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Ob auch Valeria diese Szene sah? Die Vorhänge an ihren Fenstern waren herabgelassen... vielleicht stand sie aber hinter den Vorhängen.

XIV.

Zu Mittag kam sie ins Speisezimmer und war sehr milde und freundlich; sie klagte aber noch immer über Mattigkeit. Doch ihre Unruhe, ihr ständiges Erstaunen und die heimliche Angst von früher hatten sich verflüchtigt; und als Fabius am nächsten Tage von neuem an ihr Bildnis ging, fand er in ihren Zügen jenen reinen Ausdruck wieder, dessen vorübergehendes Verschwinden ihn so sehr beunruhigt hatte... Und sein Pinsel flog leicht und sicher über die Leinwand.

Das Leben der Gatten kam ins frühere Geleis. Mutius war für sie verschwunden, als ob er überhaupt nie existiert hätte. Wie nach einer stummen Übereinkunft vermieden es Fabius wie Valeria, über ihn zu sprechen und sich sogar nach seinen ferneren Schicksalen zu erkundigen. Mutius war tatsächlich verschwunden, wie in die Erde versunken. Fabius hielt es einmal für seine Pflicht, Valeria zu erzählen, was in jener entscheidenden Nacht vorgefallen... Doch sie erriet wahrscheinlich seine Absicht; sie hielt den Atem an und schloß die Augen, als ob sie einen Schlag erwartete... Und Fabius verstand sie und verschonte sie.

An einem schönen Herbsttage beendigte Fabius sein Cäcilienbild; Valeria saß vor der Orgel, und ihre Finger irrten über die Tasten... Plötzlich ertönte gegen ihren Willen unter ihren Fingern jenes Lied der triumphierenden Liebe, welches einst Mutius gespielt hatte, und im gleichen Augenblick fühlte sie in sich zum ersten Male seit ihrer Verehelichung das Beben eines neuen, keimenden Lebens... Valeria erbebte und hielt an...

Was bedeutete das? Hatte etwa...

Bei diesem Worte endigte die Handschrift.

Ein Traum

I.

Ich lebte um jene Zeit mit meinem Mütterchen in einer kleinen Seestadt. Ich war eben 17 Jahre alt geworden, meine Mutter war aber noch nicht 35; sie hatte sehr jung geheiratet. Mein Vater starb, als ich gerade 6 Jahre alt war, aber ich konnte mich seiner noch genau erinnern. Mütterchen war eine kleine blonde Frau mit einem schönen, doch ewig traurigen Gesicht, mit einer stillen, matten Stimme und schüchternen Bewegungen. In ihrer Jugend war sie als eine Schönheit berühmt und sie blieb bis an ihr Ende anziehend und anmutig. Ich habe nie tiefere, zartere und traurigere Augen, weichere und feinere Haare, nie vornehmere Hände gesehen. Ich vergötterte sie, und sie liebte mich... Doch unser Leben ging freudlos dahin: es war, als ob ein geheimer, unheilbarer und unverdienter Kummer beständig an den Wurzeln ihres Lebens nagte. Diesen Kummer konnte ich nicht nur mit der Trauer um meinen Vater erklären, so groß diese Trauer auch war, so heiß sie meinen Vater auch geliebt hatte, so heilig sie auch sein Andenken hielt... Nein, hier war noch etwas verborgen, was ich nicht wußte, was ich aber unbestimmt doch stark fühlte, so oft ich in ihre stillen unbeweglichen Augen oder auf ihre schönen gleichfalls unbeweglichen Lippen, die nicht in Verbitterung zusammengepreßt, aber gleichsam für ewig erstarrt waren, blickte.

Ich sagte eben, daß meine Mutter mich liebte; es gab aber auch Augenblicke, wo sie mich von sich stieß, wo ihr meine Gegenwart lästig und unerträglich war. Sie schien dann einen unwillkürlichen Ekel vor mir zu empfinden, – nachher erschrak sie selbst darüber, bat mich unter Tränen um Verzeihung und drückte mich an ihr Herz. Ich schrieb diese Ausbrüche von Haß ihrer zerrütteten Gesundheit und ihrem Unglück zu... Diese feindseligen Gefühle wären allerdings auch mit den seltsamen, mir selbst unbegreiflichen, bösen und verbrecherischen Regungen zu erklären gewesen, die sich manchmal in mir regten... Doch solche Anwandlungen fielen nicht mit den Augenblicken ihres Hasses zusammen. – Mütterchen kleidete sich immer in Schwarz. Wir lebten auf ziemlich großem Fuße, obwohl wir fast keine Bekannten hatten.

II.

Mütterchen hatte alle ihre Gedanken und Sorgen ständig auf mich gerichtet. Ihr Leben floß mit dem meinigen zusammen. Solche Beziehungen zwischen Eltern und Kindern sind für die Kinder nicht immer nützlich... eher sind sie schädlich. Außerdem war ich das einzige Kind meiner Mutter, und einzige Kinder entwickeln sich meistens höchst ungleichmäßig. Bei ihrer Erziehung sind die Eltern gewöhnlich ebensosehr um sich selbst, als um die Kinder besorgt... Und das kann unmöglich gut sein. Ich war weder verzogen noch verbittert (beides kommt bei einzigen Kindern vor), doch meine Nerven waren schon im frühen Alter zerrüttet; auch war ich von schwacher Gesundheit, wie die Mutter, der ich auch sonst nachgeraten war. Ich mied die Gesellschaft meiner Altersgenossen und war überhaupt menschenscheu; selbst mit meinem Mütterchen sprach ich sehr wenig. Am meisten liebte ich es, zu lesen, allein spazieren zu gehen und zu träumen, zu träumen! Was der Inhalt meiner Träume war, kann ich kaum sagen: ich hatte manchmal wirklich das Gefühl, als ob ich vor einer halbverschlossenen Türe, hinter der ein Geheimnis verborgen wäre, stände, und wartete, und die Schwelle nicht zu überschreiten wagte, und immer grübelte, was sich hinter der Türe befände – und ich wartete und wartete – oder schlief ein. Wenn in mir eine poetische Ader wäre, so hätte ich gewiß angefangen, Verse zu machen; wenn ich eine Neigung zur Religiosität verspürte, so wäre ich vielleicht Mönch geworden; aber weder das eine, noch das andere war bei mir der Fall, – und so fuhr ich fort, zu träumen – und zu warten.

III.

Ich erwähnte soeben, daß ich zuweilen unter Einwirkung von verworrenen Gedanken und Träumereien einschlief. Ich schlief überhaupt viel, und Träume spielten in meinem Leben eine große Rolle; fast jede Nacht hatte ich Träume. Ich vergaß sie nie, ich maß ihnen große Bedeutung zu, ich hielt sie für Vorbedeutungen und suchte sie mir auszulegen; einige Träume kehrten von Zeit zu Zeit wieder, was mir immer wunderbar und seltsam erschien. Besonders beunruhigte mich ein Traum: Mir träumte, ich ginge durch die schmale, schlechtgepflasterte Gasse einer alten Stadt, zwischen vielstöckigen Häusern mit spitzen Dächern. Ich suchte meinen Vater, der gar nicht gestorben war, sondern sich aus irgendeinem Grunde vor uns verborgen hielt und in einem dieser Häuser wohnte. Und ich trete in ein dunkles niedriges Tor, durchschreite einen langen, mit Brettern und Balken angefüllten Hof und gelange schließlich in ein kleines Zimmer mit zwei runden Fenstern. Mitten in diesem Zimmer steht mein Vater in einem Schlafrocke und raucht eine Pfeife. Er sieht ganz anders als mein wirklicher Vater aus: er ist schlank, hager, schwarzhaarig, hat eine Hakennase, mürrische, durchdringende Augen; er mag etwa vierzigjährig sein. Er ist sehr unzufrieden, daß ich ihn aufgefunden habe; auch ich freue mich gar nicht über diese Begegnung und stehe unentschlossen da. Er wendet sich etwas ab, beginnt etwas zu brummen und mit kleinen Schritten auf und ab zu gehen... Dann entfernt er sich allmählich von mir, immer noch brummend, und blickt immerfort über die Achsel nach mir zurück; das Zimmer erweitert sich und verschwindet im Nebel... Plötzlich wird mir ängstlich beim Gedanken, daß ich meinen Vater wieder verliere, ich stürze ihm nach, – sehe ihn aber nicht mehr – und höre nur noch sein böses Brummen... Mein Herz steht still – ich erwache und kann lange nicht wieder einschlafen... Den ganzen folgenden Tag denke ich an diesen Traum und kann ihn mir selbstverständlieh nicht erklären.