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VIII.

Gegen Abend bekam meine Mutter ein leichtes Fieber und schickte mich fort. Ich ging aber nicht in mein Zimmer, sondern legte mich im Nebenzimmer auf den Divan und trat jede Viertelstunde auf den Fußspitzen an ihre Türe, um zu horchen... Alles blieb still; ich glaube aber kaum, daß meine Mutter in dieser Nacht ein Auge zugedrückt hat. Als ich am frühen Morgen zu ihr hineinging, schien ihr Gesicht erhitzt und ihre Augen hatten einen unnatürlichen Glanz. Im Laufe des Tages fühlte sie sich etwas besser, doch gegen Abend bekam sie wieder Fieber. Bis dahin hatte sie hartnäckig geschwiegen, nun begann sie mit hastiger, ungleichmäßiger Stimme zu erzählen. Sie phantasierte nicht, ihre Worte hatten einen Sinn, aber keinen Zusammenhang. Kurz vor Mitternacht richtete sie sich mit einem krampfhaften Ruck im Bette auf (ich saß neben ihr) und begann mit hastiger Stimme zu erzählen, wobei sie unaufhörlich schluckweise Wasser trank, matte Bewegungen mit den Händen machte, mich aber kein einzigesmal ans sah. Sie machte Pausen, gab sich dann wieder einen Ruck und fuhr von neuem fort... Dies alles war so sonderbar, als ob sie es im Schlafe täte, als ob sie selbst dabei nicht zugegen wäre, als ob ein anderer aus ihrem Munde spräche oder sie zu sprechen zwänge.

IX.

»Höre, was ich dir erzählen werde,« begann sie. »Du bist ja kein Kind mehr und mußt alles wissen. Ich hatte einst eine gute Freundin... Sie heiratete einen Mann, den sie von ganzem Herzen liebte, und sie war mit ihm sehr glücklich. Noch im ersten Jahre ihrer Ehe reisten sie in die Hauptstadt, um dort einige Wochen zu verleben und sich zu amüsieren. Sie stiegen in einem guten Gasthofe ab und gingen viel ins Theater und in Gesellschaft. Meine Freundin war schön und fiel allen auf; die jungen Leute machten ihr den Hof; unter ihnen war aber einer, ein Offizier. Er verfolgte sie auf Schritt und Tritt und wo sie auch war, – überall sah sie seine schwarzen, bösen Augen. Er ließ sich ihr nicht vorstellen und sprach niemals mit ihr, – er sah sie aber immer so sonderbar frech an. Alle Vergnügungen der Hauptstadt waren für sie durch seine Gegenwart vergällt; sie bat ihren Mann, so bald als möglich abzureisen, – und sie machten sich reisefertig. Eines Abends begab sich ihr Mann in einen Klub; einige Offiziere vom gleichen Regiment wie jener hatten ihn zum Kartenspiel eingeladen... Sie blieb zum ersten Male allein. Der Mann blieb lange aus; sie entließ ihr Mädchen und begab sich zu Bett... Da überkam sie plötzlich ein beklemmendes Gefühl, so daß sie ganz kalt wurde und schauderte. Es war ihr, als ob sie ein leises Geräusch hinter der Wand – wie das Scharren eines Hundes – hörte, und sie richtete ihren Blick auf die Wand. In der Ecke brannte ein Lämpchen; das ganze Zimmer war mit Stofftapeten ausgeschlagen... Plötzlich bewegte sich etwas, der Wandbehang hob sich... Und aus der Wand heraus trat schwarz und lang jener unheimliche Mensch mit den bösen Augen! Sie wollte aufschreien und konnte es nicht. Sie war ganz gelähmt vor Angst. Er ging schnell wie ein Raubtier auf sie zu, warf ihr etwas über den Kopf, etwas Schwüles, Schweres, Weißes... Was weiter geschah, weiß ich nicht... weiß ich nicht! Es war wie der Tod, wie ein Mord... Als sich dieser schreckliche Nebel endlich verzog, als ich... als meine Freundin zu sich kam, war niemand im Zimmer. Sie konnte noch lange nicht schreien, und als sie endlich aufschrie, verlor sie gleich wieder die Besinnung...

Später sah sie ihren Mann neben sich, den man bis zwei Uhr nachts im Klub aufgehalten hatte... Er war ganz blaß vor Schreck. Er begann sie auszufragen, aber sie sagte nichts... Dann wurde sie krank... Doch ich erinnere mich: als sie einmal allein im Zimmer war, untersuchte sie jene Stelle an der Wand... Unter der Stofftapete fand sie eine Geheimtüre. Sie hatte ihren Trauring verloren. Dieser Ring war von ungewöhnlicher Form: Sieben goldene Sterne wechselten auf ihm mit sieben silbernen Sternen ab; es war ein alter Familienschmuck. Der Mann fragte sie, was mit dem Ring geschehen sei, sie konnte ihm aber keine Antwort geben. Der Mann glaubte, sie hätte ihn irgendwo fallen lassen und suchte überall, fand ihn aber nicht. Auch ihn ergriff Unruhe; er beschloß, so schnell als möglich nach Hause zu reisen, und sobald der Arzt es erlaubte, verließen sie die Hauptstadt... Aber denke dir nur! Am Tage ihrer Abreise stießen sie auf der Straße auf eine Tragbahre... Und auf dieser Bahre lag ein eben ermordeter Mann mit gespaltenem Schädel – denke dir nur! – es war jener nächtliche Gast mit den bösen Augen... Man hatte ihn beim Kartenspiel erschlagen!

Dann reiste meine Freundin aufs Land... sie wurde zum erstenmal Mutter... und lebte noch einige Jahre mit ihrem Mann. Er erfuhr niemals etwas; was hätte sie ihm auch erzählen können? Sie wußte ja selbst nichts.

Doch das frühere Glück war verschwunden. Das Leben der Ehegatten wurde finster, und diese Finsternis hellte sich nie wieder auf... Weitere Kinder bekamen sie nicht, und dieser Sohn...«

Mütterchen erbebte am ganzen Körper und bedeckte das Gesicht mit den Händen...

»Aber sag mir jetzt,« fuhr sie mit verdoppelter Kraft fort, »hat meine Freundin etwas verbrochen? Was kann sie sich vorwerfen? Sie war hart gestraft; hatte sie aber nicht das Recht, vor Gott selbst zu erklären, daß die Strafe, die sie getroffen, ungerecht und unverdient war? Warum wird sie nun wie eine Verbrecherin von Gewissensbissen gepeinigt, warum erscheint ihr das Vergangene noch jetzt, nach vielen Jahren, so grauenvoll? Macbeth hat Banko ermordet, und es ist ganz natürlich, daß er ihn immer vor sich sieht... aber ich...«

Hier wurde die Rede meiner Mutter so verworren, daß ich sie nicht mehr verstand... Ich zweifelte nicht mehr daran, daß sie phantasierte.

X.

Jeder wird leicht begreifen, welchen erschütternden Eindruck die Erzählung meiner Mutter auf mich machte! Ich hatte gleich beim ersten Wort begriffen, daß sie von sich selbst und nicht von einer Freundin sprach; sie hatte sich ja auch einmal versprochen, und dies bestätigte nur meine Vermutung. Also war dieser Mann, den ich im Traume gesucht und jetzt auch im Wachen gesehen hatte, wirklich mein Vater. Er war nicht ermordet, wie meine Mutter glaubte, sondern nur verwundet... Er hatte sie wohl besucht und war, durch ihren Schreck erschreckt, davongelaufen. Plötzlich wurde mir alles klar; das Gefühl der unwillkürliehen Abneigung, welches meine Mutter zuweilen gegen mich empfand, ihr ewiger Gram und unsere Zurückgezogenheit... Ich entsinne mich noch, daß mich ein Schwindel erfaßte, daß ich mit beiden Händen nach meinem Kopfe griff, als ob ich ihn festhalten wollte. Aber ein Gedanke setzte sich in meinem Kopfe fest; ich wollte unbedingt, koste es was es wolle, jenen Mann wieder aufsuchen! Warum? Welchen Zweck sollte das haben? Darüber legte ich mir keine Rechenschaft ab, aber ich mußte ihn aufsuchen, das war mir eine Lebensfrage! Am nächsten Morgen beruhigte sich meine Mutter endlich, das Fieber wich... sie schlief ein. Ich überließ sie der Fürsorge der Hausleute und der Dienerschaft und machte mich auf die Suche.