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VI.

»Wohin?« fragte sie mich.

»Geradeaus, immer geradeaus.«

»Hier ist aber ein Wald.«

»Hebe dich über den Wald, doch nicht zu schnell.«

Wir schossen in die Höhe wie eine Waldschnepfe, die auf eine Birke gestoßen ist, – und flogen wieder in gerader Richtung. Die Gipfel der Bäume schwebten jetzt unter unseren Füßen wie früher die Spitzen der Grashalme. Einen seltsamen Anblick gewährte der Wald von oben herab, so eigentümlich sah sein stachliger Rücken im Mondlicht aus. Er glich einem ungeheueren, schlafenden Tier und begleitete uns mit ununterbrochenem, weit gedehnten Rauschen, das sich wie dumpfes Brummen anhörte. Ab und zu flogen wir über eine kleine Waldwiese, die schön von gezackten Schatten eingesäumt war. Zuweilen schrie unten ein Hase auf; oben pfiff ebenso klagend eine Eule; es roch nach Pilzen, Knospen und Sumpfgräsern; das Mondlicht ergoß sich kalt und hart nach allen Seiten; hoch oben über uns strahlte der große Wagen. Nun hatten wir schon den Wald hinter uns; über der Ebene schwebte ein Nebelstreif; das war ein Fluß. Wir flogen längs einem seiner Ufer, über den Büschen, die von Feuchtigkeit schwer und regungslos waren. Die Wellen auf dem Flusse schimmerten bald in blauem Glanz, bald rollten sie dunkel und gleichsam erbost dahin. Stellenweise bewegte sich über dem Wasser leichter Nebel in seltsamen Formen, – und die Kelche der Wasserlilien entfalteten ihre Blumenblätter und strahlten in ihrem jungfräulichen Weiß, als ob sie wüßten, daß sie niemand erreichen kann. Es kam mir der Wunsch, eine der Blumen zu brechen – und schon war ich dicht über der Wasserfläche... Die Feuchtigkeit schlug mir feindselig ins Gesicht, als ich den festen Stengel einer großen Blume abriß. Wir begannen über dem Flusse zu kreuzen, gleich den Rohrschnepfen, die wir im Fluge immerwährend aufscheuchten und verfolgten. Einige Male stießen wir auf kleine Familien von Wildenten, die im Kreise an einem freien Plätzchen zwischen Binsen ruhten; sie rührten sich nicht; höchstens zog eine von ihnen hastig den Hals unter den Flügeln hervor, blickte sich um und beeilte sich dann wieder den Schnabel in den weichen Flaum zu stecken, während die andere leise aufschrie und kaum wahrnehmbar am ganzen Körper erzitterte. Einmal scheuchten wir einen Reiher auf; mit den Beinen baumelnd und etwas unbeholfen die Flügel schlagend, flog er aus einem Weidenbusche auf. Nirgends regten sich Fische, – sie schliefen wohl alle. Ich begann mich an die Empfindung des Fliegens zu gewöhnen und darin sogar ein gewisses Vergnügen zu finden: jedermann, der schon im Traume geflogen ist, wird mich verstehen. Ich betrachtete mit größerer Aufmerksamkeit das geheimnisvolle Wesen, dem ich die uns glaublichen Erlebnisse zu verdanken hatte.

VII.

Es war eine Frau mit kleinem Kopf und einem nicht russischen Gesicht. Grauweiß, halbdurchsichtig, mit kaum wahrnehmbaren Schatten erinnerte sie mich an eine von innen erleuchtete Alabastervase, – und wieder kam sie mir so bekannt vor.

»Darf ich mit dir sprechen?« fragte ich.

»Sprich.«

»Ich sehe einen Ring an deinem Finger; du hast also einst auf der Erde gelebt, – bist wohl verheiratet gewesen?« Ich stockte... Sie gab keine Antwort.

»Sag mir wenigstens wie du heißt, oder wie du gehießen hast?«

»Nenne mich Ellis.«

»Ellis! Das klingt wie ein englischer Name! Bist du Engländerin? Hast du mich früher gekannt?«

»Nein.«

»Warum bist du denn gerade mir erschienen?«

»Ich liebe dich.«

»Bist du nun zufrieden?«

»Ja. Wir schweben und kreisen beide durch die reine Luft.«

»Ellis!« sagte ich plötzlich. »Bist du vielleicht die verdammte Seele einer Sünderin?«

Meine Gefährtin neigte den Kopf. »Ich verstehe dich nicht,« flüsterte sie.

»Ich beschwöre dich bei dem Namen Gottes...« fing ich wieder an.

»Was sprichst du da?« sagte sie verwundert. »Ich verstehe das nicht.« Es war mir, als ob der Arm, der wie ein kühler Gürtel meine Hüften umschlang, leise erzitterte...

»Fürchte dich nicht,« sagte Ellis. »Fürchte dich nicht, Geliebter!« Sie wandte sich zu mir und näherte ihr Gesicht dem meinigen... Ich fühlte auf meinen Lippen eine eigentümliche Berührung wie von einem feinen und weichen Stachel... So berührt einen ein nicht allzu blutdürstiger Blutegel.

VIII.

Ich sah hinab. Wir hatten uns inzwischen wieder zu einer beträchtlichen Höhe erhoben. Wir flogen gerade über eine mir unbekannte Provinzstadt, die am Abhang eines breiten Hügels lag. Aus der dunklen Masse der Schindeldächer und Obstgärten ragten Kirchtürme empor; eine lange Brücke dunkelte an einer Biegung des Flusses; alles lag in tiefem Schlummer. Selbst die Kuppeln und Kreuze schimmerten so eigentümlich stumm und träge; stumm ragten die hohen Stangen der Ziehbrunnen neben den runden Kuppen der Weidenbüsche; eine weiße Landstraße schoß wie ein feiner Pfeil in die Stadt hinein und kam am anderen Ende in der dämmernden Ferne wieder heraus.

»Was ist das für eine Stadt?« fragte ich.

»Es ist N.«

»N. im N-schen Gouvernement?«

»Ja.«

»So weit bin ich also von meinem Hause?«

»Für uns gibt es keine Entfernung.«

»Wirklich?« Eine plötzliche Kühnheit erwachte in mir. »So bringe mich nach Südamerika!«

»Nach Amerika kann ich nicht. Dort ist jetzt Tag.«

»Wir sind also Nachtvögel. Nun trage mich irgendwohin, nur recht weit von hier.«

»Schließe die Augen und atme nicht,« sagte Ellis und wir flogen dahin schnell wie der Sturm. Die Luft drang mir mit erschütterndem Rauschen in die Ohren.

Wir hielten an, das Rauschen hörte aber nicht auf. Im Gegenteiclass="underline" es verwandelte sich in ein drohendes Brüllen und Donnergetöse...

»Jetzt kannst du die Augen öffnen,« sagte Ellis.

IX.

Ich gehorchte... Mein Gott, wo bin ich?

Über mir hängen schwere graue Wolken; sie drängen sich zusammen und rennen wie eine Herde böser Ungeheuer... doch dort, tief unten tobt ein anderes Ungeheuer: das wütende, wirklich wütende Meer... Der weiße Schaum zuckt und blitzt und kocht und häuft sich zu Hügeln, und das Meer wirft ungeheure Wellen empor, die mit rohem Getöse gegen einen riesigen, pechschwarzen Felsen schlagen. Im Heulen des Sturmes, im eisigen Hauch des gähnenden Abgrundes, im schweren Brausen der Brandung, aus welcher ich bald klagendes Heulen, bald fernen Kanonendonner und bald Glockenläuten höre, im lauten Knirschen der am Ufer angehäuften Kieselsteine, im plötzlichen Aufschrei einer unsichtbaren Möwe, im schwankenden Gerippe eines Schiffes, das sich schwach am grauen Horizont abhebt, – in allen Dingen ist der Tod, Tod und Grauen... Der Kopf schwindelt mir, und ich schließe wieder bebend die Augen...

»Was ist das? Wo sind wir?«

»Am Südufer der Insel Wight, vor dem Felsen Blackgany, wo so oft die Schiffe zerschellen,« sagte Ellis, diesmal besonders laut und deutlich und, wie mir schien, nicht ohne Schadenfreude...

»Trage mich fort von hier... nach Hause! Nach Hause!«

Ich krümmte mich ganz zusammen und preßte mein Gesicht in die Hände . . . Ich fühlte, daß wir noch rascher flogen; der Wind heulte und pfiff nicht mehr, – er winselte förmlich in meinem Haar und in meiner Kleidung... Mir verging der Atem...

»Stell dich doch auf die Füße,« rief ihre Stimme.

Ich gab mir Mühe, mich zu beherrschen, meine Besinnung wieder zu gewinnen ,.. Ich spürte unter meinen Sohlen die Erde und hörte nichts, als ob rund umher alles erstorben wäre... nur in den Schläfen pochte mir noch das Blut, und in meinem Kopfe sauste es... mir schwindelte. Ich richtete mich auf und sah mich um.