»Sir Max«, begann er deutlich erschrocken, »man hat mich zu Ihnen geschickt. Es geht schon wieder um den Friedhof.«
»Was? Schon wieder das Gleiche?« Ich seufzte leise, da mir klar war, dass nun wieder der Ernst des Lebens begann.
»Ja, ich habe leider keine guten Nachrichten«, sagte der Junge mit zitternder Stimme.
»Warum bist du überhaupt hier? Man hätte mich doch per Stummer Rede verständigen können. Das wäre viel schneller gegangen.«
»Ich habe Befehl, Sie aufzusuchen. So etwas habe doch nicht ich zu entscheiden«, sagte er schüchtern und errötete.
»Verstehe«, meinte ich, nahm einen Schluck Kachar-Balsam, schlüpfte in den Todesmantel und ging zu meinem Wagen. Auf der Fahrt meldete ich mich bei Kofa, der blitzschnell reagierte.
»Was? Schon wieder diese Zombies?«
»Leider. Ich fahre zum Friedhof. Stoß zu uns, so rasch du kannst. Ich glaube, auf Melifaro können wir verzichten. Solche Abenteuer strapazieren ihn nur, und ich spekuliere darauf, dass er mich ab und an tagsüber vertritt.«
»Ich bringe ihn trotzdem mit. Es reicht, wenn er dabei ist, ohne etwas zu unternehmen«, widersprach Kofa.
»Wie du meinst - ich warte auf dem Friedhof auf dich.«
Ich verabschiedete mich von ihm und wandte mich an den jungen Polizisten, der unruhig aus dem Fenster sah.
»Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin es gewöhnt, so schnell zu fahren.«
Der Polizist nickte so schüchtern wie stets.
»Wer hat dich eigentlich zu mir geschickt?«, fragte ich, ohne wirklich neugierig zu sein.
»Leutnant Tschekta Schach hat gemeint, man könne Sie bei wichtigen Gedanken unterbrechen, wenn man sich bei Ihnen per Stumme Rede melde. Der Untergebene darf seinen Vorgesetzten aber nicht per Stumme Rede unterbrechen - so bestimmt es das Gesetz«, antwortete er fast flüsternd.
»Bei wichtigen Gedanken, sagst du«, wiederholte ich und schüttelte den Kopf. »Na ja. Dein Vorgesetzter entwickelt sich mit seiner sklavischen Rechtstreue zum echten Nachfolger von Kapitän Fuflos. Zum Glück fehlt ihm das Cholerische von General Bubuta«, fügte ich hinzu, sah den Polizisten erneut an und ergänzte: »Bitte merk dir, dass du und deine Kollegen sich jederzeit per Stumme Rede an mich wenden können. Für so was gibt es keine Beschränkungen.«
»Das werde ich tun«, sagte der Polizist und wirkte nun etwas selbstsicherer. Vielleicht, weil ich so höflich war.
»Erzähl mir jetzt, was auf dem Friedhof passiert ist«, sagte ich und betrachtete den Himmel, der inzwischen ganz hell war. »Was haben die Zombies angestellt?«
»Wir sind wieder einigen dieser Wesen begegnet. Tschekta Schach hat mir gleich aufgetragen, Sie zu holen - darum kann ich nichts Genaueres sagen.«
»Gut«, gähnte ich. »Ich werde ja sehen, was los ist.«
Ich hielt am Eingang des Petow-Friedhofs und begab mich im Laufschritt an den Tatort.
»Sir Max! Die Zombies sind da! Ich hab sie schon mit dem Babun beschießen lassen, aber das hilft nichts.«
Zum ersten Mal erlebte ich Leutnant Tschekta Schach verwirrt. Er wies mit dem Kopf auf die versammelten Untoten. Ihr Anblick wirkte auf mich nicht nur abstoßend, sondern allmählich auch langweilig.
»Natürlich kann man mit dem Babun gegen diese Gesellen nichts ausrichten«, sagte ich und unterdrückte ein Gähnen. »Und wenn Sie mich nächstes Mal brauchen, melden Sie sich per Stumme Rede bei mir. Keine Zeremonien bitte! Was hätten Sie getan, wenn die Zombies sich in alle Winde zerstreut hätten?«
»Zum Glück tun sie das nicht, sondern bleiben bei ihren Grabsteinen«, sagte er, klang aber nicht ganz überzeugt.
»Schon gut. Befehlen Sie Ihren Leuten jetzt bitte, sich schnellstmöglich hinter mir zu sammeln.«
Binnen Sekunden tauchten aus allen Ecken Polizisten auf und kamen zackigen Schrittes auf mich zu. Für mein Empfinden übertrieben sie ein wenig, aber wer weiß, was ich an ihrer Stelle getan hätte. Sie glaubten womöglich, ein schrecklicher Sir Max habe sich entschieden, sie vor dem Anblick der Zombies zu schützen.
Meine Kugelblitze waren effizient wie stets, und die Untoten fielen brav von den Grabsteinen. Aus dem Augenwinkel sah ich ein Stück Metall in der aufgehenden Sonne blinken. Ich dachte kurz nach und kam zu dem Schluss, dass es sich dabei um den Toten handeln musste, der mir schon am Vortag aufgefallen war.
»Es sind immer die Gleichen«, flüsterte ich genervt vor mich hin. »Das hab ich ja befürchtet.«
»Verzeih bitte, Max. Ich glaube, ich bin viel zu spät dran«, sagte Kofa, der plötzlich hinter meinem Rücken aufgetaucht war. »Sündige Magister - du bist ja schon fast fertig. Ist noch einer von denen am Leben?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich heiser und staunte selbst über meine Stimme. Dann setzte ich mich ins Gras. »Das war zu viel für mich heute. Schürf hat mir mal gesagt, Kugelblitze seien für ihren Erzeuger äußerst anstrengend -und ich muss sie schon seit drei Tagen immer wieder als Waffe einsetzen.«
»Warum bist du auch so hastig?«, fragte Kofa seufzend.
Er klatschte ein paar Mal lautlos in die Hände, ging zu dem Haufen regloser Zombies, kam zurück und wirkte zufrieden.
»Sind das alle?«, fragte ich.
»Für heute ja, aber ich wüsste gern, wann dieser Auftritt endet.«
»Vielleicht nie«, seufzte ich. »Heute hat sich mein Verdacht bestätigt, dass es immer dieselben Untoten sind.«
»Woher willst du das so genau wissen? Du hast schließlich nicht mit ihnen gesprochen.«
»Schon beim ersten Mal ist mir einer aufgefallen, der seither immer wieder aufgetaucht ist.«
Ich spürte, dass ich mich am liebsten im taufeuchten Gras ausstrecken und die Augen schließen würde.
»Du bist ganz schön schlapp«, meinte Kofa erstaunt. »Da kommt endlich auch Sir Melifaro - rechtzeitig wie immer!«
»Spät genug jedenfalls, um mir das Unangenehmste zu ersparen«, antwortete Melifaro. Seine Stimme schien ungemein weit entfernt. »Max, seit wann schläfst du so gern unter freiem Himmel? Ist das bei euch in den Leeren Ländern Sitte?«
»Ach, lass ihn. Du kannst ihn nach Hause fahren«, sagte Sir Kofa. »Es ist unglaublich nass hier.«
Ich gab mir alle Mühe, aufzustehen, schaffte es aber nur, mich auf den Ellbogen zu stützen.
»Man muss diese Leichen irgendwie beseitigen. Am besten sollte man sie wohl verbrennen.«
»Überlass das nur mir. Schau, wie viele Helfer ich habe«, sagte Kofa und wies mit dem Kopf auf all die Polizisten.
»Schön für dich. Macht jetzt mit mir, was ihr wollt. Sündige Magister - wie konnte ich nur meine Flasche Kachar-Balsam vergessen! Ich wusste doch, was mich erwartet.«
»Das ist kein Angriff, sondern eine hilfreiche Geste«, sagte Melifaro und streckte mir die Hand hin.
Nachdem ich mich aufgerappelt und ein paar vorsichtige Schritte gemacht hatte, landete ich auf dem Beifahrersitz seines Wagens, und Melifaro setzte sich ans Steuer.
»Fahr mich bitte nach Hause«, sagte ich. »In die Straße der gelben Steine. Meine Freundin Techi hat mich schon einmal sterben sehen. Das möchte ich ihr kein zweites Mal zumuten.«
»Ich mach, was du willst, aber du siehst eigentlich ganz lebendig aus«, tröstete mich Melifaro.
»Das geht vorüber«, seufzte ich und nickte sofort ein.
Ich fiel in den Tiefschlaf des Betrunkenen, doch Melifaro erwies sich - den Magistern sei Dank! - einmal mehr als großherzig und schleppte mich brav ins Schlafzimmer, statt mich wie einen Kartoffelsack vor die Tür zu legen.
Kurz nach Mittag erwachte ich und schaffte es sogar ins Bad. Eigentlich war mir nichts Schlimmes zugestoßen. Ich fühlte mich nur enorm schwach - als hätte ich eine schwere Erkältung hinter mir. Aber auch das war nach ein paar Schlucken Kachar-Balsam spurlos verschwunden.
Auf dem Tisch im Esszimmer stand ein Krug Kamra, deren herrliches Aroma keinen Zweifel daran erlaubte, dass Techi sie zubereitet und mir geschickt hatte. Nach dem ersten Schluck meldete ich mich per Stumme Rede bei ihr und bedankte mich.
»Ich hätte nicht gedacht, dass du so schnell aufstehst.