Diese Pläne erschienen mir zwar zu fantastisch oder zu kühn, um realisierbar zu sein, aber es machte mir doch Spaß, mir ihre Verwirklichung auszumalen.
»Max, ich bin zurück«, rief Melamori von der Türschwelle. »Wie geht es Leleo? Hat es ihn traurig gemacht, dass ich weg war?«
»Aber nein - er hat meine Gesellschaft sehr genossen und sogar etwas gefressen.«
»Dieser Verräter!«, sagte Melamori lächelnd. »Ich dachte, er würde nur fressen, womit ich ihn aus der Hand füttere.«
»Das hatte ich auch gedacht. Und du - hast du jemanden überzeugen können?«
»Natürlich. Ich habe sogar drei Helfer von Juchra Jukori mitgebracht. Er hat mir versprochen, zu uns zu kommen, wenn er mit der Arbeit fertig ist. Aber das kann noch einige Zeit dauern. Dieser Juchra ist der ungeduldigste Mensch von Echo. Einmal hat er im Auftrag meines Vaters gearbeitet und ihm ein halbes Jahr lang erklärt, es gehe nicht, wie mein Vater es wünsche. So fängt er immer an. Dann hat er zwei Jahre lang gearbeitet und genau das gemacht, worum man ihn nicht gebeten hatte. Aber meinem Vater gefiel seine Skulptur so, dass er sich entschied, sie zu behalten. Daraufhin hat Juchra erklärt, er könne sich nicht von seinem Kunstwerk trennen. Schließlich musste mein Vater das Dreifache des vereinbarten Preises zahlen und wurde so Besitzer des größten Kunstwerks der Stadt, das jedoch nicht in unsere Wohnung passte. Dieses Genie hat sich einfach nicht an die für die Plastik verabredeten Maße gehalten.«
»Ein echter Künstler! Diese Geschichte klingt geradezu klassisch. Aber weißt du, Melamori - ich freue mich, dass Juchra beschäftigt ist. Wir haben auch ohne ihn Probleme genug. Ich hoffe, seine Mitarbeiter sind kompromissbereiter.«
»Absolut nicht. Sie arbeiten unter schlimmen Bedingungen. Es ist ja oft so, dass Genies schreckliche Tyrannen sind.«
»Da hast du Recht«, sagte ich lächelnd. »Und nun nimm bitte dein seltsames Haustier und geh heim. Ich vermute stark, du willst sofort ins Bett.«
»Na ja, sofort nicht. Vorher möchte ich noch ein Eis essen und lesen. Wer übernimmt heute eigentlich den Dienst im Haus an der Brücke? Kurusch etwa?«
»Das weiß ich noch nicht. Vielleicht der kluge Vogel, vielleicht auch Melifaro. Das wird sich zeigen.«
»Ich jedenfalls bin froh, nicht mehr auf den Friedhof zu müssen«, seufzte Melamori. »Ich kann vieles nicht ertragen, und Tote gehören sicher dazu.«
»Das ist bei dir familiär bedingt. Kofa hat mir erzählt, ein Teil deiner Familie sei beim Orden des Siebenzackigen Blattes beschäftigt. Dieser Orden hat bekanntlich das gleiche Problem.«
»Stimmt.«
Melamori setzte sich ihren Leleo auf die Schultern und ging mit ihm weg. Ich fühlte mich wie ein älterer Herr, der sich einer jungen Frau gegenüber als Kavalier erwiesen hat.
Nach einer halben Stunde kehrten Kofa und Melifaro mit einigen Bildhauern zurück. Lukfi Penz hatte mich stolz per Stumme Rede informiert, dass es ihm gelungen war, ein paar echte Meister ihres Fachs ins Haus an der Brücke zu schicken. Man hätte denken können, ich wäre entschlossen gewesen, eine Büste von mir anfertigen zu lassen. Nachdem Lukfi mir alles fleißig berichtet hatte, fragte er mich schüchtern, ob er nach Hause gehen dürfe. Natürlich erlaubte ich das, denn er hatte viele Überstunden gemacht. Außerdem hielten sich inzwischen zahlreiche Bildhauer und Künstler im Wartezimmer auf.
»Wir laden sie alle auf Kosten des Hauses zum Abendessen ein«, entschied ich. »Oder was sagt unser Schatzmeister Dondi Melichais dazu? Ich hab das Gefühl, viel mehr Geld auszugeben als mein Chef.«
»Dondi Melichais ist sicher begeistert. Und weißt du warum? Er lebt am linken Flussufer, nur ein paar Schritte vom Petow-Friedhof entfernt. Du sorgst also dafür, dass er dort weiter unbehelligt leben kann.«
Aber unsere Künstler hatten leider nicht die Möglichkeit, auf Staatskosten zu essen, denn Hauptmann Apura Blaki informierte mich per Stummer Rede, alles habe wieder von vorn begonnen.
»Dann ist die Staatskasse offenbar gerettet?«, fragte Melifaro listig.
»Tja«, seufzte ich, »damit war leider zu rechnen. Wir leben offenbar in einem Alptraum.«
Wir brausten wieder zum Petow-Friedhof. Ich hatte das ewige Hin- und Herfahren wirklich satt. Hinter uns kam eine Karawane von Dienst-A-Mobilen aus dem Haus an der Brücke, in denen die Künstler und ihr Arbeitsmaterial Platz gefunden hatten.
»Bleib bei den Bildhauern«, bat ich Melifaro. »Sie können sowieso erst anfangen, wenn Kofa und ich mit den Zombies fertig geworden sind. Vielleicht gelingt es dir, mit ein paar Witzen die Stimmung aufzuheitern. Darin bist du ja ganz groß.«
»Früher schon«, seufzte Melifaro, »aber in letzter Zeit bin ich nicht in Form.«
Kofa und ich begannen erneut, die Zombies auszuschalten, und waren nach ein paar Minuten damit fertig. Ich meldete mich per Stumme Rede bei Melifaro, der daraufhin mit allen Künstlern erschien. Ich war erleichtert, denn die Bildhauer machten einen interessierten und unerschrockenen Eindruck.
»Es freut mich, dass Sie den Auftrag übernehmen wollen, und ich hoffe, dass die Dunklen Magister Ihnen beistehen«, erklärte ich.
»Ohne deren Hilfe wird es nicht gehen - das stimmt«, pflichtete Sir Kofa mir kennerisch bei und setzte sich neben mich auf eine bemooste Grabplatte.
»Ich überlege schon die ganze Zeit, ob Madame Zizinda uns das Abendessen auf den Friedhof schickt, wenn wir uns jetzt per Stumme Rede im Fressfass melden«, sagte ich.
»Du hast heute wirklich geniale Ideen«, meinte Kofa. »Schauen wir mal, ob sie sich darauf einlässt.«
Es zeigte sich einmal mehr, dass Madame Zizinda eine so tapfere wie geschäftstüchtige Frau war, und nach einer halben Stunde aßen wir schon die Leckereien aus ihrem Lokal. Das war das seltsamste Picknick meines Lebens. Wir saßen bequem auf den Grabsteinen, und nach einigen Minuten gesellten sich Hauptmann Blaki und seine Polizisten zu uns. Die heroischen Bildhauer unterbrachen mitunter die Arbeit, um einen Happen zu essen oder ein Gläschen Dschubatinischen Säufer zu trinken. Die Künstler hatten sich schnell in die Situation gefunden und machten sogar Witze darüber.
»Schaut mal, wie gut mir das gelungen ist«, sagte mal der, mal jener und zeigte uns stolz sein Werk. Mehrere Zombies waren bereits unter einer Kunststoffschicht begraben und auf dem besten Wege, biennalefähig zu werden.
»Hält sich das, was Sie da benutzen, lange?«, fragte ich einen Bildhauer.
»Länger als jeder Naturstoff«, entgegnete er. »Sie werden zufrieden sein.«
Dennoch wurde ich immer unruhiger.
»Gefällt dir deine Idee nicht mehr?«, fragte Kofa mitfühlend. »Das passiert manchmal. Mach dir nichts daraus. Ich bin trotzdem überzeugt, dass es eine gute Idee ist.«
»Sogar du sagst »trotzdem««, wandte ich ein. »Aber kommt Zeit, kommt Rat.«
Am nächsten Morgen waren die Kunstwerke fertig, und alle gingen müde nach Hause.
»Wir auch?«, rief Melifaro und lief unruhig auf und ab. »Ende gut, alles gut - das ist meine Devise. Ich habe den Eindruck, wir haben unserer Stadt ein wunderbares Geschenk gemacht. Jetzt müssen nur noch Schwärme von Touristen kommen, um die Plastiken zu bestaunen - und sie kommen bestimmt. Was hier geschaffen wurde, erinnert mich an die Ordensepoche. Das ist ein Unikat -lasst euch das gesagt sein.«
Wir hatten wirklich ein seltsames Bild vor Augen. Die wie versteinert wirkenden Zombies ergaben eine eigenwillige Komposition. Aber das beruhigte mich nicht. Vielmehr rechnete ich klammheimlich damit, dass sie sich bewegen würden.
»Ihr könnt nach Hause gehen. Ich allerdings bleibe noch ein wenig hier«, sagte ich. »Mein Herz meldet sich, und ihr wisst, was das bedeutet. Es war schließlich meine verrückte Idee, und ich darf jetzt an ihr zweifeln.«