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Ist das alles, wofür wir bestimmt sind?

Für das Loa braucht ihr nicht zu mehr bestimmt zu sein. Welchen Sinn hätte es auch, wenn ihr mehr wäret?

Vol’jin suchte nach einer Antwort auf diese Frage, doch alles, was sich ihm darbot, war eine Leere, deren Dunkelheit sich nach ihm ausstreckte und ihn umschlang, um ihn ohne Antworten und mit Sicherheit auch ohne Frieden zurückzulassen.

Schließlich erwachte Vol’jin wirklich, und er öffnete die Augen, um jeden Zweifel auszuräumen, dass es ein Traum war. Schwaches Licht drang zu ihnen vor, gefiltert durch eine Mullbinde. Er wollte sehen, doch dazu müsste er den Verband abnehmen, und dazu wiederum müsste er die Hand heben – ein Unterfangen, das ihm unmöglich war. Ob es nun daran lag, dass seine Hand gefesselt oder vielleicht auch einfach am Handgelenk abgehackt war, konnte er nicht sagen. Seine Verbindung zu seinem Körper war viel zu schwach.

Doch er war noch am Leben, und das weckte den Drang in ihm, sich zu erinnern. Daran, wie er verletzt worden war. Solange er Zweifel gehegt hatte, ob er überleben würde, war ihm diese Mühe wie Kraftverschwendung vorgekommen.

Ohne von irgendjemandem dazu aufgefordert worden zu sein und in bewusster und schadenfroher Missachtung von Garrosh Höllschreis Wünschen, hatte Vol’jin beschlossen, das neue Land, Pandaria, zu besuchen, um zu sehen, was Garrosh mit der Horde vorhatte. Die Pandaren kannte er durch Chen Sturmbräu, und er hatte den Wunsch verspürt, ihre Heimat zu erkunden, bevor der Krieg zwischen der Horde und der Allianz sie in eine Trümmerlandschaft verwandelte. Es war nicht so, als hätte Vol’jin geplant, Garrosh aufzuhalten, aber er hatte einmal gedroht, dem Orc einen Pfeil durch den Körper zu jagen, und für alle Fälle wollte er seinen Bogen auf diese Reise mitnehmen.

Da hatte Garrosh ihm angeboten, einen Beitrag zur Sache der Horde zu leisten, auch wenn er diesen Vorschlag auf seine typische respektlose Art vorbrachte. Vol’jin hatte zugestimmt, weniger um der Horde einen Vorteil zu verschaffen, sondern vielmehr um den Ehrgeiz ihres Häuptlings zu bremsen. Gemeinsam mit einem von Garroshs getreuen Orcs, Rak’gor Blutklinge, und einigen weiteren Abenteurern war der Schattenjäger also zu dieser Mission ins Herz von Pandaria aufgebrochen.

Vol’jin hatte die Reise genossen und sie genutzt, dieses Land mit den anderen zu vergleichen, in denen er schon gewesen war. Die meisten runden Berge, die er bislang gesehen hatte, waren verwittert, von den Elementen besiegt, doch in Pandaria wirkten sie lediglich befriedet. Auch gezackte, wütende Berge sah er, ebenso scharf wie in anderen Landen, doch hier schienen sie nur begierig, den Himmel zu berühren. In den Dschungeln und Hainen wimmelte es von Leben, doch nie hatte er den Eindruck, dort würden sich tödliche Gefahren verbergen, wie es beispielsweise im Schlingendorntal der Fall wäre. Es gab Ruinen, doch nur weil sie verlassen worden waren, nicht weil man sie zerstört oder begraben hatte. Im Gegensatz zum Rest der Welt, der von Hass und Gewalt gezeichnet war, hatte Pandaria noch nicht die Peitsche des Krieges gespürt.

Noch nicht.

Schneller als Vol’jin lieb gewesen war, erreichte der Trupp sein Ziel, und Rak’gor und zwei seiner Helfer brachen mit Wyvern auf, um das Gebiet auszukundschaften. Sie waren noch nicht zurückgekehrt, als die anderen eine Höhle erreichten, deren Eingang von vage menschenähnlichen Eidechsenbestien bewacht wurde. Die Abenteurer machten kurzen Prozess mit den Kreaturen und bereiteten sich darauf vor, die dunklen Tiefen der Höhle zu erforschen.

Schwarze Fledermäuse stoben kreischend aus den verborgenen Nischen des Gewölbes hervor, aber Vol’jin vernahm ihre Schreie nur vage, und er bezweifelte, dass die anderen überhaupt etwas hörten, abgesehen vielleicht vom Flattern ledriger Flügel. Eines der Loa, Hir’eek, hatte die Gestalt einer Fledermaus, erinnerte sich der Troll. Ist das eine Warnung der Götter, dass uns nur Übles droht, wenn wir weitergehen?

Die Loa antworteten nicht, und so ging der Dunkelspeer voran. Ein kaltes Gefühl der Verdorbenheit erfüllte die Höhle, und es wurde stärker, je weiter sie vordrangen. Schließlich blieb Vol’jin stehen und kniete sich hin, wobei er einen Handschuh abstreifte, dann nahm er eine Handvoll feuchter Erde vom Boden und hob sie an seine Nase. Er erkannte das leicht süßliche Odeur verrotteter Pflanzen, vermischt mit dem sauren Gestank von Guano, aber da war auch ein Hauch von etwas anderem. Saurokgeruch, keine Frage, aber irgendwie anders.

Vol’jin verschloss die Nase und kniff die Augen zu, die Hand halb geballt, anschließend siebte er die Erde mit dem Daumen zwischen seinen Fingern hindurch. Als alles fortgerieselt war, streckte er die Finger wieder aus. So leicht wie ein Spinnennetz, flackernd wie der Rauch einer erloschenen Kerze trieb schwache Restmagie über seine Handfläche.

Sie reizte seine Haut wie Brennnesseln.

Das is’n ganz mieser Ort.

Er öffnete die Augen wieder und ging den uralten Gang entlang, der tiefer in die Höhle hineinführte. Wann immer sie eine Gabelung erreichten, sicherten die Orcs beide Gänge, aber der Troll musste nicht einmal die Luft schnüffeln, um den richtigen Weg zu erkennen. Seine rechte Hand war noch immer nackt und gespreizt, und was anfangs noch Spinnweben gewesen waren, hatte sich erst zu einem Faden verstärkt, dann zu einem Garn, und nun drohte es sich in ein Seil zu verwandeln. Jede dieser Veränderungen wurde von winzigen Nadelstichen begleitet, aber zumindest nahm der Schmerz nicht zu, je breiter der Streifen auf seiner Handfläche wurde.

Als die Magie die Breite eines Schiffstaus erreicht hatte, stießen sie auf einen gewaltigen Raum und darin auf den größten Saurok, dem sie bislang begegnet waren. Ein dampfender unterirdischer See dominierte das Zentrum des Gewölbes, und ringsum lagen Hunderte – womöglich sogar Tausende – Saurokeier, die in der Wärme des Wassers heranreiften.

Vol’jin hob die Hand, und die anderen blieben stehen. Dies war ein Nest im Herzen der Magie.

Bevor er die ganze Bedeutung dieser Erkenntnis ausloten konnte, entdeckte der Saurok sie und griff an. Der Troll und seine Begleiter schlugen wild entschlossen zurück, doch das Reptilienwesen kämpfte so verbissen, dass jeder von ihnen blutige Wunden davontrug, bevor sie die Kreatur schließlich niedergestreckt hatten. Doch während die anderen Mitglieder der Gruppe sich nun um ihre Verletzungen kümmerten, spürte Vol’jin den Drang, sich weiter umzusehen.

Leise watete er in das seichte Wasser des Sees und streckte die Arme aus, dann schloss er die Augen und drehte sich langsam im Kreis. Das unsichtbare magische Seil wickelte sich bei der Bewegung wie eine Dschungelliane um seine Arme, schlang sich um seinen Körper. Darin eingeschnürt, liebkost von ihrer brennenden Berührung begann er diesen Ort zu verstehen, wie nur ein Schattenjäger es konnte.

Geister schrien vor uralten Qualen, die Essenz der Saurok stürmte auf ihn ein und schlängelte sich durch seinen Bauch wie die Natter, die einst, vor vielen Zeitaltern, über den kalten steinernen Boden der Höhle gekrochen war – eine Schlange, rein in ihrer Natur und ihrem Geist.

Doch dann hatte Magie die Schlange erfasst. Schreckliche Magie, ein Vulkan, gegen den sich die Fähigkeiten der meisten Magier wie kleine Funken ausnahmen. Sie strömte durch die Schlange, durchbohrte ihren goldenen Geist mit tausend schwarzen Dornen. Diese Dornen zogen ihre Seele auseinander, von hier nach dort, von oben nach unten, von innen nach außen, selbst aus der Vergangenheit in die Zukunft, aus der Wahrheit in die Lüge.

Vor seinem geistigen Auge sah Vol’jin, wie die Dornen an dem Gold zerrten und zogen, bis es so straff gespannt war wie Bogensehnen. Anschließend zuckten die Dornen alle wieder vor, zurück in das Zentrum der Schlangenseele. Dabei zogen sie die goldenen Fäden hinter sich her, verwoben sie zu einem arkanen Gewirr. Die Fasern der Schlangenseele verdrehten und verknoteten sich; einige zerrissen, andere verschmolzen mit den Enden neuer Fäden. Die ganze Zeit über schrie die Natter. Was sie einst gewesen war, verwandelte sich in eine fremde Kreatur; eine Kreatur, halb wahnsinnig von den Folgen dieser Erfahrung, doch biegsam und formbar in den Händen ihres Schöpfers.