»Ich habe wirklich Besseres zu tun, als mich mit solchen Kindereien zu beschäftigen. Von welchem Schatten reden Sie überhaupt. Sie verwechseln mich sicher mit meinem Vater, Sir.«
Ihre schwarzen Augen musterten uns vorsichtig und doch leicht gereizt.
»Schon gut. Das ist dein Geheimnis, und so soll es auch bleiben«, versuchte ich mich bei ihr einzuschmeicheln. »Ich wollte mich nur bei dir oder deinem Schatten bedanken.«
»Aber ich habe keine Geheimnisse«, rief sie. »Wie stellst du dir das eigentlich vor, Max? Denkst du, ich wäre dir nachgelaufen, nur weil du ein paar Tage nicht da warst?«
»Warum nicht? Das wäre doch eine lustige Idee.«
»Wenn du das so siehst, verschwinde am besten wieder für ein paar Tage. Ich schau dann mal, was sich machen lässt. Außerdem bin ich keine leichtlebige Person - genauso wenig wie mein Schatten. Du glaubst doch wohl nicht, dass ich ihn wegen irgendeines Schönlings losschicken würde?«
Meine Herzen stießen wieder wild klopfend aneinander, und ich wusste schon, was ich von dieser Antwort halten sollte. Vorsichtig nippte ich an meiner Kamra und musste genüsslich lächeln. Wozu braucht man schon Kaffee, wenn man so etwas Herrliches trinken kann?
Kurz danach sank mein Kopf auf den Tresen, und ich lallte: »Wenn ihr wüsstet, wie sehr ich euch mag!«
Ich hätte mir wahrscheinlich etwas Originelleres ausdenken können, aber ich war fix und fertig.
»Willst du uns etwa beide auf einmal heiraten?«, fragte Sir Juffin lachend, doch da schlief ich schon ein.
Im Schlaf hörte ich, wie er Techi davon überzeugte, dass es besser für mich wäre, wenn er mich mitnähme.
»Es geschieht auf meinen eigenen Wunsch«, murmelte ich und schlief dann so tief ein, dass der arme Juffin mich huckepack zu seinem A-Mobil schleppen musste.
Ich wachte auf, als mir eine Zunge über die Nase fuhr. Das schien mir nicht Techis Stil zu sein.
Wo bin ich gelandet?, überlegte ich im Halbschlaf und öffnete die Augen. Auf meiner Brust lag ein wolliges Wesen mit lustiger Bulldoggenfratze. Es handelte sich um Chuf, das Haustier von Sir Juffin. Ich lachte und küsste das Tier auf sein nass glänzendes Näschen.
»Nicht nur, dass du mein Bett in Beschlag genommen hast - jetzt reißt du dir auch noch meinen Hund unter den Nagel!«, sagte mein Chef kopfschüttelnd von der Türschwelle her. »Das ist wirklich ein Alptraum. Ohne dich ist das Leben viel einfacher.«
»Na ja, Sie haben mich immerhin meiner geliebten Freundin entführt.«
»Ich werde mal ein Buch über den lockeren Umgang mit Sir Max schreiben, dem Träger des schrecklichen Todesmantels. Und alle Einwohner von Echo werden zu diesem Buch greifen - vom höchsten Polizisten bis zum kleinsten Verbrecher.«
»Und was sagen Sie zu meinen Abenteuern? Haben Sie sich ein wenig in die Materie einarbeiten können?«
Noch immer mochte ich nicht recht glauben, wieder in Echo zu sein.
»Was du durchgemacht hast, sah recht interessant aus. Am besten quittierst du den Dienst und gründest einen eigenen Orden. Schade nur, dass die Ordensepoche zu Ende ist. Übrigens hast du noch maximal zehn Minuten, um dich herzurichten, denn du wirst im Haus an der Brücke erwartet.«
Ich ging ins Bad und stellte einen atemberaubenden Rekord auf, indem ich die komplizierte Waschzeremonie von Echo in nur zehn Minuten hinter mich brachte. Auf nasse Haut zog ich meine schwarze Skaba an und musterte mich im Spiegel.
Mir fiel nichts Besonderes auf. Zwar wirkte ich etwas gealtert und hatte zwei dünne, nicht zu übersehende Falten um die Mundwinkel und eine große Falte zwischen den Brauen, aber der mir da entgegensah, war zweifellos ich. In meiner Miene lag etwas Unentschiedenes, Unvollendetes, das mich irritierte.
»Na, du Schönling - gefällst du dir?«, fragte Juffin mit diebischem Lächeln.
Erstaunt drehte ich mich um. »Ich gefalle mir wie stets,
aber finden Sie nicht, dass mit meinem Gesicht etwas nicht stimmt?«
«Lass uns frühstücken gehen, mein Wunder«, meinte Juffin seufzend. »Weißt du noch, wie dein Freund Machi aussieht?«
»Sein Gesicht ist unvergesslich«, sagte ich automatisch und folgte meinem Chef ins Wohnzimmer. »Wollen Sie damit andeuten, dass mich das gleiche Schicksal erwartet?«
»Genau. Als der alte Machi noch jung und hübsch war, geriet er auch mal in eine heikle Situation.«
»Sie schmeicheln mir«, sagte ich ohne rechte Überzeugung.
»Wie kommst du denn darauf? Aber jetzt sei bitte so nett und erfülle deine hiesigen Verpflichtungen.«
»Mit dem größten Vergnügen«, antwortete ich, nahm einen Schluck Kamra und schob mir Gebäck in den Mund. »Und jetzt sagen Sie mir bitte, wie lange ich weg gewesen bin. Das interessiert mich sehr.«
»Du fragst immer nach den unwichtigen Dingen«, antwortete mein Chef achselzuckend. »Dort, wo du dich rumgetrieben hast, sind neun Jahre vergangen. Aber das bedeutet nicht, dass auch du neun Jahre gealtert bist. Deine Haare zum Beispiel sind gar nicht länger geworden, obwohl du - wie ich stark annehme - kein einziges Mal beim Frisör warst.«
»Auch da haben Sie Recht«, meinte ich. »Nicht schlecht - neun Jahre«, seufzte ich dann und sah gedankenverloren aus dem Fenster. »Mein inneres Zeitgefühl sagt mir, dass es höchstens ein Jahr gewesen sein kann.«
»Dann stimmt etwas mit deinem Zeitgefühl nicht. Wir haben alle unsere Schwächen. Zum Glück hat ein Jahr in jeder Welt eine andere Bedeutung.«
»Und was haben Sie noch über mich erfahren?«
»Alles, was du mir zu erzählen vergessen hast. Wenn es dir recht ist, werde ich dir diese Informationen peu a` peu vermitteln. Aber ich habe nicht vor, damit schon heute zu beginnen. Du solltest einfach ein paar Monate nicht an deine Abenteuer denken. Es gibt hier schließlich genug interessante Dinge. Du brauchst einfach Zeit, deine Macht zu akzeptieren.«
»Meine Macht?«, fragte ich skeptisch.
»Ja. Ich glaube zu wissen, was du denkst, aber diese Sache verträgt keine Eile. Doch wenn du einen eigenen Orden gründen willst, wäre jetzt die beste Gelegenheit dazu.«
»Das habe ich wirklich nicht vor«, sagte ich lächelnd. »Außerdem wissen Sie doch, dass es mir dafür an Ehrgeiz fehlt. Juffin, sagen Sie mir bitte, ob mit mir alles in Ordnung ist. Danach lasse ich Sie in Ruhe. Und bitte geben Sie mir keine ausweichende Antwort.«
»Mit dir ist alles in Ordnung, Max. Die Welt, in die du hineingeboren wurdest, erhebt keine Ansprüche mehr auf dich. Du wirst solche Abenteuer bestimmt nicht mehr erleben - aber vielleicht andere aufregende Dinge. Das lässt sich im Voraus nie ausschließen. Jetzt versuch, an andere Sachen zu denken.«
»Gut«, sagte ich und erinnerte mich an die Überraschung in meiner linken Handfläche. Ich freute mich riesig darauf.
»Welchen Glanz sehe ich da in deinen Augen aufblitzen?«, fragte Sir Juffin. »Ach, du hast ja vorhin etwas von einer Überraschung erzählt, die du für uns alle in petto hast.«
»Eben«, meinte ich und lächelte verträumt. »Ich überlege mir bis heute Abend, wie ich sie Ihnen am besten präsentiere. Sie haben Ihre Geheimnisse - da darf ich auch meine haben.«
»Bis heute Abend hältst du sowieso nicht durch«, meinte Juffin gespielt gleichgültig. »Spätestens am Nachmittag platzt du damit heraus.«
»Bis Sonnenuntergang halte ich sicher durch!«, rief ich. »Sie werden schon sehen!«
»Auf alle Fälle glaube ich nicht, dass ich bis heute Abend auch nur eine freie Minute für dich habe. Der Rummel um deine Person hat all meine Pläne durcheinandergebracht. Jetzt setz dich ans Steuer meines A-Mobils, Max. Ich hab das schon mit Kimpa abgesprochen.«
»Wie haben Sie Ihren treuen Diener denn davon überzeugen können, mir seinen Platz am Lenkrad abzutreten?«
»Ganz einfach - ich habe ihm gesagt, die Interessen des Vereinigten Königreichs würden dein Chauffieren gebieten. Und diese Interessen hat Kimpa schon immer respektiert.«
Im A-Mobil verließen mich alle metaphysischen Probleme. Ich genoss das Leben im Allgemeinen und das schnelle Fahren im Besonderen. Ich glaube, auch meinem Chef hat mein Rasen gefallen, denn auf seinem Gesicht stand ein schwaches Lächeln.