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Plötzlich richtete sie sich auf, sah ins andere Zimmer und erhob sich.

»Geben Sie mir den Arm,« sagte sie mir, »kommen Sie schnell...«

Wir kehrten in den Saal zurück. Sie ging so schnell, daß ich ihr nur mit Mühe folgen konnte. Vor einer Säule blieb sie stehen.

»Warten wir hier eine Weile,« flüsterte sie mir zu.

»Suchen Sie jemand?...«

Sie achtete aber nicht mehr auf mich und richtete ihren starren Blick mitten in die Menge. Ihre großen schwarzen Augen blickten verträumt und zugleich drohend durch die Schlitze im schwarzen Samt.

Auch ich blickte in der gleichen Richtung, und sofort wurde mir alles klar. Im schmalen Gange zwischen den Säulen und der Wand ging er, der Mann, den ich mit ihr im Walde gesehen hatte. Ich erkannte ihn sofort: er hatte sich gar nicht verändert. Sein blonder Schnurrbart war noch ebenso schön, und in seinen braunen Augen leuchtete noch immer die gleiche selbstbewußte und ruhige Heiterkeit. Er ging nicht schnell, wiegte sich in den Hüften und erzählte etwas einer Dame im Domino, die er am Arme führte. Als er an uns vorüberging, hob er plötzlich den Kopf und blickte zuerst auf mich und dann auf sie, mit der ich stand; offenbar erkannte er sofort ihre Augen, denn plötzlich zuckten seine Brauen; er kniff seine Augen zusammen, und über seine Lippen huschte ein kaum wahrnehmbares, doch ungemein freches Lächeln. Er neigte sich zu seiner Dame und flüsterte ihr etwas ins Ohr; sie wandte sich sofort um, und ihre blauen Augen streiften uns mit einem schnellen Blick; dann kicherte sie leise und drohte ihrem Begleiter mit ihrem kleinen Händchen. Er zuckte leicht die Achseln, und sie schmiegte sich kokett an ihn...

Ich wandte mich zu meiner Unbekannten. Sie blickte dem sich entfernenden Paare nach; plötzlich riß sie ihren Arm aus dem meinen los und stürzte zur Türe. Ich wollte ihr nacheilen, sie drehte sich aber um und warf mir einen solchen Blick zu, daß ich stehen blieb und mich tief vor ihr verbeugte. Ich begriff, daß es roh und dumm gewesen wäre, sie weiter zu verfolgen.

»Sag' mir doch, mein Lieber,« fragte ich nach einer Viertelstunde einen meiner Bekannten, ein lebendiges Adreßbuch von Petersburg, »wer ist jener schlanke, hübsche Herr mit dem blonden Schnurrbart?«

»Dieser?... Irgend ein Ausländer, ein ziemlich rätselhaftes Individuum, das sich sehr selten an unserem Horizont zeigt. Warum interessiert er dich?«

»Ich habe nur so gefragt...«

Ich kehrte nach Hause zurück. Seitdem sah ich sie nie wieder. Wenn ich den Namen des Mannes, den sie geliebt hatte, wüßte, so könnte ich wohl auch leicht herausbringen, wer sie war; ich wollte es aber nicht tun. Ich habe vorhin gesagt, daß diese Frau mir wie ein Traumbild erschienen war; so zog sie auch wie ein Traumbild vorüber und verschwand auf Nimmerwiedersehn.

Visionen

(Eine Phantasie)

Und der Zauber ist im Nu zerronnen,

Und das Wirkliche erfüllt die Seele.

A. Feth

I.

Ich konnte lange nicht einschlafen und wälzte mich unaufhörlich von der einen Seite auf die andere. »Hole doch der Teufel das blöde Tischrücken,« dachte ich, »das greift nur die Nerven an...« Endlich begann der Schlummer mich zu überwältigen...

Plötzlich war es mir, als ob irgendwo im Zimmer schwach und klagend eine Saite erklänge.

Ich hob den Kopf. Der Mond stand niedrig am Himmel und blickte mir gerade in die Augen. Sein Licht lag weiß wie Kreide auf dem Fußboden... Und wieder ließ sich der seltsame Klang vernehmen...

Ich stützte mich auf einen Ellenbogen. Eine leise Furcht regte sich in meinem Herzen. – Es verging eine Minute, und noch eine... Irgendwo in der Ferne krähte ein Hahn; in noch weiterer Ferne antwortete ihm ein anderer.

Ich ließ den Kopf auf das Kissen sinken. »So weit kann es mit einem kommen,« sagte ich mir wieder, »daß es in den Ohren zu klingen anfängt.«

Einige Minuten darauf schlief ich ein, oder kam es mir nur so vor, als ob ich einschliefe?... Ich hatte einen ungewöhnlichen Traum. Mir träumte, daß ich in meinem Schlafzimmer auf einem Bette läge, nicht schliefe, nicht einmal die Augen schließen könne. Und nun höre ich wieder den Klang... Ich wende mich um... Der Mondfleck am Boden richtet sich allmählich auf, rundet sich oben ab... Vor mir, durchsichtig wie ein Nebel, steht unbeweglich eine weiße Frau.

»Wer bist du?« frage ich sie mit großer Anstrengung.

Eine Stimme, ähnlich dem Säuseln der Blätter, antwortet mir: »Das bin ich... ich... ich... Ich bin dich abholen gekommen.«

»Mich abholen? Wer bist du?«

»Komm nachts zur alten Eiche, die an der Ecke des Waldes steht. Dort werde ich dich erwarten.«

Ich will mir das Antlitz der geheimnisvollen Frau näher ansehen, muß aber plötzlich zusammenschaudern... ein kalter Odem weht mich an. Und ich liege nicht mehr, ich sitze auf meinem Bett, und dort, wo die Vision erschienen war, liegt ein langer, weißer Mondlichtstreifen auf dem Boden.

II.

Wie ich den folgenden Tag verbracht habe, weiß ich nicht mehr. Ich versuchte, glaube ich, etwas zu lesen, zu arbeiten... nichts wollte mir gelingen. Die Nacht brach an. Das Herz schlug mir voller Erwartung. Ich legte mich nieder und kehrte das Gesicht zur Wand.

»Warum bist du nicht gekommen?« ließ sich ein deutliches Flüstern vernehmen.

Ich wandte mich rasch um.

Es war wieder sie... wieder die geheimnisvolle Vision; die unbeweglichen Augen in dem unbeweglichen Gesicht blickten regungslos, und der Blick war von Trauer erfüllt.

»Komm!« flüsterte sie wieder.

»Ich werde kommen,« antworte ich mit unwillkürlichem Schaudern. Die Vision schwebte leicht nach vorn und verschwamm und verzog sich wie Rauch, – und das weiße Mondlicht lag wieder friedlich auf dem glatten Boden.

III.

Ich verbrachte den Tag in Aufregung. Beim Nachtmahl trank ich fast eine ganze Flasche Wein, trat auf den Flur hinaus, kehrte jedoch gleich zurück und warf mich aufs Bett. Das Blut wogte schwer in meinen Adern.

Und wieder ließ sich der Laut vernehmen... Ich fuhr zusammen, wandte mich aber nicht um. Plötzlich fühlte ich, daß mich jemand von hinten fest umschlang und mir ins Ohr flüsterte: »Komm, komm, komm...« Ich zitterte vor Schreck und stöhnte:

»Ja, ich werde kommen!«

Und mit diesen Worten richtete ich mich auf.