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»Und was ist das da für ein Zimmer?« fragte ich, auf eine breite, weiße Türe mit einem Vorhängeschloß zeigend.

»Das da?« antwortete Lukjanytsch mit dumpfer Stimme. »Das ist nichts.«

»Wieso nichts?«

»Nichts... Eine Rumpelkammer...« Und er ging ins Vorzimmer.

»Eine Rumpelkammer? Kann ich sie sehen?...«

»Ich begreife nicht, was Sie da so interessiert,« entgegnete Lukjanytsch unzufrieden. »Was wollen Sie sehen? Es sind ja nur Koffer darin und altes Geschirr... eine Rumpelkammer und nichts weiter.«

»Ich will sie aber doch sehen, zeig' sie mir bitte, Alter,« sagte ich, obwohl ich mich innerlich meiner unanständigen Beharrlichkeit schämte. »Siehst du, ich möchte... ich möchte, auch bei mir im Dorfe ein solches Haus...«

Ich schämte mich noch mehr und konnte den angefangenen Satz nicht zu Ende bringen.

Lukjanytsch stand, den grauen Kopf gesenkt, und sah mich etwas eigentümlich mit krauser Stirne an.

»Zeig' sie mir doch,« wiederholte ich.

»Nun, von mir aus,« sagte er endlich. Er holte den Schlüssel aus der Tasche und machte sehr ungern die Türe auf.

Ich blickte in die Kammer hinein. Es war da wirklieh nichts Bemerkenswertes. An den Wänden hingen alte Bildnisse mit dunklen, beinahe schwarzen Ges sichtern und bösen Augen. Auf dem Boden lag verschiedenes Gerümpel.

»Nun, haben Sie sich sattgesehen?« fragte mich mürrisch Lukjanytsch.

»Ja, danke!« erwiderte ich eilig.

Er schlug die Türe zu. Ich ging ins Vorzimmer und aus dem Vorzimmer in den Hof.

Lukjanytsch geleitete mich hinaus, murmelte: »Leben Sie wohl!« und begab sich in sein Häuschen.

»Und wer war die Dame, die gestern hier zu Besuch war?« rief ich ihm nach. »Sie ist mir erst heute früh im Gehölz begegnet.«

Ich hoffte, ihn durch diese unerwartete Frage zu verirren und von ihm eine unüberlegte Antwort zu bekommen. Der Alte lachte aber nur und schlug die Türe hinter sich zu.

Ich kehrte nach Glinnoje zurück. Ich schämte mich wie ein Junge, den man ausgescholten hat.

– Nein, – sagte ich zu mir: – ich werde das Rätsel wohl nicht lösen können. Also geb' ich's auf! Will nicht mehr daran denken. –

Nach einer Stunde war ich schon auf dem Wege nach Hause; ich war erregt und erbost.

Es verging eine Woche. Wie sehr ich mich auch bemühte, die Erinnerung an die Unbekannte, an ihren Begleiter und an meine Begegnungen mit ihnen mir aus dem Kopfe zu schlagen, sie kamen immer wieder und belästigten mich so hartnäckig und zudringlich wie eine Fliege an einem Sommernachmittag... Auch Lukjanytsch, mit seinen geheimnisvollen Blicken und zurückhaltenden Reden, mit seinem kühlen und traurigen Lächeln kam mir immer wieder in den Sinn. Sogar das Haus, so oft ich daran dachte, – sogar das Haus schien mich durch seine halbgeschlossenen Fenster schlau und stumpf anzublicken, als wollte es mich necken und mir sagen: Und doch wirst du nichts erfahren! Ich hielt es schließlich nicht aus: an einem schönen Tag fuhr ich wieder nach Glinnoje und begab mich von da zu Fuß... wohin? Der Leser kann es leicht erraten.

Ich muß gestehen, als ich mich dem geheimnisvollen Landsitze näherte, spürte ich eine heftige Erregung. Das Haus schien in seinem Äußeren ganz unverändert: dieselben geschlossenen Fenster, dasselbe traurige und einsame Bild; doch auf der Bank vor dem Hofgebäude saß statt des alten Lukjanytsch ein mir unbekannter Bauernbursche von etwa zwanzig Jahren, in einem langschößigen Kaftan aus Baumwollzeug und in rotem Hemde. Er saß auf der Bank, den lockigen Kopf auf die Hand gestützt und schlummerte; von Zeit zu Zeit fuhr er im Schlafe zusammen.

»Grüß Gott, Bruder!« rief ich laut.

Er sprang sofort auf und sah mich starr mit erschrockenen Augen an.

»Grüß Gott, Bruder,« wiederholte ich, »wo ist der Alte?«

»Was für ein Alter?« fragte mich der Bursche gedehnt.

»Lukjanytsch.«

»Ach so, Lukjanytsch!« Er blickte zur Seite. »Sie wollen also Lukjanytsch?«

»Ja, Lukjanytsch. Ist er zu Hause?«

»N–ein,« sagte der Bursche nach einer Pause. »Er ist... wie soll ich... wie soll ich es Ihnen sagen...«

»Ist er etwa krank?«

»Nein.«

»Was ist denn mit ihm los?«

»Er ist nicht mehr da.«

»Wo ist er denn?«

»Ja, es ist ihm... ein Unglück zugestoßen.«

»Ist er gestorben?« fragte ich erstaunt.

»Er hat sich erhängt.«

»Erhängt!« rief ich erschrocken aus und schlug die Hände zusammen.

Wir blickten einander an.

»Ist es lange her?« fragte ich schließlich.

»Heute sind es fünf Tage. Gestern wurde er beerdigt.«

»Warum hat er sich erhängt?«

»Gott weiß warum. Er war ja ein freier Mensch, kein Leibeigener mehr, er bekam sein Gehalt, er kannte keine Not, die Herrschaft behandelte ihn wie einen Verwandten. Wir haben ja eine so selten gute Herrschaft, Gott schenke ihr langes Leben! Man kann gar nicht begreifen, was ihm geschehen war. Der Böse hat ihn wohl verführt.«

»Wie hat er es denn gemacht?«

»Ganz einfach. Hat sich halt erhängt.«

»Und hat man ihm vorher nichts angemerkt?«

»Wie soll ich es Ihnen sagen... Etwas Besonderes war an ihm nicht zu sehen. Er war ja immer finster und mißtrauisch. Oft begann er zu krächzen und zu stöhnen und zu sagen, daß es ihm so traurig zumute sei. Nun, er war ja auch nicht mehr jung. In der letzten Zeit schien er wirklich etwas nachdenklicher als sonst. Manchmal kam er zu uns ins Dorf; ich bin nämlich sein Neffe. – ›Komm doch mal zu mir, Wassja,‹ sagte er, ›und übernachte bei mir!‹ – ›Warum denn, Onkelchen?‹ – ›Ich fürchte mich allein zu sein, es ist so langweilig und einsam.‹ – Ich ging also ab und zu zu ihm hin. Manchmal ging er in den Hof hinaus, sah auf das Haus, schüttelte den Kopf und seufzte... Auch vor jener Nacht, das heißt bevor er sich erhängte, kam er zu uns und rief mich zu sich. Ich ging auch wirklich mit. Wie wir ankamen, saßen wir noch eine Weile auf der Bank vor seinem Häuschen; dann stand er auf und ließ mich allein. Ich wartete; als er lange nicht kommen wollte, ging ich in den Hof und rief: – ›Onkelchen, he Onkelchen!...‹ – Der Onkel gab keine Antwort. Da denke ich mir: wo ist er nur hingegangen, vielleicht in das Herrschaftshaus? Es war aber schon Abend geworden. Ich ging also ins Haus. Es war schon dunkel geworden. Wie ich an der Rumpelkammer vorbeikomme, höre ich, daß dort jemand hinter der Türe kratzt; ich mache die Türe auf; richtig, da sitzt er in der Kammer beim Fenster. ›Was machen Sie hier, Onkelchen?‹ frage ich ihn. Er dreht sich plötzlich um und schreit mich wütend an; seine Augen laufen aber nur so hin und her und leuchten wie bei einem Kater. ›Was willst du? Siehst du denn nicht, daß ich mich rasiere?‹ Und seine Stimme klingt dabei so heiser. Mir standen plötzlich die Haare zu Berge, und es wurde mir, ich wußte selbst nicht warum, so ängstlich zumute... Damals hatten ihn wohl schon die Teufel in ihrer Gewalt, ›Im Finstern?‹ frage ich ihn, mir beben aber dabei die Knie. – ›Es ist gut,‹ sagt er mir, – geh nur.‹ Ich ging, auch er kam aus der Kammer heraus und verschloß die Türe. Wir kamen wieder in sein Häuschen, und meine Angst war auf einmal wie weggeblasen. ›Was haben Sie, Onkelchen,‹ fragte ich ihn, ›in der Kammer gemacht?‹ Er fuhr zusammen. ›Schweig und kümmere dich nicht um fremde Sachen.‹ Mit diesen Worten legte er sich auf die Ofenbank. In der Ecke brennt aber eine Nachtlampe. So liege ich da, bin gerade beim Einschlafen... plötzlich höre ich, wie die Türe leise aufgeht... ganz wenig geht sie auf. Der Onkel lag aber mit dem Rücken gegen die Tür; Sie werden sich wohl erinnern, daß er schwerhörig war. Und doch hörte er, wie die Türe aufging, und sprang plötzlich auf... ›Wer ruft mich da? Wer? Er will mich holen!‹ Mit diesen Worten lief er wie er war ohne Mütze in den Hof... Ich dachte mir noch: ›Was hat er nur?‹ schlief aber sofort wieder ein. Wie ich am nächsten Morgen erwache, ist Lukjanytsch nicht da. Ich ging aus dem Hause, rief nach ihm, bekam aber keine Antwort. Ich frage den Wächter: ›Hast du nicht meinen Onkel gesehen?‹ – ›Nein,‹ sagt er mir, ›ich hab' ihn nicht gesehen.‹ – ›Es ist doch merkwürdig,‹ sage ich, ›daß er nirgends zu sehen ist!‹ Es wurde uns beiden ganz bange zumute. ›Komm doch, Fedossejitsch, komm doch,‹ sage ich, ›wollen wir im Herrschaftshause nachschauen.‹ – ›Komm, Wassilij Timofejitsch,‹ sagt er drauf und ist dabei weiß wie Kalk. Wir gingen ins Haus... und wie ich an der Kammer vorbeikomme, sehe ich, daß das Vorhängeschloß an der Türe aufgemacht ist; ich will die Türe aufstoßen, sie ist aber von innen zugeriegelt... Fedossejitsch lief sofort von außen herum und sah ins Fenster. ›Wassilij Timofejitsch!‹ schreit er, ›die Beine hängen, die Beine...‹ Ich laufe sofort zum Fenster. Und es sind wirklich seine Beine, Lukjanytschs Beine. Er hatte sich mitten im Zimmer erhängt... Wir schickten gleich nach der Polizei... Man nahm ihn aus der Schlinge heraus: zwölf Knoten waren im Strick.«