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Mag sich nun der Leser das Erstaunen vorstellen, das mich ergriff, als ich in der Steppe, in einer der gottvergessensten Gegenden Rußlands die gleiche Stimme und das gleiche Lied wiedererkannte... Jetzt wie damals war es in der Nacht; wie damals erklang die Stimme ganz plötzlich aus einem erleuchteten unbekannten Zimmer; wie damals war ich ganz allein. Das Herz klopfte mir und ich fragte mich, ob das Ganze nicht ein Traum sei. Da erklang das letzte »Vieni«... Wird denn auch jetzt das Fenster aufgehen? Wird sich wieder eine Frauengestalt zeigen? Das Fenster ging auf. In seinem Rahmen erschien eine Frau. Ich erkannte sie sofort, obwohl ich fünfzig Schritt von ihr entfernt war, obwohl der Mond in diesem Augenblick von einem leichten Wölkchen verdeckt war. Es war sie, meine Unbekannte aus Sorrent. Diesmal streckte sie aber nicht wie damals ihre entblößten Arme vor sich aus, sondern hielt sie auf dem Fensterbrett gekreuzt und blickte stumm und unbeweglich in den Garten. Ja, sie war es, es waren ihre unvergeßlichen Züge, ihre unvergleichlichen Augen. Sie trug wieder ein weites weißes Gewand, schien aber etwas voller als in Sorrent. Ihr ganzes Wesen atmete Siegesbewußtsein und Liebe, triumphierende, ruhige, glückliche Schönheit. Sie blieb ziemlich lange unbeweglich am Fenster stehen, blickte dann ins Innere des Zimmers zurück, richtete sich plötzlich auf und rief dreimal mit lauter und heller Stimme: »Addio!« Die herrlichen Töne ihrer Stimme hallten weit durch die Nacht, zitterten lange nach und erstarben über den Linden des Gartens, im Felde hinter mir und überall. Alles um mich her wurde für einige Augenblicke von dieser Frauenstimme erfüllt, alles widerhallte die Stimme, sie selbst schien in allen Dingen zu tönen... Sie schloß das Fenster, und nach einigen Augenblicken erlosch auch das Licht im Hause.

Als ich wieder zu mir kam – ich muß gestehen, daß es, noch eine ganze Weile dauerte – ging ich sofort am Garten entlang zum versperrten Tor und blickte über den Zaun. Im Hofe konnte ich nichts Außergewöhnliches wahrnehmen; in einer Ecke stand unter einem Schuppen ein Reisewagen. Der Vorderteil des Wagens war mit Straßenkot bespritzt und schien im Mondlichte grellweiß. Die Läden des Hauses waren wie immer geschlossen. Ich vergaß vorher zu sagen, daß ich vor diesem Tage eine ganze Woche nicht in Glinnoje gewesen war. Ich ging über eine halbe Stunde ganz verdutzt vor dem Zaune auf und ab, so daß ich zuletzt die Aufmerksamkeit des alten Hofhundes auf mich lenkte; er bellte mich aber nicht an, sondern sah mich ungewöhnlich ironisch mit seinen zusammengekniffenen halbblinden Augen an. Ich verstand den Wink und zog mich zurück. Ich war aber noch nicht eine halbe Werst gegangen, als ich plötzlich hinter mir den Hufschlag eines Pferdes hörte... Nach einigen Augenblicken sprengte ein Reiter auf einem Rappen an mir vorbei; für einen kurzen Augenblick wandte er mir sein Gesicht zu, so daß ich unter der tief in die Stirne gedrückten Mütze eine Adlernase und einen schönen dichten Schnurrbart sehen konnte; er schwenkte vom Wege nach rechts ab und verschwand sofort im Walde. »Das ist er also,« sagte ich mir mit einem eigentümlichen Gefühl. Ich glaubte ihn erkannt zu haben; seine Figur erinnerte wirklich an die des Unbekannten, den ich zu Sorrent in die Gartenpforte eintreten gesehen hatte. Nach einer halben Stunde war ich schon in Glinnoje. Ich weckte meinen Quartierwirt und begann ihn sofort auszufragen, wer im Nachbarsgute angekommen sei. Als er endlich begriff, was ich von ihm wollte, antwortete er mir, daß die Gutsherrinnen eingetroffen seien.

»Was für Gutsherrinnen?« fragte ich ungeduldig.

»Nun, die Herrschaften,« antwortete er sehr träge.

»Ja, was für Herrschaften?«

»Nun, wie Herrschaften eben sind...«

»Sind sie Russinnen?«

»Was denn sonst? Selbstverständlich Russinnen.«

»Nicht Ausländerinnen?«

»Wie?«

»Sind sie schon lange hier?«

»Nein, erst seit kurzem.«

»Bleiben sie lange hier?«

»Das weiß ich nicht.«

»Sind sie reich?«

»Auch das weiß ich nicht. Vielleicht sind sie reich.«