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Als Melifaro mein erschrockenes Gesicht sah, kicherte er. Daraus schloss ich, dass nichts Schlimmes passiert war, und wartete ab, bis er sich beruhigt hatte.

»Juffin und Schürf gehen den Geist des Cholomi-Gefängnisses halten. Das dauert zwei Wochen, vielleicht länger«, erklärte Melifaro. »Ich habe den starken Verdacht, dass du derweil den Kleinen Geheimen Suchtrupp kommandierst, womöglich als Testlauf vor einer Beförderung - wer weiß.«

»Sag das bitte noch mal, aber hübsch langsam.«

»Du hast heute aber eine lange Leitung, Max! Wenn du so weitermachst, darfst du allenfalls Lonely-Lokley vertreten«, brummte Melifaro. »Kamschi - der uns wohlbekannte Leiter des Cholomi-Gefängnisses - hat sich per Stummer Rede bei unserem Chef gemeldet und berichtet, die Steine der Haftanstalt hätten zu stöhnen begonnen: ein deutliches Zeichen dafür, dass das Cholomi-Gespenst mal wieder ein wenig toben möchte. Seine letzte aktive Phase war zu Beginn der Epoche des Gesetzbuchs. Damals kam es zu einer schrecklichen Panik, und kein Mensch hätte gedacht, dass es unserem Chef gelingen würde, das Gespenst zu beruhigen. Bist du nun endlich angezogen? Juffin hat gebeten, dass du möglichst schnell zu ihm kommst.«

»Wann hat er darum gebeten?«

»Vor anderthalb Stunden.«

»Hast du mich etwa so lange wachrütteln müssen? Das glaube ich nicht!«

»Aber es stimmt. Zunächst haben Juffin und ich versucht, dich per Stumme Rede zu erreichen - Fehlanzeige. Erstmals hab ich Schweißperlen auf der Stirn unseres Ehrwürdigen Leiters gesehen. Dann hab ich mich bei deiner Freundin per Stummer Rede gemeldet und sie um Hilfe gebeten. Sie hat sich aber geweigert, dich zu wecken, und gemeint, es sei Selbstmord, dich so kurz nach dem Einschlafen wach bekommen zu wollen. Also musste ich persönlich anrücken. Und wie du weißt, bleibt die Zeit nicht stehen - lass uns also endlich gehen.«

Melifaro musterte mich ernst. Ich zog mich so schnell wie möglich an und meinte dann: »Wir können fahren.«

»Den Magistern sei Dank.«

Wir verließen das Zimmer und landeten im Lokal meiner Freundin. Gedankenverloren blätterte sie in der Morgenausgabe der Königlichen Stimme. Zu dieser Stunde war das Bistro noch leer. Techi hatte keinen Koch, und so früh setzt man sich in Echo nicht in ein Lokal.

Ich winkte ihr zu und ging zum Ausgang. Per Stumme Rede flöteten wir uns ein paar Zärtlichkeiten zu, die nicht für Melifaros Ohren bestimmt waren.

»Ich rase jetzt ins Büro, und du erzählst mir vom Cholomi-Gespenst und seinen Lieblingsbeschäftigungen«, sagte ich.

»Soll das heißen, du hast noch nie von diesem Gespenst gehört?«, fragte Melifaro und zog erstaunt die Brauen hoch. »Schöne Bildungslücke! Gut, damit du unsere herrliche Behörde nicht durch dein Unwissen blamierst, erzähle ich dir einiges. Unser Gefängnis steht genau da, wo sich - wie Wissenschaftler herausgefunden haben - das Herz der Welt befindet. Ich wette, davon hast du auch nichts gewusst, aber der erste König der Alten Dynastie, Chala Machun Mochnatej, wusste es und hat seine Residenz deshalb dort errichten lassen. Von Anfang an hat sich der Bau als seltsam erwiesen: Er vermochte Bewohner und Besucher zu unterscheiden, was den König und seine Nachfolger bestens vor Dieben geschützt hat. Jahrhunderte später wurde Mjenin geboren, und seltsamerweise wollte die Residenz ihn nicht als König anerkennen. Nach der Thronbesteigung war es für Mjenin sogar gefährlich, in seinem Regierungssitz zu leben. Er war darüber nicht weiter traurig, sondern ließ Burg Rulch bauen, packte seine Sachen und zog um. Während seiner Regentschaft und in der Frühzeit der Gurig-Dynastie beherbergte der Cholomi-Bau eine Höhere Magierschule, in der Zauberkundige für den königlichen Dienst ausgebildet wurden. Wie die Leute sagen, sind die Uhren in Cholomi schon damals anders gegangen als überall sonst: Die Studenten haben dort ein volles Jahrhundert verbracht und sich das komplette magische Wissen angeeignet, während ringsum höchstens ein halbes Jahr verstrichen ist. Aber die Hoffnungen des Königs erwiesen sich als vergeblich. Die Zöglinge der Magierschule haben erst die gefährlichen Orden bekämpft, dann aber eigene Orden gegründet, und der Kampf begann von neuem. Übrigens hat auch Lojso Pondochwa, der Vater deiner Techi, dort studiert. Aus meiner Sicht spricht das sehr für diese Einrichtung. Dann aber beschloss einer der ersten Könige der Gurig-Dynastie, die Schule zu schließen, und die Königsfamilie kehrte in ihre alte Residenz Cholomi zurück. Das Gebäude benahm sich seltsam wie zuvor und ließ nun niemanden ohne königliches Einverständnis aus seinen Mauern. Auch Magie funktionierte in der Residenz nicht.«

»Wann wurde dort eigentlich das Gefängnis eingerichtet?«

»Zu Beginn der Epoche des Gesetzbuchs. Das Gebäude hat seine Eigenschaften seither nicht verändert, und man kann es noch immer nicht ohne Weiteres verlassen. Nun allerdings entscheidet darüber nicht mehr der König, sondern der Kommandant der Haftanstalt. Wie du weißt, lebt es sich nicht gerade bequem im Cholomi-Gefängnis, aber wem erzähle ich das? Schließlich hast du dort einige Zeit verbracht.«

»Stimmt«, seufzte ich leise und bremste vor dem Haus an der Brücke. »Aber du hast mir noch immer nichts vom Cholomi-Gespenst erzählt.«

»Ich weiß selber nicht genau, worum es sich da handelt«, antwortete Melifaro ehrlich. »Und ich glaube nicht, dass es jemanden gibt, der dir das erschöpfend erklären kann. Du weißt ja, dass dieses Gebäude recht seltsam ist und sich mit keinem Ort vergleichen lässt. Vielleicht hat es eine Seele - wer weiß. Und womöglich macht sie sich ab und zu bemerkbar. Das empfinden wir Menschen natürlich als ziemlich seltsam. Aber alles könnte auch ganz anders sein.«

»Du bist ein Philosoph, mein Junge«, mischte sich Juffin in unser Gespräch ein.

Er kam uns entgegen und sah uns fröhlich und doch etwas finster an. Besonders mich musterte er von Kopf bis Fuß.

»Hör zu, Max, das Gespenst von Cholomi erwacht mitunter und tobt ein wenig«, sprudelte Juffin hervor. »Wenn es will, kann es das Gebäude dem Erdboden gleichmachen - daran habe ich keinen Zweifel. Deshalb muss man dem Gespenst helfen, sich zu beruhigen. Das haben Schürf und ich jetzt vor, und seit über hundert Jahren ist uns das immer gelungen. Tu bitte so, als hättest du alles verstanden, was ich gerade gesagt habe. Ich weiß, dass es anders ist, aber du würdest mir damit eine große Freude machen. Ich muss jetzt los, aber eines Tages werde ich dir all diese wichtigen Dinge erklären.«

»Ob sie wichtig sind, wird sich noch zeigen«, meinte ich bissig.

»Philosophiere auch du jetzt bitte nicht, Junge. Wie dem auch sei - Schürf und ich verschwinden für zwei Wochen. Auch per Stumme Rede können wir uns nicht verständigen. Das ist, wie du weißt, im Cholomi-Gefängnis unmöglich. Versuch es also gar nicht erst. Die Scherereien mit dem Gespenst verlangen uns nämlich viel Kraft und Konzentration ab. Außerdem bin ich mir sicher, dass hier auch ohne unsere Anwesenheit alles wunderbar laufen wird.«

»Das wird sich noch zeigen.«

»Da hast du auch wieder Recht. Aber ich verlange nichts Besonderes von dir - nur, dass du mitunter eine Entscheidung triffst. Ob sie richtig ist oder nicht, spielt keine so große Rolle. Aber ich wünsche mir sehr, dass du die Verantwortung für die Arbeit unserer Behörde übernimmst.«

»Warum denn ausgerechnet ich? Warum bitten Sie nicht Sir Kofa darum?«

Ich wollte nicht kokett klingen oder mich mit meinem Chef streiten, aber unbedingt wissen, warum Juffin sich für mich entschieden hatte.

»Kofa erträgt keine Verwaltungsarbeit. Seit seiner Tätigkeit als Polizeichef hat er davon die Nase gestrichen voll. Als ich ihn für diesen Dienst warb, hatte er nur eine Bedingung: nie mit Verwaltungskram behelligt zu werden. Und wie du weißt, ist auf mein Wort Verlass.«

»Na schön«, sagte ich und lächelte schief. »Aber Sie wissen doch, dass ich sehr unordentlich bin.«

»Mach dir deshalb keine Sorgen. Und fahr mich jetzt bitte ins Cholomi-Gefängnis. Ich bin spät dran.«