Chen nickte und tätschelte die Teekanne. „Gleich fertig.“
„Der Tee oder Eure Meinung?“
„Der Tee. Nur noch zwei Minuten.“ Chen lächelte. „Was die Sache mit dem Wasser und dem Anker und dem Schiff angeht, darüber habe ich ebenfalls nachgedacht.“
„Ja?“
„Meiner Meinung nach ist es die Mannschaft. Denn auch wenn es einen Ozean gibt, gibt es nicht automatisch ein Schiff. Man braucht erst eine Mannschaft, die herausfinden will, was auf der anderen Seite dieses Ozeans liegt. Und diese Mannschaft entscheidet, wann sie den Anker wirft und wann sie die Segel hisst. Das Wasser ist also wichtig, und der Anker auch, da sie über das Warum und das Wie entscheiden, aber es ist die Mannschaft, die sich diese Fragen überhaupt erst stellt.“
Er hatte mit den Pfoten gestikuliert, um seine Ausführungen zu verdeutlichen, doch nun hielt er inne. „Aber es ging hier überhaupt nicht um Schiffe, oder?“
„Nein. Ja.“ Taran Zhu schloss kurz die Augen. „Meister Sturmbräu, Ihr habt zwei Schiffe in meinen Hafen gebracht. Sie liegen hier vor Anker, aber für weitere Schiffe ist kein Platz.“
Chen blickte ihn an. „In Ordnung. Soll ich jetzt einschenken?“
„Wollt Ihr denn gar nicht wissen, warum wir keine weiteren Schiffe dulden können?“
„Ihr seid der Hafenmeister, also ist es Eure Entscheidung.“ Chen goss zuerst dem alten Mönch ein, dann Yalia und zuletzt sich selbst. „Gebt acht, er ist noch immer sehr heiß. Am besten warten wir noch ein wenig, bis die Blätter sich auf dem Boden abgesetzt haben.“
Taran Zhu hob seine kleine Tasse und atmete den Dampf tief ein. Es schien ihn zu entspannen. Chen hatte solche Reaktionen schon oft beobachtet. Zu sehen, dass sein Tun einen Einfluss auf die Leute hatte, war eine der Freuden, durch die die Braukunst sein Leben bereichert hatte. Zugegeben, die meisten dieser Leute zogen seine alkoholischen Getränke vor, aber gut aufgebrüht hatte Tee einen einzigartigen Charme – und man hatte am nächsten Tag keine Kopfschmerzen davon.
Das Oberhaupt des Klosters nippte an der Tasse, dann stellte es sie wieder ab und nickte Chen zu. Nun konnten auch die beiden anderen trinken. Der Braumeister glaubte, dabei den Anflug eines Lächelns um Yalias Mundwinkel zu sehen. Er für seinen Teil war jedenfalls der Meinung, dass der Tee ihm ziemlich gut geglückt war.
Unter schweren Lidern musterten ihn derweil Taran Zhus Augen. „Lasst mich noch einmal von vorne beginnen, Meister Sturmbräu. Möchtet Ihr wissen, warum ich bereit bin, Eure beiden Schiffe in meinem Hafen zu dulden?“
Chen musste nicht lange über seine Antwort nachdenken. „Ja, Meister. Warum?“
„Weil sie ein Gleichgewicht darstellen. Nach dem wenigen zu schließen, was Ihr über Euren Troll erzählt habt, und aufgrund der Tatsache, dass er ein Schattenjäger ist, steht er zweifelsohne für Tushui. Und dieser andere, der Mann, der jeden Tag ein Stück weiter den Berg hinaufsteigt und dann wieder herunterkommt – er ist Huojin. Einer gehört zur Horde, der andere zur Allianz. Es liegt in ihrer Natur, sich zu bekämpfen, und doch sind es diese Widersprüche, die sie vereinen und ihnen Sinn geben.“
Yalia stellte ihre Tasse ab. „Verzeiht mir, Meister, aber wäre es nicht möglich, dass sie angesichts dieser Feindseligkeiten versuchen, einander umzubringen?“
„Das ist eine Möglichkeit, die wir nicht ausschließen können, Schwester. Die Feindschaft zwischen der Horde und der Allianz sitzt tief, und diese beiden tragen viele Narben – der Mensch nicht nur an seinem Körper, sondern auch in seinem Geist, und Euer Troll möglicherweise auch, Chen. Zudem hat jemand versucht, ihn zu töten, und sich dabei alle Mühe gegeben. Ob ihn nun die Truppen der Allianz überfallen haben oder ob die Horde sich gegen einen der Ihren gewandt hat, das kann ich nicht sagen. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass sie sich hier gegenseitig umbringen.“
Chen schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass Tyrathan so etwas tun würde, und Vol’jin … Nun, ich weiß …“ Er zögerte einen Moment, und Erinnerungen stiegen in ihm hoch. „Ich sollte wohl mit ihm reden, nicht wahr? Ihm erklären, dass hier kein Blut vergossen wird?“
Ein Stirnrunzeln überschattete Yalias Miene. „Bitte haltet mich nicht für grausam, Meister Sturmbräu, aber ich muss fragen: Lassen wir uns hier nicht in die Politik und die Konflikte eines fremden Landes hineinziehen, indem wir den beiden Obdach gewähren? Könnten wir sie nicht fortschicken oder sie ihren eigenen Völkern übergeben?“
Langsam schüttelte Taran Zhu den Kopf. „Wir sind schon längst in diese Angelegenheiten verstrickt, und die beiden sind nicht ohne Nutzen. Die Allianz und die Horde helfen uns, mit den Sha in den Tonlongsteppen fertigzuwerden. Ihr wisst, welch großes Übel sie darstellen und wie dünn wir im Vergleich dazu gesät sind. Wie sagt man schon seit Urzeiten: Der Feind meines Feindes ist mein Freund – ganz gleich, welche Verwüstung er anrichten mag –, und die Sha waren schon immer der Feind von Pandaria.“
Beinahe hätte Chen mit einem weiteren Sprichwort eingestimmt: „Wer sich mit Hunden bettet, wacht mit Flöhen auf.“ Doch dann besann er sich eines Besseren. Nicht, dass es nicht auf ihre Lage zugetroffen hätte, aber es schien nicht sehr hilfreich, vor allem, da so viele Pandaren Wanderer wie Li Li oder ihn selbst als wilde Hunde betrachteten. Er hoffte, dass Yalia ihn nicht auch so einschätzte, und er hatte nicht vor, sie auf den Gedanken zu bringen.
Er neigte den Kopf um eine Winzigkeit. „Ich bin nicht sicher, Meister, ob Ihr die beiden – meine Schiffe oder die Horde und die Allianz – zu langfristiger Zusammenarbeit bewegen könnt, ganz gleich, wie bösartig der gemeinsame Feind auch sein mag.“
Taran Zhu lachte, fast lautlos, ohne Echo, nur mit dem Hauch eines Lächelns auf dem Gesicht. „Das ist nicht der Grund, warum ich Eure Schiffe im Hafen bleiben lasse, Chen. Vielmehr ist es so, dass Troll und Mensch von uns lernen können, solange sie hier sind; und während sie von uns lernen, können wir auch von ihnen lernen. Denn, wie Ihr so weise bemerkt habt, es wird nicht ewig einen Feind geben, der sie verbündet. Wenn sie sich dann wieder gegenseitig an die Kehle gehen, werden wir entscheiden müssen, auf welche Seite wir uns stellen.“
4
Vol’jin von den Dunkelspeertrollen beschloss, reglos liegen zu bleiben. Das tat er vor allem, weil ihm diese Entscheidung besser gefiel als die Alternative: sich eingestehen zu müssen, dass er nicht die Kraft hatte, sich zu bewegen. Die Hände, die sich um ihn kümmerten, waren sanft und ihre Berührung respektvoll, und doch hätte er sie nicht fortschlagen können, selbst wenn es sein größter Wunsch gewesen wäre.
Helfer, die er nicht sehen konnte, schüttelten Kissen auf und schoben sie unter ihn, um ihn aufzurichten. Er hätte ja gerne protestiert, aber der Schmerz in seinem Hals machte alles außer harsch geknurrten – und sehr kurzen – Wörtern unmöglich. Die offensichtliche Wahl – „Stopp!“ – hätte jedoch nur seine Unfähigkeit bloßgestellt, diese Helfer zum Aufhören zu zwingen, ganz gleich, wie harsch er sie auch geknurrt hätte. Er akzeptierte sein Schweigen als Zugeständnis an seine Eitelkeit, wusste aber, dass die Wurzeln dieser Unzufriedenheit viel tiefer reichten.
Das weiche Bett und die noch weicheren Kissen waren nicht die Art von Komfort, auf die Trolle großen Wert legten. Auf den Echo-Inseln war eine dünne Schlafmatte auf einem Holzboden der Gipfel der Opulenz; viele Trolle schliefen auf der nackten Erde und suchten nur hin und wieder einen Unterschlupf, wenn ein Sturm übers Land fegte. Nachgiebiger Sand gab zwar eine bessere Schlafstätte ab als der harte Stein von Durotar, aber es lag nicht in der Natur der Trolle, sich über unwirtliche Unterkünfte zu beschweren.
Dass hier Sanftheit und Gemütlichkeit so viel Bedeutung beigemessen wurde, irritierte ihn vor allem deshalb, weil es seine Schwäche in den Vordergrund rückte. Der rationale Teil von ihm konnte nicht leugnen, dass es in einem weichen Bett viel leichter war, seinen verwundeten Körper herumzudrehen, und zweifelsohne schlief er hier auch ein wenig besser. Doch indem es die Aufmerksamkeit auf seinen Zustand lenkte, kränkte es ihn in seiner Trollnatur. Für Trolle waren Not und harte Realitäten das, was der offene Ozean für Haie war.