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„Dann würde sich nur ein Narr geg’n ihn stellen.“ Vol’jin verbeugte sich etwas respektvoller. „Und ich bin kein Narr.“

Nachdem Kao sich zurückgezogen hatte, seufzte Khal’ak tief. „Das ist ein Feind, den wir uns besser nicht gemacht hätt’n.“

„Mein Fehler.“

„Mehr ein kurzzeitiger Fehltritt. Aber wir können ihn wieder beheb’n.“ Sie trat zu Vol’jin und nahm ihm den Zeremoniendolch ab. „Ich werde Vilnak’dor davon überzeugen, dass du der Schlüssel zu unserem Erfolg bist, dann wird er dich befreien. Bis es so weit ist …“

Der Dunkelspeer lächelte und hob die Hände, damit sie wieder die goldenen Ketten darum schlagen konnte. „Ich bin ein Troll. Ich kann sehr geduldig sein.“

Khal’ak küsste ihn auf die Wange, bevor sie ihn den Wachen übergab. „Bald, Schattenjäger. Sehr bald.“

Vol’jins Gefährten zogen sich auf Befehl der Zandalari von der Tür zurück, als man ihn zurückbrachte, dann begrüßten sie ihn, kaum dass die Wachen wieder verschwunden waren, und baten ihn, alles zu erzählen. Er kam ihrem Wunsch nach, angefangen mit Khal’aks Angebot, gefolgt von seiner Unterhaltung mit dem Anführer der Zandalari bis hin zu Kaos Machtdemonstration.

Cuo sagte nichts, und auch Chen blieb untypisch schweigsam. Der Mensch hob die Arme und griff nach den Gitterstangen an der Oberseite des Käfigs. „An deiner Argumentation gibt es nichts auszusetzen.“

Vol’jin musterte ihn genau. „Du hast dich entschied’n, tot zu bleiben, weil es, sosehr es auch schmerzt, das Beste für deine Familie ist, richtig?“

„Richtig.“

„Und du hast diese Entscheidung getroff’n, weil du die Situation betrachtet hast, wie sie wirklich ist, nicht so, wie du sie dir vorgestellt hast oder sie gerne hättest, richtig?“

Tyrathan nickte. „Wie gesagt, deine Argumente sind logisch.“

Vol’jin ging in die Hocke und senkte die Stimme. „Um das Beste für seine Familie tun zu können, muss man die Wahrheit erkennen und darf sich keinen Illusionen hingeb’n. Aber genau das war das Problem der Zandalari. Und das wird auch immer ihr Problem sein.“

Chen schob sich ein wenig näher heran. „Ich verstehe nicht.“

„Das solltest du aber, mein Freund. Du hast es doch mit eigenen Augen gesehen. Du hast in unser Herz geblickt. Die Zandalari, die Gurubashi, die Amani, sie blick’n auf uns herab. Sie glauben, wir hab’n nichts erreicht, während sie große Reiche aufgebaut und wieder verloren hab’n. Die Gurubashi dachten, sie könnten uns auslösch’n. Aber sie sind gescheitert. Sie sind gescheitert, weil sie nicht die Wahrheit gesehen hab’n.

Die Dunkelspeere haben überlebt, denn wir leb’n in der Welt, die um uns ist, nicht in der Welt, der wir nachtrauern. Sie hingegen messen alles an den imaginären Standards der Vergangenheit, dabei wiss’n sie nicht einmal, wie es in diesen alten Reichen war, nicht wirklich zumindest. Sie kennen nur die romantischen Legend’n über diese Reiche. Ihre Standards sind unrealistisch, und zwar nicht nur, weil sie auf Lüg’n basieren, sondern auch, weil diese Standards in der Welt von heute keinen Platz mehr hab’n.“

Als er Vilnak’dor in der Kleidung der Mogu gesehen hatte, einen Zwerg vor der Architektur seiner Gastgeber, hatte sich in Vol’jins Kopf ein Gedanke herauskristallisiert, der ihn bereits in Träumen und Visionen heimgesucht hatte. Wenn man sich die Geschichte der Trolle in ihrer Gesamtheit ansah, dann war es die Geschichte eines Abstiegs. Einst war ihr Volk vereint gewesen, aber ihre Gesellschaft war zersplittert. Dann hatten die Scherben versucht, sich wieder zu vereinen, zu einem Bild der alten Pracht, wie sie nur in ihrem Kopf existierte. Das war natürlich unmöglich, und bei ihren Versuchen waren sie nur übereinander hergefallen. Auch dass die Zandalari die Trollstämme nun um sich vereinten, hatte weniger mit dem Wunsch zu tun, sie zu ihrer einstigen Erhabenheit zurückzuführen, sondern vielmehr damit, dass sie ihren Platz an der Spitze der Trollzivilisation behaupten wollten. Jede Scherbe, die ein großes Imperium errichten und die Welt beherrschen wollte, versuchte letzten Endes nur zu beweisen, dass sie besser als die anderen Trolle war.

Aber dadurch beweis’n sie nur eines: dass sie nicht glauben, wirklich die Besten zu sein.

Vol’jins Vater, Sen’jin, war nicht so gewesen. Er hatte nur gewollt, was für die Dunkelspeere das Beste war. Dass sie eine Heimat hätten, wo sie frei von Furcht sein könnten, wo sie ungefährdet ihre Wünsche und Bedürfnisse erfüllen könnten. Für jene, die besessen von der Macht, der Vergangenheit und den Träumen eines Großreichs waren, für die mussten solche Ambitionen natürlich lächerlich erscheinen.

Und doch können nur solche Ambitionen der Same eines Reiches sein. Als er von den Ängsten seiner Frau gesprochen hatte, hatte Tyrathan gesagt, alles, was er könne, sei zu töten und zu zerstören. Falls sie das wirklich glaubte, unterschätzte sie ihn, wie Vol’jin fand, aber auf die Zandalari und die Mogu traf ihre Einschätzung vollauf zu. Was sie antrieb, war der Hunger nach Rache, aber was, wenn sie all ihre Feinde vernichtet hätten? Was dann? Würden sie wirklich versuchen, eine friedliche Gesellschaft aufzubauen, oder würden sie sich einfach neue Feinde suchen?

Tyrathan war bereit, sich für seine Familie zu opfern, und Chen würde sein Leben für Li Li oder Yalia geben, ohne auch nur darüber nachzudenken, genauso wie Cuo und die Shado-Pan für Pandaria. Vol’jins Vater hatte sich gleichermaßen für die Seinen geopfert, und Vol’jin würde dasselbe tun. Aber wer ist meine Familie?

Als König Rastakhans Agent Zul versucht hatte, alle Trolle zu versammeln, hatte sich Vol’jin zurückgezogen und erklärt: Die Horde ist meine Familie. Garroshs Mordversuch schien dieser Aussage jegliche Grundlage zu rauben, aber nun wurde dem Dunkelspeer klar, dass das Attentat nicht dazu gedient hatte, die Horde ihrem Ziel näher zu bringen. Seine Ermordung hätte allein Garroshs Zielen gedient. Dass der Orc seinen Tod befohlen hatte, zeigte die Kluft zwischen dem auf, was der Häuptling wollte, und dem, was gut für die Horde war.

Die Horde ist meine Familie. Und es ist meine Pflicht, alles für meine Familie zu geb’n. Vol’jin nickte. Indem er einfach hier in Pandaria blieb und seine Wunden leckte, schadete er der Horde. Das war ein Verrat an seiner Familie und seinen Pflichten.

Als Troll und als Schattenjäger.

Er hatte nicht gelogen, als er Vilnak’dor erklärt hatte, seine Aufgabe als Schattenjäger bestünde darin, das Beste für die Trolle zu tun. Doch in einen blutigen Krieg einzutreten, um ein jahrhundertealtes Reich wiederherzustellen, war nicht das Beste für die Trolle, und nicht etwa deshalb nicht, weil es viele Leben kosten würde, sondern weil es nichts mit den Realitäten der Welt um sie zu tun hatte. Die Horde war seine Familie, und die Dunkelspeere waren Teil der Horde. Die Horde war Teil der Realität, der Gegenwart, und das Schicksal der Trolle war untrennbar mit der Horde verbunden. Diese Tatsache zu ignorieren, wäre unglaublich töricht.

Vol’jin griff nach der goldenen Kette zwischen seinen Handschellen. „Die Vergangenheit ist wichtig. Wir können und müss’n von ihr lernen, aber wir dürfen uns nicht von ihr fesseln lass’n. Was bringen einem uralte Reiche, die von ganz’n Legionen errichtet wurden, wenn man sich hier und jetzt einer einzigen Kompanie von Goblin-Kanonier’n gegenübersieht? Ja, die Vergangenheit ist wichtig, aber nur als Fundament für die Zukunft, die wir darauf erbauen.“

Der Troll richtete einen Finger auf Tyrathan. „Es ist dasselbe wie bei dir, mein Freund. Du bist gut im Töt’n. Aber du kannst auch lernen, gut in etwas anderem zu sein. Obwohl ich zugeb’n muss, dass du uns im Moment als Kämpfer am nützlichsten bist. Was dich angeht, Chen: Dein Wunsch nach einem Zuhause und einer Familie gibt dir Kraft. Viele gute Krieger sind schon an Gegnern gescheitert, die genau das verteidigen wollt’n. Und du, Cuo, du und die Shado-Pan, ihr strebt nach einem Gleichgewicht. Ihr seid das Wasser, auf dem das Schiff segeln kann, und der Anker, der verhindert, dass es zu weit abtreibt.“