stille war gebrochen. Ein leiser Windhauch bewegte die Luft, der Himmel wurde immer dunkler und der Mond immer heller, und bald funkelte das Laub der Bäume in seinem kalten Lichte wie Silber und schwarzes Email. Meine Alte kam zu mir ins Zimmer mit einer Kerze in der Hand, doch ein Windhauch aus dem Fenster blies die Flamme aus. Ich konnte es nicht länger aushalten; ich sprang auf, drückte mir die Mütze in die Stirne und begab mich zur alten Eiche am Waldsaume.

IV.

In diese Eiche hatte einmal vor vielen Jahren der Blitz eingeschlagen; die Spitze war gebrochen und verdorrt, doch im Baume war noch Lebenskraft für mehrere Jahrhunderte erhalten. Als ich mich der Eiche näherte, zog eine leichte Wolke über den Mond, und unter den breiten Ästen des Baumes lag tiefes Dunkel. Zunächst merkte ich nichts Besonderes; als ich aber zur Seite trat, erbebte in mir das Herz: neben einem hohen Strauch, zwischen der Eiche und dem Walde, stand eine weiße Gestalt. Das Haar sträubte sich mir leicht auf dem Kopfe, ich faßte mir jedoch ein Herz und ging auf den Wald zu.

Ja, das war sie, mein nächtlicher Gast. Als ich mich ihr näherte, leuchtete der Mond wieder auf. Sie schien ganz aus einem halbdurchsichtigen milchweißen Nebel gewebt – durch ihr Gesicht hindurch konnte ich einen leise vom Winde bewegten Zweig sehen – nur ihr Haar und ihre Augen hoben sich etwas dunkler ab, und an einem Finger ihrer gefalteten Hände glänzte ein schmaler mattgoldener Reif. Ich blieb vor ihr stehen und wollte sie ansprechen; doch meine Stimme erstarb mir in der Kehle, obwohl ich eigentlich keine Furcht mehr hatte. Sie richtete ihre Augen auf mich: ihr Blick drückte weder Leid noch Freude, sondern eine eigentümliche leblose Aufmerksamkeit aus. Ich wartete, ob sie nicht etwas sagen werde, sie stand aber stumm und unbeweglich, den leblosen Blick unverwandt auf mich gerichtet. Mir wurde es wieder unheimlich zumute.

»Ich bin gekommen!« brachte ich endlich hervor.

Meine Stimme klang seltsam hohl.

»Ich liebe dich!« flüsterte sie.

»Du liebst mich?« wiederholte ich erstaunt ihre Worte.

»Gib dich mir hin!« flüsterte sie wieder.

»Mich dir hingeben! Du bist ja eine Vision, hast ja auch gar keinen Körper.« Eine seltsame Erregung bemächtigte sich meiner. »Was bist du denn, Rauch, Luft, Dunst? Mich dir hingeben? Antworte mir zuerst, wer bist du? Hast du je auf Erden gelebt? Woher bist du gekommen?«

»Gib dich mir hin. Ich werde dir nichts zuleide tun. Sag' mir bloß die drei Worte: Nimm mich hin.«

Ich blickte sie an. »Was spricht sie da?« fragte ich mich. »Was soll dies alles bedeuten? Und wie will sie mich hinnehmen? Oder soll ich es doch versuchen?«

»Nun, gut,« sagte ich so unerwartet laut, als ob mich jemand von hinten stieße. »Nimm mich hin!«

Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, als die geheimnisvolle Gestalt mit einem inneren Lachen, welches ihr Gesicht für einen Augenblick erzittern machte, sich leicht vornüber neigte und mir ihre Arme langsam entgegenstreckte... Ich wollte zurückprallen, war aber bereits in ihrer Gewalt. Sie umschlang mich, mein Körper hob sich etwa eine halbe Elle hoch vom Boden, und schon schwebten wir beide leicht und nicht zu rasch über das regungslose, taufeuchte Gras dahin.

V.

Anfangs schwindelte mir der Kopf, und ich schloß unwillkürlich die Augen... Eine Minute später schlug ich sie wieder auf. Wir sehwebten noch immer durch die Luft. Doch der Wald war nicht mehr zu sehen, unter uns breitete sich eine mit dunklen Flecken besäte Ebene aus. Ich merkte mit Entsetzen, daß wir uns in einer fürchterlichen Höhe befanden.

– Ich bin verloren, ich bin in der Gewalt des Satans, – ging es mir blitzartig durch den Kopf. Bis dahin war mir der Gedanke an teuflisches Blendwerk, an die Möglichkeit eines bösen Endes nicht gekommen. Wir flogen immer weiter und weiter und stiegen, wie es mir schien, immer höher und höher.

»Wohin trägst du mich?« stöhnte ich endlich.

»Wohin du willst,« antwortete meine Gefährtin. Sie schmiegte sich fest an mich; ihr Gesicht berührte beinahe das meinige. Ich spürte übrigens diese Berührung kaum.

»Bringe mich wieder auf die Erde; es schwindelt mir in solcher Höhe.«

»Gut; schließe nur die Augen und atme nicht.«

Ich folgte diesem Rat und fühlte im gleichen Augenblick, daß ich wie ein Stein fiel... der Wind pfiff durch meine Haare. Als ich wieder zu mir kam, schwebten wir fast dicht am Erdboden, so daß wir die Spitzen der hohen Grashalme streiften.

»Stell mich auf meine Beine,« sagte ich. »Ist denn das Fliegen eine Lust? Ich bin ja kein Vogel.«

»Ich dachte, es würde dich freuen. Wir tun ja nichts anderes als fliegen.«

»Ihr? Wer seid ihr denn?«

Sie gab keine Antwort.

»Du darfst es mir nicht sagen?«

Ein klagender Ton, gleich dem, der mich in der ersten Nacht aufgeschreckt hatte, klang mir in den Ohren. Indessen schwebten wir unmerklich durch die feuchte Nachtluft dahin.

»Laß mich doch!« sagte ich. Meine Gefährtin schwebte leise zur Seite, und ich stand wieder auf meinen Beinen. Sie blieb vor mir stehen und faltete wieder die Hände. Ich beruhigte mich und blickte ihr ins Gesicht: es drückte wie früher Demut und Trauer aus.

»Wo sind wir jetzt?« fragte ich, denn die Gegend kam mir unbekannt vor.

»Weit von deinem Hause, du kannst aber in einem Augenblick wieder dort sein.«

»Auf welche Weise? Soll ich mich dir wieder anvertrauen?«

»Ich habe dir ja nichts zuleide getan und werde dir auch nichts zuleide tun. Wollen wir bis zur Morgenröte fliegen, das ist alles. Ich kann dich tragen, wohin du willst, in alle Länder der Welt. Gib dich mir hin! Sag mir wieder: Nimm mich hin!«

»Nun... nimm mich hin!«

Sie schmiegte sich wieder an mich, meine Füße lösten sich vom Erdboden, und wir flogen wieder durch die Nacht.