Fabius wollte gleich nach dem Nachtmahl mit Mutius sprechen, doch der unheimliche Gast war auch zum Nachtmahl noch nicht zurückgekehrt. Daher beschloß Fabius, die Aussprache mit Mutius auf den nächsten Morgen zu verschieben, und beide Gatten begaben sich in ihr Schlafgemach.
IX.
Valeria schlief bald ein, aber Fabius konnte lange keine Ruhe finden. In der Stille der Nacht trat ihm alles, was er gesehen und empfunden hatte, noch lebendiger vor Augen; er stellte sich noch hartnäckiger die Fragen, auf die er noch immer keine Antwort finden konnte .. Ob Mutius tatsächlich mit den bösen Mächten im Bunde stehe und ob er Valeria nicht vergiftet habe? – Sie war krank, doch was war ihre Krankheit? – Während er, den Kopf in die Hand gestützt und den heißen Atem anhaltend, sich den bangen Zweifeln überließ, ging am wolkenlosen Himmel wieder der Mond auf; und zugleich mit seinen Strahlen drang durch die halbdurchsichtigen Fensterscheiben, von der Seite des Pavillons her, – oder kam es Fabius nur so vor? – drang ein leichter duftender Hauch ins Zimmer... da hörte er ein zudringliches, leidenschaftliches Geflüster... und im gleichen Augenblick sah er, wie Valeria sich auf ihrem Lager leise rührte. Er fährt zusammen und sieht: sie erhebt sich, steckt erst das eine, dann das andere Bein aus dem Bett und geht wie eine Mondsüchtige, die trüben Augen leblos geradeaus gerichtet, die Arme vorgestreckt zur Gartentüre! Fabius stürzt im gleichen Augenblick durch eine andere Türe aus dem Schlafgemach, läuft, so schnell er kann, um die Ecke des Hauses herum und drückt die Türe, die nach dem Garten führt, von außen zu. Kaum hat er aber die Klinke erfaßt, als er merkt, daß jemand die Türe von innen öffnen will, sich gegen sie stemmt, – wieder und wieder – dann hört er ein schmerzvolles Aufstöhnen...
»Aber Mutius ist ja noch nicht zurückgekehrt,« geht es Fabius durch den Kopf, – und er stürzt zum Pavillon.
Und was sieht er?
Ihm entgegen kommt auf dem vom Mondlicht übergossenen Wege gleichfalls wie ein Mondsüchtiger, gleichfalls die Arme vorgestreckt und die Augen leblos und starr aufgerissen, Mutius... Fabius eilt ihm entgegen, aber jener sieht ihn nicht, schreitet langsam und gemessen, und sein unbewegliches Gesicht zeigt im Mondlichte das gleiche Lächeln, wie es Fabius beim Malaien wahrgenommen hat. Fabius will ihn beim Namen rufen... doch im gleichen Augenblicke hört er: hinten im Hause wird ein Fenster geöffnet... Er blickt zurück...
Und in der Tat: das Fenster im Schlafzimmer ist ganz heruntergeklappt, und im Fenster steht Valeria, einen Fuß über das Fensterbrett erhoben... ihre Arme scheinen Mutius zu suchen... sie strebt mit ihrem ganzen Leibe zu ihm hin...
Unbeschreibliche Wut erfüllte plötzlich Fabius. – »Verfluchter Zauberer!« schrie er rasend auf, packte Mutius mit der einen Hand an der Kehle, zog mit der anderen den Dolch aus dem Gürtel und stieß ihn bis an den Griff in Mutius' Hüfte.
Mutius schrie durchdringend auf, drückte sich die Hand auf die Wunde und lief stolpernd in seinen Pavillon zurück... doch im gleichen Augenblick, als Fabius ihn traf, schrie auch Valeria ebenso durchdringend auf und fiel wie vom Blitze getroffen zu Boden.
Fabius eilte zu ihr hin, hob sie auf, trug sie ins Bett und sprach auf sie ein...
Sie lag lange regungslos; endlich öffnete sie die Augen, holte tief Atem so freudig und tief, wie ein Mensch, der soeben einem unvermeidlichen Tode entronnen ist, erkannte den Gatten, umschlang seinen Hals mit den Armen und schmiegte ihr Haupt an seine Brust. – »Du, du, das bist du!« lallte sie. Allmählich lösten sich ihre Arme, der Kopf fiel zurück, sie flüsterte mit seligem Lächeln: »Gott sei Dank, alles ist vorbei... Aber ich bin so müde!« und sank in einen festen, doch nicht schweren Schlaf.
X.
Fabius ließ sich an ihrem Lager nieder, blickte unverwandt auf ihr bleiches, abgemagertes, doch schon beruhigtes Antlitz und begann über das Geschehene nachzudenken... und auch darüber, was er jetzt unternehmen sollte? Was sollte er tun? Wenn er Mutius wirklich getötet hatte, – und wenn er sich erinnerte, wie tief die Klinge des Dolches einges drungen war, durfte er nicht daran zweifeln, – dann ließe es sich ja doch unmöglich verheimlichen! Er sollte es eigentlich selbst dem Herzog und dem Gericht melden... doch wie es erklären, wie eine so unbegreifliche Sache erzählen? Er, Fabius, hatte in seinem Hause seinen Verwandten, seinen besten Freund, ermordet! Gleich wird man ihn fragen: Wofür? Aus welchem Grunde? .. Und wenn Mutius doch nicht tot ist? – Fabius konnte diesen Zustand nicht länger ertragen, er mußte sich Gewißheit verschaffen; er überzeugte sich, daß Valeria schlief, erhob sich vorsichtig vom Sessel, verließ das Haus und ging zum Pavillon. Im Pavillon war alles still; nur in einem Fenster war noch Licht. Mit bebendem Herzen öffnete er die äußere Türe (er sah auf ihr noch die Abdrücke blutiger Finger, und auch auf dem Sande des Weges waren dunkle Blutspuren zu sehen), – er durchschritt das erste dunkle Zimmer... und blieb erstaunt und bestürzt auf der Schwellestehen.
In der Mitte des Zimmers lag auf einem persischen Teppich, ein Brokatkissen unter dem Kopfe, mit einem breiten roten, schwarzgemusterten Schal bedeckt, alle Glieder gerade ausgestreckt, Mutius; sein Gesicht, gelb wie Wachs, mit geschlossenen Augen und blau angelaufenen Lidern, war nach oben gerichtet. Zu seinen Füßen kniete, gleichfalls in einen roten Schal gehüllt, der Malaie. Er hielt in der linken Hand einen Zweig von einer unbekannten Pflanze, dem Farnkraut ähnlich, und blickte, leicht vornübergebeugt, unverwandt auf seinen Herrn. Eine kleine Fackel, in den Boden gesteckt, brannte mit grünlichem Feuer und beleuchtete allein das Zimmer. Die Flamme schwankte nicht und rauchte nicht. Als Fabius eintrat, rührte sich der Malaie nicht, er warf ihm nur einen raschen Blick zu und richtete dann die Augen wieder auf Mutius. Ab und zu senkte er den Zweig, schüttelte ihn in der Luft, und seine stummen Lippen bewegten sich langsam, gleichsam tonlose Worte sprechend. Zwischen dem Malaien und Mutius lag auf dem Boden der Dolch, mit dem Fabius seinen Freund getroffen hatte: der Malaie schlug einmal mit dem Zweige auf die blutige Klinge. So verging eine Minute, – eine zweite. Fabius näherte sich dem Malaien, beugte sich zu ihm und fragte leise: »Ist er tot?« Der Malaie nickte mit dem Kopf, zog die rechte Hand aus dem Schal hervor und wies befehlend auf die Türe. Fabius wollte die Frage wiederholen, doch die befehlende Hand wiederholte die Gebärde, – und Fabius verließ das Haus, empört und erstaunt, aber sich fügend.