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Aus dem Hause kam die plumpe Gestalt eines kräftigen Knechtes hervor.

»Was ist los? Was wünschen Sie?« fragte er mich mit heiserer Stimme. Er hörte mich verdrießlich an und wiederholte alles, was schon das Mädchen gesagt hatte.

»Wer wohnt denn hier?« fragte ich.

»Unser Herr.«

»Und wer ist er?«

»Ein Schreiner. In dieser Straße wohnen lauter Schreiner.«

»Kann ich ihn sprechen?«

»Nein, jetzt nicht; jetzt schläft er.«

»Darf ich ins Haus hinein?«

»Nein, gehen Sie.«

»Kann ich den Herrn vielleicht später sprechen?«

»Warum nicht? Gewiß. Den können Sie immer sprechen... Dazu ist er ja Geschäftsmann. Aber jetzt gehen Sie. Es ist zu früh!«

»Nun, und der Mohr?« fragte ich ihn unvermittelt.

Der Knecht sah erst mich und dann das Dienstmädchen ganz verständnislos an.

»Was für ein Mohr?« fragte er schließlich. »Gehen Sie, Herr. Sie können später wiederkommen und mit dem Herrn sprechen.«

Ich trat auf die Straße. Das Tor wurde hinter mir schnell und schwer zugeschlagen, diesmal ganz ohne Knarren.

Ich merkte mir genau die Straße und das Haus und ging, aber nicht nach Hause. – Ich empfand etwas wie Enttäuschung. Alles, was ich erlebt hatte, war so seltsam, so ungewöhnlich und hatte doch ein so dummes Ende genommen! Ich war überzeugt, ich war ganz sicher, daß ich in diesem Hause das mir bekannte Zimmer sehen würde, und mitten im Zimmer meinen Vater, den Baron, im Schlafrock und mit einer Pfeife... Und statt dessen war der Besitzer des Hauses ein Schreiner, den man nach Belieben aufsuchen durfte, bei dem man vielleicht auch Möbel bestellen konnte...

Und mein Vater ist nach Amerika abgereist! Was bleibt mir nun zu tun übrig?.. Soll ich alles der Mutter erzählen, oder die Erinnerung an diese Begegnung begraben? Ich konnte mich unmöglich mit dem Gedanken abfinden, daß sich an einen solchen übernatürlichen, geheimnisvollen Anfang ein solches sinnloses und gewöhnliches Ende schließen könne!

Ich wollte nicht nach Hause zurückkehren und ging ziellos aus der Stadt ins Freie.

XIV.

Ich ging gesenkten Hauptes, ohne Gedanken, fast ohne Empfindungen, doch ganz in mich gekehrt. –

Ein gleichmäßiges, dumpfes und wildes Getöse brachte mich aus dieser Erstarrung. Ich hob den Kopf: die See brauste etwa fünfzig Schritte von mir entfernt. Ich sah, daß ich über den Sand einer Düne ging. Die vom nächtlichen Sturme aufgeregte See war bis zum Horizonte mit weißen Wellenkämmen bedeckt, und die steilen, langen Wogen rollten eine nach der anderen langsam heran und zerschellten am flachen Ufer. Ich trat näher und ging längs der Grenzlinie, welche die Brandung auf dem gelben, gestreiften, mit Fetzen von Seealgen, Muschelscherben, schlangenförmigen Bändern des Riedgrases bedeckten Sand zurückgelassen hatte. Möwen mit spitzen Flügeln kamen mit dem Winde aus ferner, luftiger Ferne kläglich schreiend herbeigeflogen, stiegen schweeweiß zum grauen Wolkenhimmel empor, fielen steil herab, sprangen gleichsam von Welle zu Welle und verschwanden, silbernen Funken ähnlich, in den Streifen des wirbelnden Schaumes. Ich bemerkte, daß einzelne Möwen hartnäckig einen großen Stein umkreisten, der einsam inmitten der gleichförmigen Sandfläche lag. Rauhes Riedgras wuchs in unregelmäßigen Büscheln an der einen Seite des Steins, und, wo die verworrenen Stengel aus dem gelben Salzgrund emporstiegen, lag etwas Schwarzes, Längliches, Rundliches, nicht sehr Großes... Ich sah genauer hin... Irgendein dunkler Gegenstand lag unbeweglich neben dem Steine... Er wurde immer deutlicher und bestimmter, je näher ich herankam...

Ich war nur noch etwa dreißig Schritte vom Steine entfernt...

Es sind ja die Umrisse eines menschlichen Körpers! Es ist ein Leichnam; es ist ein Ertrunkener, den die Brandung herausgeworfen hat! Ich ging an den Stein heran.

Es war der Leichnam des Barons, meines Vaters! Ich blieb wie angewurzelt stehen. Jetzt erst begriff ich, daß mich seit dem frühen Morgen unbekannte Mächte getrieben hatten, daß ich ganz in ihrer Gewalt war, – und einige Augenblicke lang war in meiner Seele nichts als das eintönige, unaufhörliche Brausen der See und die stumme Angst vor dem Schicksal, das mich ergriffen hatte...

XV.

Er lag auf dem Rücken, etwas zur Seite gekehrt, die linke Hand unter dem Kopfe... die rechte unter dem gekrümmten Körper. Die Spitzen der mit hohen Matrosenstiefeln bekleideten Füße waren im zähen Schlamm eingesunken; die kurze blaue Joppe war ganz mit Salzwasser durchtränkt und noch zugeknöpft; ein rotes Tuch umschlang straff seinen Hals. Das dunkle Gesicht war zum Himmel gekehrt und schien zu lächeln; unter der emporgezogenen Oberlippe sahen die dichten, kleinen Zähne hervor; die trüben Pupillen der halbgeschlossenen Augen stachen nur wenig von dem dunkel gewordenen Weißen ab; die mit Schaumblasen bedeckten und mit Sand beschmutzten Haare fielen zur Erde und ließen die glatte Stirne mit der bläulichen Schramme frei; die schmale Nase stand scharf zwischen den eingefallenen Wangen. Der Sturm der vergangenen Nacht hatte das Seinige besorgt! Er hat sein Amerika nicht wiedergesehen! Der Mensch, der meine Mutter beschimpft und ihr Leben verstümmelt hatte, mein Vater, – ja! mein Vater – ich durfte nicht daran zweifeln – er lag jetzt hilflos ausgestreckt im Schmutze zu meinen Füßen. Ich hatte das Gefühl befriedigter Rachsucht, empfand auch Mitleid, Ekel und Grauen... doppeltes Grauen: vor dem, was ich sah und vor dem, was vor Jahren geschehen war. All das Böse, Verbrecherische, von dem ich schon sprach, regte sich wieder in mir... es drohte mich zu ersticken... Aha! dachte ich mir: jetzt weiß ich, warum ich so bin, jetzt weiß ich, von wem ich das Blut habe! Ich stand neben der Leiche, und sah, und wartete: vielleicht zuckten noch die toten Pupillen, vielleicht öffneten sich noch diese erstarrten Lippen... – Nein! Alles blieb regungslos, selbst das Riedgras schien da, wo ihn die Brandung herausgespült hatte, zu ersterben; auch die Möwen waren fortgeflogen, kein einziges Trümmerstück, kein Brett, kein Stück Takelwerk war zu sehen. Alles war leer... nur er – und ich – und die fernhin brausende See. Ich blickte mich um: auch hinter mir dieselbe Öde; bis zum Horizont zog sich eine Kette lebloser Hügel... das war alles! Es war mir peinlich, den Unglücklichen in dieser Einsamkeit, im Uferschlamm als Speise für die Fische und Vögel zurückzulassen; eine innere Stimme sagte mir, daß ich Menschen suchen und holen müsse, wenn auch nicht zur Hilfe, so doch um ihn unter ein schützendes Dach zu bringen. Aber eine unsägliche Angst ergriff mich plötzlich. Es war mir, als ob dieser tote Mensch wisse, daß ich hergekommen sei, als ob er selbst diese letzte Begegnung veranlaßt habe – ich glaubte sogar jenes unheimliche mir bekannte Brummen zu hören... Ich lief zur Seite... und blickte mich noch einmal um... Etwas Glänzendes fiel mir in die Augen und hielt mich zurück. Es war ein goldener Reif an der zurückgeworfenen Hand des Ertrunkenen... Ich erkannte den Trauring meiner Mutter. Ich kann mich noch erinnern, wie ich mich bezwang, umzukehren, an ihn heranzutreten, mich über ihn zu beugen... wie klebrig seine kalten Finger waren, wie ich schwer keuchte, die Augen schloß, und mit den Zähnen knirschte, während ich den hartnäckigen Ring vom Finger abzog...

Schließlich habe ich ihn abgezogen, und ich renne, renne davon, Hals über Kopf – und irgend etwas jagt mir nach, holt mich ein, packt mich...

XVI.

Alles, was ich durchgemacht und erlebt hatte, war wohl auf meinem Gesichte zu lesen, als ich nach Hause zurückkehrte. Als ich ins Zimmer der Mutter trat, richtete sie sich plötzlich auf und sah mich so hartnäckig- fragend an, daß ich, nachdem ich ohne Erfolg versucht hatte, irgendeine harmlose Erklärung vorzubringen, ihr schließlich schweigend den Ring überreichte. Sie wurde entsetzlich blaß, ihre Augen öffneten sich ungewöhnlich weit und wurden ebenso leblos wie bei ihm. Sie schrie schwach auf, taumelte, ergriff den Ring, fiel mir halb ohnmächtig an die Brust und bohrte ihre wahnsinnigen, weit geöffneten Augen in mich. Ich umfaßte sie mit beiden Armen und erzählte ihr stehend, ohne mich zu rühren und ohne Überstürzung mit ruhiger Stimme alles, was ich wußte: von meinem Traum, von der Begegnung und von allem. Sie hörte mich bis zu Ende an, ohne mich auch nur mit einem Worte zu unterbrechen, ihr Atem ging immer schneller, und plötzlich wurden ihre Augen wieder lebhaft und senkten sich zu Boden. Dann steckte sie sich den Ring auf den Goldfinger, trat etwas zur Seite und holte Mantel und Hut. Ich fragte sie, wohin sie gehen wolle. Sie sah mich verwundert an, wollte antworten, aber die Stimme versagte ihr. Sie zuckte einige Male zusammen, rieb sich die Hände, als ob sie sich erwärmen wollte und sagte schließlich: »Wir wollen gleich hingehen.«