»Hör auf mit diesen Ausreden und gib endlich zu, dass du dir um das Leben unserer kleinen Lady genauso viele Sorgen machst wie ihr Großvater«, unterbrach Melifaro mich listig.
»Na und? Was ist daran so schlimm?«, fragte ich und sah mich um. »Dieser Friedhof sieht gar nicht schlecht aus.«
Petow gehörte zu den ältesten Friedhöfen von Echo und ähnelte eher einem Park. An diesen wunderbaren Ort passte eine Horde Zombies ganz und gar nicht. Wie mir sofort auffiel, waren sie außerdem nicht mal menschenähnlich. Sie hatten leere Augenhöhlen und waren spindeldürr, und die Haut hing ihnen in dunklen Fetzen vom Leib.
Die Untoten saßen lässig plaudernd auf den Grabsteinen. Uns bemerkten sie kaum. Offenbar waren sie blind.
»Das ist nicht gerade der appetitlichste Anblick«, stieß Melifaro hervor. »Heute Abend werde ich auf diesen Schock sicher kräftig einen heben. Mach dich auf eine stramme Zeche gefasst, Max.«
»Schütz deine Leber vor unnötigen Belastungen. Also gut, Jungs - macht was ihr wollt. Ich jedenfalls fange jetzt an. Je schneller wir mit dieser Sache fertig sind, desto besser.«
Ich schnippte mit der linken Hand. Ein blendend grüner Kugelblitz sprang von meinen Fingerkuppen und traf einen Zombie, der sofort umfiel und starb. Ich staunte etwas, denn so wirkungsvoll waren meine Blitze noch nie gewesen.
Vor allem aber staunte ich über die Gleichgültigkeit der anderen Untoten. Ich spürte Mitleid und Erleichterung zugleich - also das, was man empfindet, wenn man eine Schabe zerdrückt und der Chitinpanzer zwischen den Fingern knistert.
Links von mir sah ich Melifaro einige tänzelnde Schritte machen und eine Reihe Kugelblitze auf die phlegmatischen Zombies abfeuern.
»Gut gemacht, mein Freund«, sagte ich, spürte frischen Zorn in mir und konnte weitere Blitze auf den Weg bringen.
Diesmal erwischte ich ein schwach wirkendes Wesen mit rötlichem Ohrring aus einem mir unbekannten Metall.
»Habt ihr das hier schon mal ausprobiert, Jungs?«, rief Kofa uns schelmisch zu.
Ich drehte mich um und sah ihn ein paar Mal lautlos in die Hände klatschen. Sein seltsamer Applaus galt offenbar unseren taubstummen Gästen.
»Schau nicht mich an, sondern die Zombies!«
Ich tat, wie mir geheißen, und sah prompt einige Untote auf den Boden fallen und reglos liegenbleiben.
»Dieser Trick ist enorm wirksam, hat keine unerwünschten Nebeneffekte und tötet sehr schnell jede beliebige Person«, erklärte Sir Kofa. »Es ist allerdings nicht jedem gegeben, ihn anzuwenden. Bei Juffin zum Beispiel hat er nie geklappt.«
»Kaum zu glauben, dass unser Chef etwas nicht kann. Diesen Trick möchte ich auch mal probieren.«
Verblüfft schüttelte ich den Kopf, wollte in die Hände klatschen, brachte es aber leider nur fertig, wie üblich mit den Fingern zu schnippen. Die Versammlung auf den Gräbern wurde von Sekunde zu Sekunde kleiner, doch die Zombies blieben gelassen und versuchten nicht einmal zu fliehen. Das ärgerte mich besonders.
»Schade, dass sie keinen Widerstand leisten«, murmelte ich und schaute dem letzten Kugelblitz von Melifaro hinterher. »Ich wüsste gern, warum.«
»Ist doch egal - die haben eben keinen Kampfgeist«,
meinte Kofa. »Es reicht doch, dass wir die Arbeit von Lonely-Lokley erledigen müssen.«
Ich schnippte mit den Fingern und wunderte mich, wie leicht mir die Erzeugung von Kugelblitzen fiel. Ich musste mich nicht einmal konzentrieren - alles ging wie von allein.
»Ich kann nicht mehr. Ihr könnt mich jetzt auf den Müll werfen - oder vielleicht besser ins Bett«, meinte Melifaro, ließ sich ins Gras nieder und trocknete sich das verschwitzte Gesicht mit seinem violetten Lochimantel ab. »Für heute ist meine Zauberkraft erschöpft.«
»Du hättest dich nicht so anstrengen müssen«, sagte ich. »Kofa und ich hätten das auch allein geschafft.«
»Es war zwar anstrengend, aber unter welchen Umständen könnte ich sonst heutzutage noch so viele Lebewesen um die Ecke bringen? Du bist wirklich ein Glückspilz, Max - du trägst den Todesmantel und darfst böse Dinge tun. Und ich? Mein Leben ist langweilig und voller guter Taten.«
Sir Kofa klatschte noch ein paar Mal tödlich in die Hände und beendete damit unser Friedhofsabenteuer.
»Gehen wir, Jungs«, sagte er gähnend. »Gut, dass alles vorbei ist. Jetzt gibt es nur noch jede Menge Arbeit für den Friedhofswächter.«
»Wir beide können zum Haus an der Brücke fahren, und Melifaro
»Ich will auch dorthin!«
»Wirklich? Gerade wolltest du dich noch schlafen legen.«
»Das hat Zeit. Erst kannst du uns Frühstück spendieren, wie du es versprochen hast.«
»Was bleibt mir anderes übrig?«, meinte ich. »Ich glaube, es ist leichter, dich zu töten, als dich satt zu bekommen.«
»Das sind ja rosige Aussichten«, sagte Melifaro kraftlos.
Er sah wirklich sehr müde aus. Normalerweise lieferten wir uns viel spritzigere Wortgefechte.
»Der Petow-Friedhof ist viel zu alt, um als ruhiger Ort zu gelten«, erklärte Kofa ungerührt und schmierte sich ein Brot. »Aber der Wächter von Kuniga Jussi kann sicher selig schlafen. Dort dürfte so etwas nie passieren.«
»Ist Kuniga Jussi also ein junger Friedhof?«, fragte ich.
»Noch jünger als die Neustadt von Echo. Und die armen Zombies, mit denen wir gerade zu tun hatten - mir läuft ein Schauer über den Rücken, wenn ich mir überlege, wie viele Jahrhunderte sie schon in ihren Gräbern gelegen haben dürften. Vielleicht schon seit der Regentschaft von König Mjenin.«
»Womöglich hat irgendein Dunkler Magister aus einem obskuren Orden die armen Wesen verzaubert«, murmelte Melifaro.
»Ihr seid ja bombig gelaunt«, mischte Melamori sich ein. »Inzwischen freue ich mich, dass ich hierbleiben musste.«
»Schade. Dabei haben wir viele appetitliche Zombies gesehen! Wenn du uns begleitet hättest, könntest du jetzt nicht so seelenruhig frühstücken. Also sei uns gefälligst ein wenig dankbar.«
Alles lief wie geschmiert.
Melifaro ging nach Hause, denn er schien tief verstört.
Niemandem bekommt es, am frühen Morgen so viele Kugelblitze zu produzieren. Melamori und ich faulenzten indessen bis zum Abend, während Kofa einen Spaziergang durch die Stadt machte. Dann kehrte er ins Haus an der Brücke zurück und ließ mich nach Hause gehen. Das war sehr großherzig von ihm.
Ich beschloss, auszuschlafen, vergrub mich im Bett und wachte erst kurz vor Mittag auf - ein grandioses Erlebnis!
Prächtig gelaunt tauchte ich im Haus an der Brücke auf. In meinem Büro saß Sir Lukfi Penz und wirkte etwas zerstreut.
»Da sind Sie ja endlich, Sir Max! Schade, dass Sir Kofa nicht auf Sie hat warten können«, meinte er mit schwachem Lächeln. »Er hat mich gebeten, Ihnen auszurichten, dass alles wieder von vorn begonnen hat.«
»Was hat von vorn begonnen?«
Ein paar Sekunden lang starrte ich Lukfi Penz an, doch er schwieg. Dann meldete ich mich per Stumme Rede bei Sir Kofa.
»Was ist passiert? Sind neue Zombies aufgetaucht? Warum habt ihr mich nicht gerufen?«
»Melifaro und ich schaffen das allein - diese Untoten sind völlig harmlos. Und du hast wirklich Schlaf gebraucht.«
»Vielen Dank für deine Fürsorge. Seid ihr schon fertig?«
»Wir haben gerade die letzten drei Zombies erledigt. Heute bin ich sogar allein mit ihnen fertig geworden. Melifaro hat mir nur Gesellschaft geleistet.«
»Du bist wirklich tapfer, Kofa. Ist Melamori auch mit von der Partie?«
»Aber ja. Sie sucht nach schockierenden Eindrücken. Deck schon mal den Frühstückstisch und warte auf die Rückkehr der Helden.«
Eine halbe Stunde später kamen die drei in mein Büro. Auf Sir Kofas Gesicht war keine Spur von Müdigkeit zu entdecken.
»Jetzt bist du wirklich unser Chef - gratuliere!«, rief Melifaro mir von der Türschwelle aus sarkastisch zu. »Während wir arbeiten, schläfst du. So gehört sich das offenbar.«
»Diese Aufgabenverteilung gefällt mir auch«, pflichtete ich ihm bei. Dann sah ich Kofa vorwurfsvoll an und sagte: »Du hättest mich besser doch wecken sollen.«