»Durchaus. Aber du kannst endlich reinen Gewissens nach Hause gehen, Max. Auch dein Chef räumt seinen Sessel bei Sonnenuntergang - folge einfach seinem Beispiel.«
»Stimmt«, sagte ich, stand auf, lächelte dankbar und ging zur Tür. »Gute Nacht, Kofa.«
Im Wirtshaus Armstrong und Ella war es erstaunlich voll. Dann fiel mir ein, dass ich sonst nie um diese Zeit im Lokal war, da meine Arbeit bei Sonnenuntergang begann.
An der Theke saß mein Freund Ande Pu und blies Trübsal. In letzter Zeit war er hier Stammgast geworden, und ich fragte mich, was er gegessen haben mochte, da es bei Techi keine Speisen gab. Der Starjournalist von Echo war voll trunken, was inzwischen - offen gesagt - sein Normalzustand war.
»Bist du das, oder handelt es sich um eine optische Täuschung?«, fragte Techi. »Was für eine Überraschung!«
»Das sehe ich auch so«, antwortete ich und setzte mich zu Ande. »Eigentlich hatte ich damit gerechnet, die nächsten zwei Wochen im Haus an der Brücke zu verbringen, doch das Schicksal hat sich mir in Gestalt von Sir Kofa gnädig erwiesen. Schade nur, dass es hier so voll ist - ich hatte für uns beide heute Abend andere Pläne.«
»Ach, die Leute gehen gleich«, sagte Techi lächelnd. »Die kommen nur her, um den Träger des Todesmantels als Privatmann zu erleben. Wenn sie ihre Neugier gestillt haben, verschwinden sie schnell. Schließlich haben sie Angst vor dir - und das nicht zu knapp.«
Meine süße Freundin hatte mal wieder Recht, und eine halbe Stunde später war das Lokal leer. Nur der schnarchende Ande Pu leistete uns unbewusst Gesellschaft.
»Der Junge schläft bis morgen früh, wenn man ihn nicht aufweckt«, seufzte Techi. »Er vergiftet seine arme Leber schon seit gestern Nachmittag.«
»Was fehlt dir eigentlich?«, wandte ich mich an den schlafenden Journalisten, schüttelte ihn am Arm und rief ihm ins Ohr: »Warum tust du dir das an? Dein Leben ist doch wunderschön!«
»Du stellst immer Fragen, obwohl ich hier der Journalist bin«, brummte Ande und richtete sich auf.
»Was liegt dir auf der Seele?«
»Max, kannst du mir vielleicht ein Ticket nach Tascher schenken?«, fragte er bescheiden. »Dort ist es warm und ...«
»... dort liebt man die Dichter. Ich weiß - das hast du mir schon erzählt. Warum kaufst du dir nicht selbst ein Ticket? So viel ich weiß, bezahlt Sir Rogro dich anständig.«
»Ach, mein Geld versickert ständig - ich weiß gar nicht, wie und wohin«, gab Ande verlegen zu.
Also mussten Techi und ich noch drei Stunden mit ihm verbringen und uns immer von neuem das Gleiche anhören: dass Herr Ande Pu sich in den Süden sehnt, wo es warm ist und man die Dichter schätzt. Dafür aber gehörte der bescheidene Rest des Abends uns beiden allein - eine echte Seltenheit!
Als der Morgen dämmerte, riss mich Sir Kofa per Stummer Rede aus dem Schlaf.
»Ich weiß, es ist unverzeihlich«, sagte er schuldbewusst, »aber je schneller du im Haus an der Brücke erscheinst, desto besser für uns alle.«
»Wenn du so dramatisch wirst, gibt es sicher einen triftigen Grund«, murmelte ich im Halbschlaf. »Bestell bitte Kamra im Fressfass.«
»Längst erledigt, Max. Und jetzt demonstriere mir mal, zu welchem Tempo du am frühen Morgen fähig bist.«
»Na schön - ich zeig dir, was ich kann.«
Den letzten Satz sagte ich laut und nahm dann einen Schluck Kachar-Balsam, der einmal mehr die Lebensgeister weckte. In meiner alten Welt hätte mir in so einer Lage nur schwarzer Kaffee zur Verfügung gestanden, was mich vor Übermüdung schon längst den Löffel hätte abgeben lassen.
Ich zog mich schnell an, ging nach unten, setzte mich ans Steuer meines A-Mobils und stellte mir die höchstmögliche Geschwindigkeit vor. Kofa würde staunen!
»Was ist passiert?«, fragte ich, als ich mein Büro betrat.
Sir Kofa sah mich restlos begeistert an.
»Acht Minuten - Wahnsinn! Du bist doch aus der Neustadt gekommen, oder?«
»Und ich hab fünf Minuten gebraucht, um wach zu werden«, ergänzte ich stolz und schenkte mir eine Tasse Kamra ein. »Aber was ist eigentlich los?«
»Auf dem Petow-Friedhof sind lebendige Tote aufgetaucht«, sagte Sir Kofa ruhig. »Der Friedhofswächter hat sich bei mir gemeldet. Der arme Alte war ganz aufgelöst. Er wusste nicht mal, wie er vor ihnen fliehen sollte. Und du weißt ja, Max: Mit Zombies ist nicht zu spaßen. Sie dürfen auf keinen Fall Unruhe auf dem linken Flussufer stiften.«
»Haben sie schon was ausgefressen?«, fragte ich besorgt.
»Noch nicht, aber ich rechne damit, dass sie sich schnell über das ganze Stadtviertel verteilen werden.«
»Sind denn viele aufgetaucht?«
»Wenn es nur ein paar gewesen wären, Max, hätte ich die Sache allein erledigt. Das Problem ist, dass immer neue Zombies auf tauchen.«
»Wo sind Melifaro und Melamori? Hast du die auch schon verständigt?«
»Natürlich, doch sie brauchen etwas länger als du, sind aber sicher gleich da.«
»Wenn ich dich richtig verstanden habe, müssen wir zum Friedhof und die Zombies in Fetzen reißen, was?«, fragte ich leicht verzweifelt.
Sir Kofa nickte energisch. »Das müssen wir allerdings. Woher mögen sie wohl kommen?«
»Aus den Gräbern vermutlich«, meinte ich lächelnd.
»Was kommt aus den Gräbern?«, fragte Melamori, die in diesem Moment mein Büro betrat, erschrocken. Anders als ich sah unsere kleine Verfolgungsmeisterin blendend aus. Sie war offenkundig ausgeschlafen.
»Alles kommt aus den Gräbern«, sagte ich automatisch.
Sofort begriffen wir drei die Sinnfreiheit unseres Gesprächs und mussten herzlich lachen.
»Bei uns ist es ja wie immer sehr lustig. Es macht euch wohl Spaß, euch schon bei Sonnenaufgang vor Lachen zu kugeln, was?«, brummte Melifaro verschlafen.
Sein violetter Lochimantel passte hervorragend zu seinen Augenringen. Es gab also noch jemanden, der schlechter aussah als ich. Das war zwar nur ein schwacher Trost, machte mir aber trotzdem Freude.
Schweigend gab ich ihm die Flasche Kachar-Balsam -aus Barmherzigkeit, aber auch, um die Atmosphäre zu verbessern.
»Na schön«, seufzte ich und trank meine Kamra in einem Zug leer. »Zur Sache. Melamori, du bleibst hier -wer weiß, was noch passiert. Wir drei fahren zum Friedhof und knöpfen uns die Zombies vor. Und wenn wir wieder da sind, frühstücken wir gemütlich.«
»Und warum soll ausgerechnet ich hierbleiben?«
Manchmal ist Melamori beängstigend hartnäckig - das muss man wirklich sagen.
»Weil ich es so angeordnet habe - und du weißt ja, welche Funktion ich im Moment ausübe. Außerdem bist du zwar unsere Verfolgungsmeisterin, doch heute müssen wir niemandem auf die Spur treten. Obendrein ist der Kampf gegen Zombies nichts für eine kleine süße Lady wie dich.«
Melamori zog zwar nach wie vor ein beleidigtes Gesicht, aber da ich ihr ein Kompliment gemacht hatte, musste sie klein beigeben. Es war mir offenbar gelungen,
etwas zu sagen, das ihren Gefallen gefunden hatte - den Magistern sei Dank!
»Melifaro und Kofa - ich muss gestehen, dass ich riesige Angst vor Friedhöfen habe. Habt also bitte Geduld mit mir! <•
»Allmählich ähnelst du einem normalen Menschen«, sagte Melifaro, der seine Müdigkeit langsam überwand.
Nach ein paar Minuten hielt ich vor dem Friedhofstor.
»Könnt ihr solche Wesen wirklich abknallen?«, fragte ich meine beiden Begleiter beim Aussteigen.
»Keine Sorge - wir können so einiges«, meinte Kofa und lächelte freundlich. »Du musst das nicht allein erledigen - mach dir da mal keine Gedanken.«
»Ich will nur sichergehen, um unangenehme Überraschungen zu vermeiden. Hab ich schon wieder was Dummes gesagt?«
»Im Gegenteil - du hast einmal mehr deinen Instinkt unter Beweis gestellt. Von uns vieren kann nur Melamori keine Zombies aus der Welt schaffen.«
»Na ja, ich wollte unbedingt, dass jemand im Haus an der Brücke bleibt, und hatte in erster Linie an Sir Lukfi Penz gedacht, aber der erscheint ja grundsätzlich erst mittags in unserer Behörde. Der Umgang mit den Buriwuchen hat seinen Tagesrhythmus offenbar völlig geändert.«