»Sie hätten mich von vornherein als Chauffeur anstellen sollen. Mit dem A-Mobil durch die Gegend zu hetzen - das kann ich schließlich am besten.«
»Cool bleiben, Max«, sagte Juffin und rutschte auf den Beifahrersitz. »Es wird schon alles klappen. Und wenn du einen guten Heiler oder etwas Ähnliches brauchst, melde dich bei Lady Sotowa. Sie mag dich und wird dir immer helfen - das weißt du doch. Mit allen praktischen Fragen kannst du dich an Kofa wenden. Tu das aber besser nicht zu häufig. Wenn ich wieder da bin, beantworte ich dir gern alle Fragen. Außerdem hast du schon oft allein entschieden, und ich war immer damit zufrieden.«
»Meinen Sie die Sache mit dem Mondstier?«, fragte ich.
»Auch. Aber es geht nicht nur um deine Entscheidungen.«
»Worum denn sonst? Soll ich etwa üben, Ihren Platz einzunehmen?«
»Du hast wirklich kühne Träume! Doch wie dem auch sei - etwas Training kann dir nicht schaden. Aber wir sind da. Ich hoffe, Schürf ist bereits im Büro des Gefängniskommandanten. Du fährst jetzt in aller Ruhe ins Haus an der Brücke zurück.«
»Darf ich Sie nicht mehr zum Kommandanten begleiten?«, fragte ich mit zitternder Stimme.
Ich wusste nicht, was mit mir los war, doch ich hatte das Gefühl, gleich würde meine Welt zusammenbrechen. Mir fehlte etwas, an das ich mich sehr gewöhnt hatte.
»Max, was ist los?«, fragte Juffin teilnahmsvoll, da ihm nicht entgangen war, dass es mir nicht gut ging. »Natürlich kannst du mich begleiten, wenn du möchtest. Vielleicht hast du ja noch weitere Fragen.«
Ich blieb auf der Schwelle des Gefängnisses stehen und schüttelte den Kopf.
»Nein, das hat keinen Sinn. Es geht mir einfach nicht besonders. Und es macht mir Sorgen, dass ich mich nicht per Stumme Rede bei Ihnen melden kann, falls etwas schiefläuft. Wahrscheinlich habe ich mich gerade nur etwas einsam gefühlt.«
»Weißt du, Max, ich hab schon Ähnliches erlebt: Als mein Lehrer Machi Ainti, den ich sehr verehre, beschloss, in unsere gemeinsame Heimatstadt Kettari zurückzukehren, sagte er mir von vornherein, ich könne mich nicht per Stumme Rede bei ihm melden, da die Entfernung zu groß sei. Auch ich hatte damals das Gefühl, meine Welt bräche zusammen. Aber wie du siehst, habe ich das überwunden. Im Lauf der Zeit ist auch aus mir ein ganz guter Magier geworden, der selbstständig arbeitet.«
»Das klingt nicht sehr bescheiden«, sagte ich lächelnd.
»Warum auch? Schließlich darf man auf sich stolz sein, wenn Grund dazu besteht. Kopf hoch, Max. In zwei Wochen ist das für uns kein Thema mehr. Und versuch bitte, die Zeit ohne mich zu genießen.«
Mit diesen Worten schloss Juffin die Tür des Cholomi-Gefängnisses hinter sich, die auf mich plötzlich lebendig wirkte. Ich blieb noch einen Moment vor dem Gebäude stehen, wandte mich dann ab und ging zu meinem A-Mobil zurück.
»Na schön«, sagte ich halblaut zu mir. »Dann versuche ich eben, die Zeit zu genießen.«
»Das hättest du dir von Anfang an sagen sollen«, rief Juffin mir erstaunlicherweise per Stumme Rede zu, was mich beinahe zusammenfahren ließ. »Gut zu wissen, dass du meine Bitte erfüllst.«
Ich kehrte etwas zerstreuter ins Haus an der Brücke zurück, als ich es mir eigentlich hätte leisten dürfen, betrat das Büro, das ich mir mit Juffin teilte, und setzte mich auf meinen Stuhl, auf dessen Rückenlehne wie stets der Vogel Kurusch döste. An sich wollte ich Trübsal blasen, doch das war mir nicht vergönnt.
»Oh, verehrter neuer Leiter! Und oh, großer Buriwuch!«, hörte ich und sah Melifaros knallgelben Mantel auftauchen. »Was befehlt Ihr Eurem treuesten Sklaven?«
»Pass auf, sonst werde ich sauer und verbiete dir, frühstücken zu gehen.«
»Zu spät.«
In der Tür erschien Lady Melamori.
»Wisst ihr, als euer vorläufiger Vorgesetzter habe ich eine interessante Idee: Ich melde mich per Stumme Rede beim Fressfass und lasse uns das Mittagessen kommen. Ich bin zu träge, um aus dem Haus zu gehen.«
»Toll, dass du so ein Faulpelz bist!«, rief Melamori begeistert. »Madame Zizinda hat nämlich noch immer Angst vor Leleo, dem spinnenartigen Geschenk meines Verehrers aus Arwaroch. Den müsste ich sonst hierlassen, und das mag er ganz und gar nicht.«
Das wollige Spinnenwesen schnurrte leise vor sich hin.
»Auch ich habe Angst vor deinem Leleo!«, rief Melifaro und sprang unter den Tisch.
»Hör endlich mit dem Theater auf«, meinte Melamori deutlich verärgert.
Der Besitzer des knallgelben Lochimantels kroch aus seinem Versteck und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Im nächsten Moment klopfte der Bote aus dem Fressfass und stellte etliche Töpfe auf den Schreibtisch, den ich mir sonst mit Sir Juffin teilte. Der erste Tag ohne meinen Chef ließ sich ganz gut an.
Beim Essen überzogen Melifaro und Melamori einander mit Sticheleien, wobei unsere Verfolgungsmeisterin deutlich besser abschnitt.
»Und jetzt?«, fragte Melifaro streitsüchtig, nachdem er mit dem Nachtisch fertig war. »Sir Nachtantlitz - ich erwarte Eure Befehle.«
»Jetzt wird geschwiegen, denn ich brauche eine Denkpause«, meinte ich herrisch, sah eine Zeitlang aus dem Fenster und wandte mich dann an Melamori: »Hast du deinen Leleo eigentlich schon der Stadtpolizei gezeigt?«
»Nein, das hab ich noch nicht geschafft.«
»Das ist aber schlimm«, sagte ich streng. »Unsere brave Polizei muss in Angst und Schrecken gehalten werden. Sollte Lady Kekki Tuotli - Bubutas neue Mitarbeiterin -angesichts deines Leleo erbleichen, geh einfach mit ihr Kaffee trinken. Ihr seid doch schon befreundet, oder?«
»Du bist ja gut über unsere Angelegenheiten informiert«, meinte Melamori lächelnd. »Vielleicht sollst du Sir Juffin wirklich ersetzen«, fügte sie hinzu und verließ das Büro.
»Und welche Freuden hast du für mich vorgesehen?«
»Eigentlich keine, mein lieber Melifaro. Du sollst die ganze Zeit hierbleiben und ein kluges Gesicht machen. Hoffentlich ist das nicht zu viel verlangt. Und falls etwas passiert, melde dich ruhig per Stummer Rede bei mir.«
»Und wo willst du derweil hin?«, fragte Melifaro mit lindem Entsetzen.
»Ich besuche die Burg Jafach«, gab ich zurück und zog dabei eine schreckliche Fratze.
»Im Ernst?«, fragte er sichtlich erschrocken.
»Natürlich. Du musst einfach nur auf mich warten.«
»Na schön - aber ich brauche noch etwas Kamra und ein stärkeres Getränk. Wenn du erlaubst, bestelle ich alles im Fressfass - auf deine Rechnung natürlich.«
»Bleib anständig und strapaziere meine Börse nicht«, sagte ich, drohte ihm mit dem Finger und verließ das Büro.
Ich hatte Lady Sotowa schon lange besuchen wollen. Meine Tage waren gezählt, und ich hatte mitunter das Gefühl, ich sollte den freundschaftlichen Kontakt mit ihr pflegen.
Einige Minuten später stand ich bereits vor der Residenz des Siebenzackigen Blattes, und zwar genau dort, wo sich letztes Mal der Eingang befunden hatte. Ratlos meldete ich mich per Stummer Rede bei Lady Sotowa.
»Was ist los, Junge?«, fragte sie erstaunt. »Dein Chef ist noch keine drei Stunden im Gefängnis, und du suchst schon Hilfe bei mir?«
»Aber nein - ich will nur eine kleine Pause einlegen und gemütlich mit Ihnen eine Tasse Kamra trinken.«
»Und dabei willst du mir ein Geheimnis nach dem anderen entlocken«, sagte sie nun laut und tauchte hinter meinem Rücken auf. »Gib mir die Hand. Ich führe dich durch den Obstgarten. Eigentlich solltest du die Geheimtür inzwischen selbstständig finden. Zu etwas musst du doch gut sein.«
Sie nahm mich an der Hand und zog mich mit einem Ruck zur Mauer. »Lass die Augen offen - so lernst du noch was.«
Ich folgte ihrem Rat und sah nun merkwürdige Dinge -zum Beispiel, dass der dunkelblaue Lochimantel der Lady sich in der dunklen Mauer auflöste wie Zucker im Kaffee. Die Wand glitt so nah an meinen Augen vorüber, dass ich ihre Atome zu sehen glaubte. Dann hörte ich Lady Sotowa leise kichern, schaute mich um und stand schon im Obstgarten von Burg Jafach.
»Du hast an Atome gedacht!«, rief Lady Sotowa belustigt. »Nur die Dunklen Magister wissen, wie viele Menschen ich durch diese Geheimtür geführt habe, aber dass dabei jemand an Atome denkt, passiert mir zum ersten Mal.«