Die Krieger blickten einander an, überrascht und verwirrt. Durch das Gedränge am Rand des Grabens wurde ein Troll über die Kante geschubst, und er landete zusammengekrümmt im Schnee, die Augen nach oben zu Vol’jin gerichtet. Als er versuchte, an der Wand des Grabens wieder hochzuklettern, lachten seine Kameraden ihn nur aus. Es war in der Tat ein merkwürdiges Verhalten für einen Zandalari, aber der Schattenjäger hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, was das bedeuten mochte.
Diese Narren glaub’n mir nicht. Er blickte auf den Soldaten im Graben hinab. Schnee bedeckte seine Rüstung, aber der Zauber des Schattenjägers hüllte ihn in Frost. Der Troll brach zusammen, am ganzen Körper zitternd, und kratzte mit langsamen Bewegungen an den Wänden, als könnte er so aus dem Graben entkommen.
Nun bahnte sich ein Mogu mit einem Speer einen Weg zum anderen Ende der Brücke. „Ich bin Deng-Tai, Sohn von Deng-Chon. Meine Familie hat dem unsterblichen Kaiser schon gedient, als es noch keine Dunkelspeere gab. Ich weiß, mein Blut ist deinem überlegen. Ich fürchte dich nicht. Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du aus tausend Schnitten Blut weinen.“
Vol’jin nickte und machte in einer einladenden Geste einen Schritt nach hinten. Die Seile der Brücke spannten sich, als Deng-Tai auf ihn zukam, und die Bretter ächzten. Fast wünschte der Schattenjäger, ein Pfeil würde die Haltetaue durchtrennen, aber er wusste, der kurze Fall würde den Mogu nur wütender machen und ihn selbst beschämen.
Wäre der Graben tief genug gewesen, sodass der Sturz den Feind tötete, hätte Vol’jin die Schande vermutlich überlebt. Ob er den Speer des Mogu überleben würde, war eine andere Sache. Die Waffe hatte einen recht kurzen Griff, aber eine lange Klinge, an der Spitze gekrümmt und ringsum mit Zacken verziert. Ein einziger beiläufiger Hieb mit diesem Speer könnte einen Ochsen enthaupten.
Zum Glück bin ich kein Ochse.
Der Mogu, der einen Kopf größer als Vol’jin war, dazu anderthalbmal so breit und in eine Kettenrüstung gekleidet, verlangsamte seine Schritte nicht, als er die kleine Insel betrat, sondern schnellte mit überraschender Geschwindigkeit auf den Troll zu. Seine Rüstung, so schwer sie auch war, schien ihn nicht im Mindesten zu behindern.
Als Deng-Tai zuschlug, drehte Vol’jin sich nach links weg, sodass die Klinge eine der Säulen des Pavillons traf. Funken stoben auf. Nun wirbelte Vol’jin seine Gleve nach unten, auf das rechte Handgelenk seines Gegners hinab. Die Klingenspitze durchschlug das Kettengewebe, das Armschiene und Handschuh verband, und schwarzes Blut schoss aus der Wunde.
Doch jede Freude, die der Troll verspürt haben mochte, weil er den ersten Treffer gelandet hatte, löste sich auf, als der Mogu seinen Speer nach hinten stieß. Die stählerne Kugel, die das stumpfe Ende umschloss, bohrte sich ihm in die Rippen, und die Wucht des Schlages hob ihn von den Füßen. Er sprang zurück und landete gebückt, bereit, den nächsten Hieb abzufangen, als der Mogu zu ihm herumwirbelte.
Doch dann verschwand sein Gegner hinter einem Vorhang windgepeitschter Schneeflocken.
Vol’jin kauerte sich zusammen und schlug zu. Der Speer des Mogu sauste wenige Fingerbreit über seinen Kopf hinweg, aber seine Gleve traf etwas, vermutlich einen Knöchel, wenn auch nicht hart genug. Die Klinge glitt wirkungslos von der Rüstung ab.
Nun zog Vol’jin den rechten Arm an und rollte sich auf diese Seite. Er blieb gebückt hocken, aus Furcht vor einem weiteren fegenden Streich des Speers. Doch stattdessen sprang der Mogu hoch aufgerichtet durch den Schnee und hieb die Klinge senkrecht nach unten, auf die Stelle hinab, wo der Troll eben noch gekauert hatte. Die Klingenspitze bohrte sich in den Stein und versank fünf Zoll tief im Boden, umgeben von einem Netz aus Rissen.
Vol’jin sah seine Chance: Er sprang auf und drehte sich, dann schwang er seine Gleve, von links unten nach rechts oben. Die geschwungene Schneide schnitt durch die linke Achsel des Mogu, und die Stahlringe klimperten zu Boden, als das Kettenhemd zerriss. Blut spritzte, aber weder die gelösten Ringe noch die roten Tropfen waren zahlreich genug, um eine ernsthafte Verletzung anzuzeigen.
Vol’jins Hieb trug ihn in einem Halbkreis um seinen Feind herum, sodass er nun wieder dem Hain und den Trollen zugewandt war, die am Rand des Grabens warteten. Ein Zandalari-Offizier war zwischen ihnen aufgetaucht, und obwohl der Schattenjäger ihn nur einen kurzen Augenblick zwischen den Schneeflocken hindurch sah und der Wind seine Befehle verschluckte, zeigten die wilden Gesten des Trolls Vol’jin doch, dass er seine Soldaten gerade zum Angriff antrieb.
Einen Moment später ergoss sich eine Woge von Zandalari in den Graben.
Vol’jin wollte eine Warnung rufen, aber da wirbelte der Mogu herum. Er hatte seinen Speer nicht aus dem Boden gezogen, sondern den Griff abgebrochen, und nun schwang er das stumpfe Ende in der Hand. Der Schlag traf den Dunkelspeer am Bauch und schleuderte ihn nach hinten, gegen die Säulen des Pavillons. Sterne explodierten vor seinen Augen, als sein Kopf gegen den Stein prallte, dann sank er benommen auf die Knie.
Deng-Tai ragte über ihm auf, den Speergriff zu einem Überhandschlag erhoben, sodass die Stahlkugel seinen Schädel zertrümmern würde. Der Mogu lächelte. „Ich verstehe nicht, warum sie dich fürchten.“
Vol’jin grinste. „Weil sie wiss’n, dass ein Schattenjäger immer tödlich ist.“
Deng-Tai starrte ihn verständnislos an. Schnee wirbelte um die kleine Insel und verbarg die beiden Kämpfer, ebenso wie die Nebel von Pandaria den Kontinent vom Rest der Welt verborgen hatten. Dennoch surrte der geschwärzte Pfeil unbeirrbar durch den Sturm. Falls es Tyrathans Absicht gewesen war, den Mogu zu töten, hatte er sein Ziel verfehlt, aber zumindest hielt Deng-Tai einen Moment inne, als das Geschoss wie eine Sternschnuppe dicht an seinen Augen vorbeischoss.
Mehr brauche ich gar nicht.
Der Speerschaft zischte nach unten.
Doch das kurze Zögern hatte Vol’jin genug Zeit verschafft, um sich nach rechts zu drehen. So verfehlte die Stahlkugel seinen Kopf und traf nur seine linke Schulter. Er spürte kaum, wie seine Knochen brachen, er hörte es nur, dann wich jegliches Leben aus seinem linken Arm. In einer anderen Situation hätte er sich Sorgen um die Verletzung gemacht, aber jetzt war er völlig losgelöst vom Schmerz, losgelöst von allen Sorgen über die Zukunft.
Tatsächlich fühlte er nur noch zu einem eine Verbindung, und zwar zum Kloster. Zu den Mönchen und dem Training, das er hier erhalten hatte – nichts anderes zählte noch. Nichts anderes durfte noch zählen. Die Zandalari sind dieses Ortes unwürdig. Falls sie glaub’n, sie könnten ihn zerstör’n, sind sie Narren.
Er wirbelte auf den Knien herum, kam wieder hoch und schwang die Gleve wie eine Sichel. Schwarze Flüssigkeit schoss aus der Kniekehle des Mogu, wichtiger noch war aber, dass sein Bein einknickte.
Deng-Tai stolperte nach links, bevor er umkippte, und als er schwer auf seinem verwundeten Knie landete, rangen die Schmerzen ihm ein Grunzen ab. Doch er fing sich mit der linken Hand und streckte das rechte Bein, um wieder die Balance zu finden. Noch in derselben Bewegung wirbelte er den Speerschaft herum, um Vol’jin zu erwischen, als dieser vorschnellte, um seinen Vorteil auszunutzen.
Nicht einmal als er noch ein Kind gewesen war und auf eine Herde kleiner Raptoren aufgepasst hatte, wäre Vol’jin auf einen solchen Trick hereingefallen. Er riss den Oberkörper nach hinten, sodass die Stahlkugel an seinem Kinn vorbeisauste, und sprang dann vor. Mit einem brutalen Tritt von der Seite zerschmetterte er das rechte Knie des Mogu, anschließend rammte er den Fuß nach unten, um auch seinen Knöchel zu brechen.
Deng-Tai hieb den Arm wieder nach unten, und der Speerschaft prallte gegen Vol’jins Hüfte, doch der Troll hatte den Schlag vorausgeahnt und sich darauf vorbereitet. Als die rechte Hand des Mogu dann an ihm vorbeisauste, riss er die Gleve hoch und trennte die Pranke am Handgelenk ab. Gemeinsam mit dem abgebrochenen Ende des Speers verschwand sie im stürmischen Schneegestöber.