»Ist das der Friedhofswärter?«, wollte ich wissen.
»Friedhofswärter? Gut, dass er das nicht gehört hat -sonst hättest du einen Todfeind mehr. Lukari Bobon ist Meister der Begräbniszeremonien, Max. Und er kann Plastik entfernen.«
»Hat sich Lukfi demnach mit seinem Großvater versöhnt?«, fragte ich.
»Ja. Der Frieden währte allerdings nur zwei Tage. Danach haben sie sich erneut verkracht.«
»Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass sich Sir Lukfi mit jemandem zu streiten vermag.«
»Er nicht, aber Lukari Bobon kann mit jeder x-beliebigen Person zanken«, sagte Juffin mit Nachdruck. »Er ist ein sehr temperamentvoller Mensch.«
Der Große Magister Nanka Jok langweilte sich bei diesem Gespräch ein wenig und wollte sich verabschieden.
»Morgen verlassen wir Echo«, versprach er mir. »Wir können auch in Gugland leben. Aber früher oder später wird das Schicksal uns erneut zusammenführen.«
»Ich hoffe, das wird kein unangenehmes Ereignis sein«, sagte Juffin langsam und eindringlich.
»Verzeihen Sie, Sir Nanka«, meinte ich und lächelte entschuldigend. »Hoffentlich habe ich Ihnen und Ihren Leuten nichts Böses zugefügt.«
»Kontrolliere morgen auf jeden Fall, ob sie wirklich weggefahren sind«, sagte mein Chef, nachdem Nanka Jok das Zimmer verlassen hatte. »Ich glaube, der Orden wird uns keine Probleme mehr machen. Schließlich haben diese Magister wichtigere Dinge im Kopf. Aber sicher ist sicher.«
Den Rest des Tages verbrachte Sir Juffin wie auf glühenden Kohlen. Ich hatte ihm längst mein fantastisches Geschenk zeigen wollen, doch immer wieder waren überraschend Probleme aufgetaucht. Also trieb ich mich im Haus an der Brücke herum und genoss es, wieder in der vertrauten Umgebung zu sein.
Schließlich verließ Juffin eilig das Büro und erklärte einem Besucher, dessen Lochimantel ihn als Bediensteten am Königshof auswies, im Laufschritt, er habe etwas Dringendes zu erledigen, das er nicht länger aufschieben könne.
»Lass uns gehen«, sagte mein Chef dann zu mir und legte mir die Hand auf die Schulter.
»Was ist passiert?«, fragte ich, als wir auf der Straße waren.
»Was soll schon passiert sein? Wir fahren zu dir und sehen uns die Überraschung an, die du mitgebracht hast. Die Sonne ist schon untergegangen - also ist es höchste Zeit.«
»Ach so«, meinte ich lachend. »Ich hatte etwas anderes vermutet.«
»Du meinst die unaufschiebbare Sache, von der ich im Flur gesprochen habe? Keine Sorge, Junge - ich wollte nur diesen Bürokraten loswerden.«
Sorglos betrat ich mein altes Schlafzimmer in der Straße der alten Münzen, denn mein Glaube an Juffins Macht war grenzenlos. Natürlich waren seine Freunde, die ich auch kennen gelernt hatte - Maba Kaloch etwa oder Machi Ainti, der unglaubliche Sheriff von Kettari -, bestimmt älter, erfahrener und mächtiger als mein Chef. Doch Juffin, der auf die Idee gekommen war, mich aus meiner alten Heimat zu holen und in das Wunderland Echo zu verpflanzen, war für mich zum Inbegriff von großem Gott und gutem Opa zugleich geworden. Mit ihm hätte ich sogar dem Teufel einen Besuch abstatten mögen.
»Was ist das, Max? Woher hast du die Mütze von König Mjenin?«, fragte mein Chef erstaunt und zog mir das Geschenk vom Kopf, das Ron mir in New York gemacht hatte. Ich musste lachen.
»Zu den Magistern mit Ihnen, Juffin - diese Mütze hat doch nicht dem legendären König Mjenin gehört, sondern stammt aus meiner alten Heimat.«
»Auf alle Fälle soll Mjenins Mütze so ausgesehen haben«, versicherte mir mein Chef. »Und wenn man bedenkt, dass sie zusammen mit dem König verschwand, ist alles möglich, Max. Jedenfalls wäre ich mir an deiner Stelle nicht so sicher.«
»Nehmen Sie sie bitte. Ich glaube, Ihr ehemaliger König würde sich freuen, wenn diese Mütze Ihnen gehört - egal, ob es wirklich seine Mütze war oder ob sie ihr nur ähnlich sieht.«
»Herzlichen Dank«, sagte Juffin ernst. »Ich habe schon seit Jahren von dieser Mütze geträumt und hätte nie gedacht, dass ausgerechnet du sie mir eines Tages überreichen würdest.«
Er zog seinen Turban ab, setzte sich die Mütze auf und musterte sich ein paar Sekunden lang in der Fensterscheibe. Seine neue Kopfbedeckung stand ihm großartig. Nachdem er sich etwas bewundert hatte, nahm er sie wieder ab und legte sie neben sich aufs Bett.
»Warum setzen Sie die Mütze schon wieder ab?«, wollte ich wissen.
»Wenn du etwas älter bist, erzähle ich dir alles«, sagte er und zog eine diebische Fratze. »Das ist nichts Besonderes. Aber jetzt zeig mir bitte endlich deine Überraschung.«
Ich ging zu dem Regal mit den Filmen, dem DVD-Player und dem Fernseher. Mein Herz pochte wild. Der kleine grüne Punkt auf dem DVD-Player zeigte, dass der Stromtransfer von meiner alten Heimat nach Echo funktionierte. Jetzt erst merkte ich, wie froh ich war, nahm die erste DVD zur Hand und schob sie in das Abspielgerät.
Nach ein paar Sekunden sah und hörte ich den mir so vertrauten MGM-Löwen brüllen, und gleich darauf sah Juffin die ersten Bilder von Tom und Jerry.
Dann drehte ich mich um und merkte, dass dies einer der schönsten Momente meines Lebens war. Ich hätte nämlich nie gedacht, den Mund von Sir Juffin einmal sprachlos erstaunt sperrangelweit offen stehen zu sehen.
»Das ist Kino«, erklärte ich begeistert. »Ich habe Ihnen schon mal davon berichtet. Erinnern Sie sich? Als sich mal zufällig jemand aus meiner alten Heimat nach Echo verirrte, habe ich Ihnen erzählt, ich hätte mal etwas Ähnliches im Kino gesehen. Und ich habe viele verschiedene Filme mitgebracht - Sie werden also noch viel Spaß haben.«
»Das glaube ich auch«, sagte Juffin und setzte sich aufs Bett. »Und jetzt geh bitte zur Seite - sonst sehe ich nichts.«
Ich setzte mich neben ihn und starrte auf den Bildschirm. Es war ziemlich surreal, in Gesellschaft meines Chefs einen Zeichentrickfilm zu sehen.
»Ich glaube, wir müssen Kofa rufen«, sagte Sir Juffin eine halbe Stunde später. »In dieses Geheimnis können wir ihn ruhig einweihen. Diese Tiere erinnern mich nämlich an die Zeit, da Kofa und ich einander noch gejagt und belauert haben wie Katz und Maus. Ich glaube, ich werde langsam sentimental.«
»Sir Kofa Bescheid zu sagen, ist sicher eine gute Idee. Aber an Ihrer Stelle würde ich allen Mitarbeitern des Kleinen Geheimen Suchtrupps ein Schweigegelübde abverlangen und sie dann kommen lassen.«
»Gute Idee. Hast du noch viele solche Filme?«
»Ja. Ich zeige Ihnen einfach mal, wie man den Apparat bedient. Danach muss ich los, denn Techi wartet auf mich. Sie sind nämlich nicht der Einzige, der mir Zaubertricks beibringen kann.«
»Spiel dich nicht so auf, sondern zeig mir, wie das Gerät funktioniert.«
Ich brauchte höchstens zehn Minuten, um meinem Chef alles zu zeigen. Was Technik anging, war er eben sehr talentiert.
Dann fuhr ich in die Neustadt. Ich wollte unbedingt in die Straße der vergessenen Träume, um das Lokal Armstrong und Ella schnellstmöglich zu besuchen.
Ich rechnete damit, dass es um diese Zeit leer war - bis auf Techi und die Katzen natürlich. Wo sollten die Tiere auch sonst hin? Aber zu meiner Überraschung thronte Sir Schürf auf einem Hocker an der Theke. Sein schneeweißer Lochimantel schimmerte im Halbdunkel. Neben ihm saß Lady Melamori und wirkte sehr zufrieden. Leleo - die spinnenartige Liebesgabe ihres Verehrers aus Arwaroch -spazierte seelenruhig über die Theke. Techi betrachtete das Tierchen recht sparsam, fütterte es aber dennoch mit Brot.
«Weißt du, Sir Nachtantlitz - es gefällt uns sehr, auf deine Kosten zu feiern«, sagte Melifaro, der ebenfalls am Tresen saß und wie üblich mit dem Hocker kippelte. »Wir waren uns sicher, dass du früher oder später auftauchen würdest.«
»Deine Kollegen haben schon einige Kronen verprasst«, meinte Techi. »Ich fürchte, du wirst eine hübsche Zeche zu zahlen haben.«
»Mit dem größten Vergnügen. Ich werde alle Ausgaben beim Schatzmeister als Spesen für eine nächtliche Sondersitzung geltend machen.«
»Unser Nachtantlitz hat sich gar nicht verändert«, sagte Techi lächelnd. Melamori warf ihr einen verständnisvollen Blick zu, und beide kicherten los.