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Soy un cadro de tristeza,

Arrimado a la pared...

Bin ein trauriges Gemälde Angelehnt an eine Wand...

Ich trat hinter die Säule, an der sie lehnte, beugte mich zu ihrem Ohr und raunte ihr zu:

»Passa quei' colli...«

Sie erbebte am ganzen Körper und wandte sich rasch nach mir um. Unsere Augen kamen einander so nahe, daß ich deutlich erkennen konnte, wie sich ihre Pupillen vor Angst erweiterten. Sie blickte mich ganz bestürzt an, die eine Hand etwas vorgestreckt.

»Am 6. Mai 184* in Sorrent, um zehn Uhr abends, in der Straße della Croce,« sagte ich langsam, ohne die Augen von ihr zu wenden, »dann in Rußland, im N'schen Gouvernement, im Dorfe Michailowskoje, am 22. Juli 184*...«

Ich sagte das alles französisch. Sie rückte von mir weg, und maß mich von Kopf bis zu den Füßen mit einem erstaunten Blick. Dann flüsterte sie mir zu: »venez!...« und ging mit raschen Schritten aus dem Saal; ich folgte ihr.

Wir gingen schweigend. Ich kann gar nicht wiedergeben, was ich empfand, als ich so an ihrer Seite ging. Es war mir, als ob ein herrliches Traumbild plötzlich zur Wirklichkeit geworden wäre, als ob die Statue der Galathea zum erstaunten Pygmalion als lebende Frau vom Sockel herabgestiegen wäre. Ich traute meinen Augen nicht und wagte kaum zu atmen.

Wir gingen durch einige Zimmer... Schließlich blieb sie in einem der Räume stehen und setzte sich auf einen kleinen Divan vor ein Fenster. Ich setzte mich an ihre Seite.

Sie wandte mir langsam ihr Gesicht zu und betrachtete mich eine Weile mit aufmerksamen Blicken.

»Kommen Sie... von ihm?« fragte sie schließlieh.

Ihre Stimme klang schwach und unsicher...

Diese Frage machte mich etwas verlegen.

»Nein... nicht von ihm,« antwortete ich stotternd.

»Kennen Sie ihn?«

»Ja, ich kenne ihn,« antwortete ich mit geheimnisvoller und wichtiger Miene. Ich wollte meine Rolle zu Ende spielen. »Ich kenne ihn.«

Sie sah mich mißtrauisch an, wollte mir wohl etwas sagen, sagte aber nichts und blickte zu Boden.

»Sie haben ihn in Sorrent erwartet,« fuhr ich fort.

»Sie waren mit ihm in Michailowskoje zusammengekommen, sind dort mit ihm einmal ausgeritten...«

»Wie konnten Sie...« fing sie an.

»Ich weiß alles, alles,« unterbrach ich sie.

»Ihr Gesicht kommt mir etwas bekannt vor,« fuhr sie fort, »doch nein...«

»Nein, Sie kennen mich nicht.«

»Was wollen Sie also von mir?«

»Ich weiß alles,« wiederholte ich.

Ich wußte sehr wohl, daß ich den guten Anfang hätte besser ausnützen und im gleichen Sinne fortfahren sollen, daß meine Wiederholungen »Ich weiß alles« auf die Dauer lächerlich wirkten; meine Aufregung war aber so groß, die unerwartete Begegnung hatte mich so verwirrt, daß ich gar nicht wußte, was ich ihr noch weiter sagen sollte. Außerdem wußte ich auch in der Tat nichts mehr. Ich fühlte, daß ich vor ihr auf einmal ganz dumm dastand und daß ich aus dem geheimnisvollen allwissenden Wesen, als welches ich ursprünglich erscheinen mußte, mich allmählich in einen blöde lächelnden Idioten verwandelte; konnte aber nichts mehr dagegen tun.

»Ja, ich weiß alles,« sagte ich noch einmal.

Sie sah mich an, stand schnell auf und wollte fort.

Das war aber zu grausam. Ich ergriff sie bei der Hand.

»Um Gotteswillen,« begann ich, »setzen Sie sich und hören Sie mich an...«

Sie dachte eine Weile nach und setzte sich schließlich wieder auf den Divan.

»Ich habe Ihnen soeben gesagt,« fuhr ich, mich ereifernd, fort, »daß ich alles weiß; das ist Unsinn. Ich weiß nichts, absolut nichts. Weder wer Sie sind, noch wer er ist; und wenn Sie sich über die Worte wundern, die ich Ihnen vorhin bei der Säule zugeraunt habe, so schreiben Sie doch alles einem Zufall zu, einem merkwürdigen, unbegreiflichen Zufall, der mich zweimal wie zum Scherz Ihnen in den Weg geführt und zu einem unfreiwilligen Zeugen von Dingen gemacht hat, die Sie vielleicht geheim halten wollen...«

Und ich erzählte ihr, ohne irgend etwas zu verheimlichen, alles: von meinen Begegnungen mit ihr in Sorrent und in Rußland, von meinen erfolglosen Nachforschungen in Michailowskoje und selbst von meinem Gespräch mit Frau Schlykowa und deren Schwester zu Moskau.

»Jetzt wissen Sie alles,« fuhr ich fort, als ich mit dem Bericht fertig war. »Ich will Ihnen gar nicht sagen, welch einen tiefen und erschütternden Eindruck Sie auf mich gemacht haben: Sie zu sehen und von Ihnen nicht bezaubert zu werden, ist ganz unmöglich... Andererseits brauche ich gar nicht zu sagen, welcher Art dieser Eindruck war. Besinnen Sie sich doch nur, unter welchen Verhältnissen ich Sie beide Male sah... Glauben Sie mir, ich gebe mich nicht gerne wahnsinnigen Hoffnungen hin, begreifen Sie aber jene ungewöhnliche Erregung, die sich meiner heute abend bemächtigt hat, und entschuldigen Sie mir die plumpe List, die ich anwandte, um Ihre Aufmerksamkeit, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, auf mich zu lenken...«

Sie hörte meinen verworrenen Erklärungen mit gesenktem Kopfe zu.

»Was wollen Sie also von mir?« fragte sie schließlich.

»Ich?... Ich will nichts... Ich bin ohnehin glücklich... Ich respektiere fremde Geheimnisse.«

»Wirklich? Bisher hatte ich eigentlich den Eindruck... Ich will Ihnen, übrigens, keine Vorwürfe machen. An Ihrer Stelle würde wohl ein jeder so gehandelt haben. Auch hat uns das Schicksal gar zu beharrlich unter so ungewöhnlichen Umständen einander zugeführt... Das gibt Ihnen vielleicht ein gewisses Anrecht auf meine Offenherzigkeit. Hören Sie also: ich gehöre nicht zu jenen unverstandenen und unglücklichen Frauen, die auf Maskenbälle gehen, um mit dem ersten Besten von ihren Leiden zu reden und nach mitfühlenden Seelen zu suchen... Ich brauche keines Menschen Mitgefühl; mein Herz ist längst tot, und ich bin hergekommen, um es endgültig zu begraben.«

Sie führte ihr Taschentuch an die Lippen.

»Ich hoffe,« fuhr sie mit einiger Überwindung fort, »daß Sie meine Worte nicht als gewöhnliche Maskenballergüsse auffassen. Sie müssen einsehen, daß es mir ganz anders zumute ist...«

Und wirklich glaubte ich in ihrer Stimme, wie angenehm und einschmeichelnd sie auch klang, etwas Unheimliches zu hören.

»Ich bin Russin,« fuhr sie russisch fort; bisher hatte sie französisch gesprochen, »obwohl ich in Rußland wenig gelebt habe... Meinen Namen brauchen Sie nicht zu wissen... Anna Fjodorowna ist meine alte Freundin; ich war wirklich einmal in Michailowskoje unter dem Namen ihrer Schwester... Damals durfte ich mit ihm noch nicht öffentlich zusammenkommen... Es waren auch ohnehin Gerüchte über uns im Umlauf... es gab noch verschiedene Hindernisse, er war noch nicht frei... Diese Hindernisse sind nun beseitigt... Da hat aber er, dessen Namen ich hätte tragen sollen, mit dem Sie mich gesehen haben, mich verlassen.«

Sie ließ hoffnungslos die Arme sinken und schwieg eine Weile... Dann fragte sie mich:

»Kennen Sie ihn wirklich nicht? Ist er Ihnen nie begegnet?«

»Wirklich nie.«

»Er hat sich fast immer im Ausland aufgehalten. Jetzt ist er übrigens hier... Das ist meine ganze Geschichte,« setzte sie hinzu. »Wie Sie sehen, ist an ihr nichts Geheimnisvolles, nichts Außergewöhnliches.«

»Und Sorrent?« wandte ich schüchtern ein.

»Ich hatte ihn in Sorrent kennen gelernt,« antwortete sie langsam und wurde wieder nachdenklich.

Wir schwiegen beide. Eine seltsame Unruhe bemächtigte sich meiner. Ich saß an ihrer Seite, an der Seite jener Frau, deren Bild so oft meine Gedanken beherrscht und mich so schmerzvoll bewegt und erregt hatte, – ich saß an ihrer Seite, doch mein Herz blieb kühl, beklommen. Ich wußte, daß dieses Gespräch zu nichts führen würde, daß zwischen mir und ihr ein unüberbrückbarer Abgrund lag, daß wir uns nach dieser Begegnung nie wieder sehen würden. Den Kopf etwas vorgebeugt, beide Hände nachlässig auf die Knie gesenkt, saß sie gleichgültig da. Ich kenne nur zu gut diese nachlässige Gebärde des unheilbaren Schmerzes, diese Gleichgültigkeit des nicht wieder gutzumachenden Unglücks! Maskierte Paare zogen an uns vorbei; die Töne eines ›eintönigen und wahnsinnigen‹ Walzers klangen bald leise wie aus der Ferne und bald dröhnend in unsere Ohren; die lustige Ballmusik machte auf mich einen traurigen, schweren Eindruck. Ist denn diese Frau – dachte ich – die gleiche, die mir einst am Fenster jenes fernen Landhauses im Glanze ihrer sieghaften Schönheit erschienen war?... – Und doch schien sie von der Zeit unberührt. Der untere Teil ihres Gesichts, den die Spitzen der Maske offen ließen, war zart wie bei einem Kinde; ihr entströmte aber ein Hauch von Kälte wie einer Statue... Galathea war auf ihr Postament zurückgekehrt und durfte es nie wieder verlassen.