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»Stimmt«, sagte sie und drehte das Päckchen erstaunt in den Händen. »Ich mach uns einen Tee. Du bist doch nicht mehr sauer auf mich, oder?«

»Schon lange nicht mehr«, antwortete ich ehrlich. »Ich habe den Grund unserer Trennung vergessen, aber ich schätze, es wird schon seine Ordnung gehabt haben.«

Ich blieb im Wohnzimmer und sah mir Julias DVD-Sammlung, ihren Fernseher und ihren DVD-Player an. Seit meinem letzten Besuch hatte sich ihre Sammlung kaum vergrößert, denn Julia war sparsam und warf ihr Geld nicht für Filme heraus.

Vorsichtig zog ich das Kabel des DVD-Players aus der Steckdose. Jetzt konnte ich das Gerät jederzeit in meiner Hand verschwinden lassen. Aber das hatte keine Eile. Schließlich wollte ich noch mit ihr Kaffee trinken. Inzwischen erweckte Julia bei mir nur mehr reine Sympathie.

Und was die Rechenmaschine in ihrem Kopf anlangte: Was gingen mich die Probleme der Erdenbewohner an? Das Leben hier jedenfalls war kein Zuckerschlecken.

»Komm, Max! In der Küche ist es angenehmer«, rief Julia.

Ich tat, wie mir geheißen, und sah, dass der Kaffee fast fertig war. Auf dem Tisch saß eine kleine weiße Ratte.

»Hast du dir eine neue Freundin zugelegt?«, fragte ich.

Julia nahm das Tier und versenkte es wortlos in der großen Tasche ihrer Bluse.

»Dieses kleine Mädchen hat Angst vor Fremden«, erklärte sie hastig.

»Und das ist auch gut so. Schließlich weiß man nie, was sie im Schilde führen. Aber jetzt erzähl mir doch mal, was bei dir in der Zwischenzeit so alles passiert ist.«

Julia begann, mir die Ereignisse der letzten Jahre zu berichten, doch ich hörte nicht allzu aufmerksam zu. Immerhin bekam ich mit, dass es ihr gut ging. Aber es war ihr offenbar nicht gelungen, den Wunsch nach Familienglück in die Tat umzusetzen. Wozu hatte sie dann aber das ganze Unheil gestiftet?

Ihr Kaffee schmeckte auch nur durchschnittlich, und nach der ersten Tasse merkte ich, dass mir die Lust an diesem Besuch, der mich sehr an eine mittelmäßige Nachmittagsserie erinnerte, schon vergangen war.

»Ich gehe jetzt - einverstanden?«, wollte ich wissen.

»Ja«, sagte sie, sah finster drein und fragte vorsichtig: »Warum bist du überhaupt gekommen?«

»Ich weiß es nicht«, log ich. Dann versuchte ich, etwas ehrlicher zu sein, und fügte hinzu: »Ich wollte mich mit dir versöhnen.«

»Fährst du irgendwohin?«

»So kann man es auch nennen«, meinte ich achselzuckend.

»Schön. Dann sind wir jetzt versöhnt. Ich freue mich, dass du gekommen bist.«

Sie sagte das, als wäre ich das Schwein gewesen und als hätte ich sie im Stich gelassen und ihr obendrein silberne Löffel gestohlen. Welch heitere Verdrehung der Tatsachen!

Sie ging ins Wohnzimmer, und ich folgte ihr. Als wir in der Nähe des Regals waren, auf dem ihre Filme und Geräte standen, setzte ich zum Showdown an. Mit kaum merklicher Bewegung ließ ich all diese Schätze in meiner linken Hand verschwinden. Julia war so baff, dass sie keinerlei Widerstand leistete.

»Verzeih, Liebste«, sagte ich und verließ die Wohnung.

Mit meinem Gesicht musste etwas Seltsames passiert sein. Auf alle Fälle riss Julia erschrocken die Augen auf und trat einen Schritt zurück, doch ich beugte mich vor und küsste sie sanft auf die Nasenspitze. Mein Leben lang hatte ich wissen wollen, was Judas bei seinem berühmten Kuss empfunden haben mochte. Offenbar große Erleichterung!

Ich nahm die Treppe und rechnete damit, dass Julia im Treppenhaus Alarm schlug. Ich hätte sogar Stein und Bein geschworen, dass sie es täte, und stellte mir schon vor, wie sie in Beweisnot geriet. Aber ich wartete vergeblich.

War sie womöglich in Ohnmacht gefallen? Oder telefonierte sie bereits mit der Polizei? Vielleicht hatte sie sich ja in den Lotossitz geflüchtet und murmelte ein paar Mantras zur Beruhigung. Man weiß nie, wie jemand auf einen überraschenden Verlust reagiert.

Im vierten Stock stellte ich fest, dass der Aufzug stecken geblieben und zwei Männer im Overall mit seiner Reparatur beschäftigt waren. Langsam machte ich Fortschritte, was das Vorhersehen von Unfällen und Katastrophen anlangte.

Dann schlenderte ich ziellos durch die Stadt. Es war nass, und mich fror ein wenig, aber das verleidete mir den Spaziergang nicht weiter. Die abendlichen Straßen erschienen mir fremd und dadurch wunderschön. Überrascht stellte ich fest, dass ich mich in diese Stadt womöglich hätte verlieben können, wenn mein Aufenthalt nicht so knapp bemessen gewesen wäre. Vielleicht lag es daran, dass die Nacht alles in ein anderes Licht tauchte; vielleicht aber waren mir die breiten Straßen meiner früheren Heimatstadt inzwischen auch ganz fremd geworden. Es ist leicht, fremde Orte zu lieben: Wir nehmen sie, wie sie sind, und sind dankbar für jeden neuen Eindruck.

Ich trank Kaffee und Cognac in einer sympathischen Bar, deren Namen ich sofort wieder vergaß, die aber auch in Echo hätte stehen können. Es gefiel mir dort so gut, dass ich zum Abendessen blieb. So gestärkt konnte ich mein Abenteuer fortsetzen und auf die Tram in der Grünen Straße warten. Ich hoffte innig, mein Ausflug auf die Erde werde so glimpflich enden wie meine früheren Unternehmungen.

Die Uhr zeigte kurz vor Mitternacht. Ich bat um die Rechnung, zahlte und verließ das Lokal. Die Zeit schien stehen geblieben, und ich bewegte mich wie durch Watte.

Nichtsdestotrotz zog ich Schritt für Schritt durch die Nacht. Ich hatte den Eindruck, die Ewigkeit kitzle mich im Nacken. Als ich in die Grüne Straße einbog, zeigte die Digitaluhr 00:00. Das hatte ich schon immer für ein gutes Omen gehalten, und ich sah weg, um nicht erleben zu müssen, dass eine 1 das harmonische Zahlenbild störte.

Kurz darauf rumpelte die Tram aus der Ferne heran. Dieses Geräusch hatte ich das letzte Mal vor fast zwei Jahren gehört. Mir schwindelte, doch nach ein paar Atemübungen von Sir Schürf war mir besser. Wenn Lonely-Lokley mir in Echo über den Weg lief, musste ich ihn dringend zum Abendessen einladen, denn auch diesmal hatte mir seine Atemgymnastik das Leben gerettet.

Der Mond tauchte einen Moment lang zwischen den Wolken auf, und ich sah das Haltestellenschild der Linie 432. Den Magistern sei Dank: Die Ritze zwischen den Welten war noch an Ort und Stelle.

Ich sah die Tram um die Ecke biegen und war ganz aufgeregt. Alles lief viel besser als erhofft. Der mystische Express zwischen den Welten stand mir zu Diensten.

Diesmal musste ich mit dem Fahrer sprechen, den Sir Maba Kaloch als Doperst bezeichnet hatte. Der alte Magier hatte mir erzählt, Doperste kämen aus dem Nichts und lebten von unseren Ängsten und bösen Ahnungen. Manchmal nähmen sie menschliche Gestalt an, gäben sich als Bekannte aus und schürten dadurch unsere Ängste noch. Maba hatte mir sogar einzureden versucht, ich hätte den Doperst, der bei meiner letzten Reise in der Tram gesessen hatte, selbst erschaffen. Ich wüsste gern, wie und warum ich das getan haben soll! Na ja, andererseits hab ich schon etliche dumme Sachen gemacht.

Wie dem auch sei - mit einem Doperst würde ich schon fertig werden. Ich warf einen Blick auf den Fahrersitz und sah ein breites Gesicht mit rotem Schnauzbart. Hatte mich diese Gestalt vor zwei Jahren wirklich so tief erschreckt? Ich nahm meinen Mut zusammen und beschloss, in die Tram zu steigen.

Die Straßenbahn hielt, und direkt vor mir öffnete sich eine Tür. Schwungvoll stieg ich ein, und das Wesen mit Schnauzbart starrte mich gleichgültig an.

»Auf dich hab ich gerade noch gewartet«, rief ich ihm zu und lächelte schief. »Diesmal mach ich dich fertig. Es ist wirklich unfair von dir, unerfahrene Reisende zwischen den Welten zu erschrecken.«

Der Fahrer sagte nichts, doch sein Gesicht veränderte sich. Nach ein paar Sekunden wirkte es wie ein konturloser Fleck, um kurz darauf eine neue Gestalt anzunehmen. Jetzt sah mich der Große Magister Machligl Anoch an, das kurzbeinige Gespenst aus dem Cholomi-Gefängnis. Dann verdunkelte sich sein Gesicht, und einen Moment darauf blickten mich die blauen Augen des toten Magisters Kiba Azach an.