Als die Straße sie auf eine Öffnung in der Bergwand zuführte, erhaschte er einen Blick auf eine gewaltige graue Statue auf einem bronzenen Sockel. Sie stellte einen Mogu-Krieger dar, der hoch aufgerichtet dastand, die Hände auf dem Griff eines mächtigen Streitkolbens. Selbst wenn man die Waffe auf normale Proportionen geschrumpft hätte, wäre nicht einmal Garrosh in der Lage gewesen, sie zu schwingen. Auch wenn das gleichgültige Gesicht der Statue keinen Anhaltspunkt auf die Persönlichkeit des dargestellten Mogu zuließ, kündete dieser Streitkolben doch von Macht, Grausamkeit und dem Verlangen, jeglichen Widerstand zu zerschmettern.
Khal’ak und Vol’jin betraten die Gruft nicht, denn in der Ferne kam ihnen mit gemessenen Schritten eine Parade entgegen. Zandalari-Truppen, von deren Speeren Wimpel flatterten, führten diese Prozession an, dahinter kamen, auf einem eleganten, von Kodos gezogenen Pandaren-Wagen stehend, drei Mogu, flankiert von einem halben Dutzend weiterer Trolle. Ihnen folgte ein kleinerer Wagen mit zwölf Zandalari-Hexendoktoren, und zwischen ihnen und den Zandalari-Truppen, die den Abschluss des Zuges bildeten, rollte ein klappriger Wagen dahin, auf dem Chen, Tyrathan, die drei Mönche und vier Menschen, allesamt männlich, saßen. Holz knirschte, und die Zugtiere schnauften, während ihre donnernden Hufschläge den Boden erzittern ließen.
Als die Prozession vor der Gruft zum Stillstand kam, gingen die Schamanen zu den Gefangenen und drängten sie ins Innere, anschließend folgten ihnen die Zandalari und ihre Mogu-Gastgeber. Khal’ak bellte dem Hauptmann, der die übrigen Truppen anführte, einen Befehl zu, woraufhin seine Soldaten sich aufteilten, um Verteidigungsstellungen zu errichten. Die Zandalari selbst betraten derweil mit Vol’jin die Düsternis der Gruft.
Einer der Mogu – hätte Vol’jin einen Tipp abgeben müssen, hätte er ihn als Geistfetzer eingeschätzt – deutete mit zwei Fingern auf die Gefangenen, und die Hexendoktoren brachten Dao und Shan nach vorne und bugsierten sie links und rechts an die Ecken des Statuensockels. Als der Mogu noch einmal die Hand hob, wurden zwei Menschen an die beiden hinteren Ecken geschubst.
Vol’jin verspürte Scham für Tyrathan. Die Pandaren-Mönche hielten den Kopf hoch erhoben, als die Zandalari sie zu ihren Positionen führten. Sie wehrten sich nicht und versuchten nicht, zurückzuweichen. Eine Aura stiller Würde umgab sie, als würden sie gar nicht darüber nachdenken, was nun, wie sie sehr wohl wussten, mit ihnen geschehen würde. Die Menschen hingegen heulten und schrien und mussten zur Statue hinübergezerrt werden. Das mochte daran liegen, dass sie kein inneres Gleichgewicht hatten, oder daran, dass sie sich jäh ihrer Sterblichkeit bewusst wurden. Einer von ihnen konnte nicht einmal mehr stehen und musste von zwei Zandalari aufrecht gehalten werden, ein anderer wimmerte vor sich hin und nässte sich ein.
Khal’ak drehte sich halb zu Vol’jin herum und flüsterte. „Ich wollte die Mogu davon überzeug’n, dass sie nur Menschen brauchen, aber nachdem sie gesehen hatten, wie die Shado-Pan kämpften, wollten sie unbedingt auch Pandaren. Ich konnte sie zwar überred’n, Chen und deinen Menschen zu verschonen, aber …“
Der Troll nickte. „Ein Anführer muss unangenehme Entscheidungen treff’n.“
Der Mogu-Geistfetzer trat zu Bruder Dao an die vordere linke Ecke der Statue. Mit einer Hand riss er den Kopf des Mönchs nach hinten, sodass die Kehle des Pandaren bloßlag, dann hob er die andere Hand und stieß eine Klaue in den Hals seines Opfers. Die Wunde war nicht tödlich, kaum mehr als ein lästiger Stich, und als der Mogu die Hand zurückzog, glänzte ein schwerer Tropfen Pandaren-Blut daran.
Der Geistfetzer streifte diesen Tropfen an der Ecke des Bronzesockels ab, woraufhin eine kleine Flammenzunge aufloderte. Nach einem Moment schrumpfte sie zu einer winzigen, blau flackernden Flamme zusammen.
Nun wandte der Mogu sich dem Menschen an der hinteren Ecke zu, und als ein Tropfen seines Blutes den Sockel berührte, schoss ein kleiner Geysir aus Wasser nach oben. Als er verging, blieb eine kleine Pfütze zurück, deren Oberfläche sich im Rhythmus der tanzenden Flamme kräuselte.
Jetzt war der zweite Mensch an der Reihe. Sein Blut rief einen winzigen Zyklon hervor. Zunächst war er rötlich verfärbt, dann konnte man ihn nicht mehr sehen, und nur das Flattern der schmutzigen Robe, die der Mensch trug, kündete davon, dass er noch da war. Dieses Flattern passte sich dem Kräuseln der Pfütze an.
Zu guter Letzt kam der Geistfetzer zu Bruder Shan. Der Mönch hob von sich aus den Kopf und entblößte seinen Hals, und nachdem der Mogu sein Blut auf die Bronze gestrichen hatte, gab es eine vulkanische Eruption, und Vol’jin war sich sicher, dass sie durch Shans Zorn noch verstärkt wurde. Die geschmolzene Erde beruhigte sich jedoch nicht wieder, sondern floss weiter, näherte sich in schmalen Linien der Pfütze und dem Zyklon.
Luft, Feuer und Wind breiteten sich nun ebenfalls aus, und wo sie einander berührten, rangen sie verbittert miteinander. Die Gewalt dieser Zusammenstöße stieg in halb durchsichtigen, schillernden Machtentladungen nach oben, zur Decke hinauf, sodass sie die Statue wie Wände einhüllten. Lauter Donner grollte, dann zeigten sich Risse im Stein, gewaltige Klüfte, so tief und breit wie die auf den Gebäudetrümmern draußen. Sie breiteten sich aus wie die Wurzeln eines Baumes, und nach Vol’jins Schätzung würde die gesamte Höhle zehn Fuß hoch unter Geröll begraben, sollte die Statue auseinanderbrechen.
Hoch genug, um uns alle zu verschling’n.
Doch die Statue brach nicht auseinander. Die Energielinien sanken wieder nach unten und glitten in die Risse. Ein paar Herzschläge lang sammelten sie sich im Zentrum des Bildnisses, dort, wo sich das Herz des Mogu befunden hätte. Sie pulsierten, zwei-, vielleicht auch viermal, dann strömte die Energie durch unsichtbare Venen nach außen. Ein rötlicher Hauch überzog die gesamte Statue, und unter seinem Schillern knirschte und barst der Stein. Es war, als würde dieser Schimmer unglaublichen Druck auf die Statue ausüben, wie ein Mühlstein, der das Standbild zu Staub zermahlte.
Doch dank der unsichtbaren Energie behielt die Statue ihre Form bei.
Plötzlich zuckte eine ätherische Ranke von einem Knöchel und einem Handgelenk vor. Es sah aus wie Nebel, und es schlang sich um Bruder Daos Gesicht. Der Mönch hatte den Kopf in den Nacken geworfen, um zu schreien, sodass der Dunst in seinen Körper strömen konnte. Einen Augenblick später hatte das Schillern den Pandaren völlig eingehüllt – und dann zerquetschte es ihn wie eine Traube.
Der Brei, der einmal Bruder Dao gewesen war, wurde nun durch die Ranken nach oben gesaugt, und erst als dieses schaurige Spektakel vorüber war, fiel Vol’jin auf, dass auch die drei anderen verschwunden waren. Das Glühen kehrte auf das Bildnis zurück, und diesmal wurde es heller. Es pulsierte und verstärkte sich, und zwei Punkte leuchteten ganz besonders grell, dort, wo sich die Augen der Statue befunden hatten.
Nun zog sich die Magie zusammen, begleitet von einem Kräuseln und mehreren knackenden und knirschenden Geräuschen. Als das Licht sich noch verstärkte, flammte Hitze auf, aber nur, um abrupt wieder zu vergehen. Der leblose Stein presste sich selbst in die Form mächtiger Muskeln, und sie bewegten sich unter einer schwarzen Haut, als das Leuchten selbst sich wieder in die Statue zurückzog. Das Fleisch entlang der gezackten Risse, wo der Stein zerbrochen war, verheilte, ohne dass Narben zurückblieben, und dann stand ein unvergleichlicher Mogu-Krieger, nackt und unbesiegbar, auf dem bronzenen Sockel.
Die beiden anderen Mogu eilten jetzt ebenfalls nach vorne, um mit dem Geistfetzer vor diesem Wesen mit gebeugten Köpfen auf die Knie zu fallen. Einer von ihnen hielt der Kreatur einen schweren goldenen Mantel mit schwarzem Besatz hin, der andere einen goldenen Amtsstab. Der Mogu aus der Statue nahm erst den Stab, dann stieg er auf den Boden hinab und ließ sich von den anderen einkleiden.
Vol’jin studierte das Gesicht der Kreatur. Hätte man ihn nach Jahrtausenden aus dem Schlaf erweckt, dann wäre er während dieser ersten Augenblicke vermutlich etwas verunsichert, bis er begriffen hätte, was geschehen war. Doch alles, was er in den Augen des Kriegsfürsten sah, war ein Flackern von Verachtung, als er die Zandalari sah, und purer Hass ob der Gegenwart der Pandaren.