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»Nichts. Aber es spricht auch nichts gegen Abraham Miller.«

So verbohrt konnte man doch nicht sein, seufzte Carl innerlich auf. Hatten sie als Wissenschaftler nicht analytisch zu denken und der Logik zu folgen? Wellington war Philosoph, offensichtlich machte das einen Unterschied. »Und was, denkt Ihr, wird Sir Banks dazu sagen?«, fragte er und spürte, dass die feuchte Luft ihn frösteln ließ.

»Was soll er dazu sagen? Als Vorsitzender der Gesellschaft kann es nur in seinem Sinne sein, wenn eine Expedition dieser Größenordnung von einem Mitglied der Royal Society geführt wird.« Wellington trat einen Schritt vor in den Regen. Er legte den Kopf auf den gerüschten Kragen seines Hemdes, und ein feistes Doppelkinn trat hervor. Kurz nickte er, dann drehte er Carl den Rücken zu und schritt aus.

»Bitte, helft meinem Gedächtnis auf die Sprünge«, rief Carl ihm nach. »Wie viel Pfund hat König George für die Fahrt zur Verfügung gestellt?«

Wellington verharrte, sicherlich auf der Suche nach dem Sinn der Frage, denn jedes Mitglied der Royal Society wusste, dass der König viertausend Pfund zur Verfügung gestellt und dass die Royal Navy Schiff und Mannschaft aufgeboten hatte. Er wandte sich um. »Warum fragt Ihr?«

»Ach, wisst Ihr, es gibt einen Punkt, an dem bin ich mit Abraham Miller einer Meinung: Es gibt Bedingungen, die nicht akzeptabel sind. Sollte man sich nicht für Kapitän Taylor als Kommandanten entscheiden, werde ich es wie Abraham Miller halten: Ich werde die Reise nicht antreten.«

Sir Wellingtons Nasenflügel bebten. Die Mitglieder der Royal Society wussten nicht nur, was der König investiert hatte, ebenso wusste jeder, dass er, Sir Carl Belham, fünftausend Pfund aus seinem Privatbesitz zu dieser Reise beisteuerte.

»Wenn Ihr so kurz vor der Abreise absagt, wird die Fahrt nicht zustande kommen oder sich um Monate verzögern.«

Der Regen wurde heftiger. Carl sah zum Himmel auf, der inzwischen noch dunkler zugezogen war. Zufrieden nahm er zur Kenntnis, dass ihm wärmer wurde. Angenehm warm. »Das könnte sein. Aber sicherlich findet die Royal Society noch andere Möglichkeiten der Finanzierung.«

»Warum macht Ihr das?« Wellington umklammerte seinen Gehstock und hob ihn ein Stück an.

»Weil Ihr Euch über die Sicherheit der Mannschaft hinwegsetzt und damit eine fünfundneunzigköpfige Besatzung gefährdet.« Dieses Mal war er es, der seinem Gegenüber den Rücken zuwandte und ausschritt, die Stufen des ehrwürdigen Somerset House hinauf. Carl gönnte sich ein Lächeln. Entweder werde ich morgen erneut nach Plymouth reisen, um die Abfahrt abschließend vorzubereiten, oder ich werde in der Stadt bleiben und am nächsten Sonntag mit Richard Howe wieder angeln gehen.

Plymouth, 15. Juli 1785

Das Hoy Inn war schmutzig. Splitterig aufgerissene Dielen, vom Rauch geschwärzte Decken und Wände, die Tische aus rohen Brettern zusammengehauen.

»Hier wird’s kalt, komm rein!«, brüllte eine Stimme aus dem Halbdunkel.

Erschrocken ließ Mary die Tür zufallen und stand einen Augenblick unschlüssig herum. Dann setzte sie sich an einen der Tische und schaute den Wirt an, der zu ihr herüberkam. Eine Gänsehaut lief ihr über den Rücken. Sie musste jetzt sprechen, sich in dieser heruntergekommenen Hafenkneipe als Mann artikulieren. Was war, wenn ihre Stimmbänder versagten?

»Willste ’nen Tee mit Schuss?«, fragte der Wirt.

Sie nickte nur, damit er verschwand. Grobe Balken unterteilten den Raum in kleine Nischen. Mary musterte die Handvoll Gäste, die sich in die schummrigen Ecken zurückgezogen hatten. Das waren genau die verwegenen Gestalten, die sie sich auf Schiffen vorgestellt hatte. Der Vater hatte ihr die Salzbuckel, wie sich seiner Aussage nach die Seeleute gern selbst nannten, ausführlich beschrieben. Manche von ihnen, und hier hatte der Vater die Stimme zu einem Flüstern gesenkt, wurden sogar im Rausch unfreiwillig an Bord geschleppt und mussten beim Erwachen entdecken, dass sie sich längst auf hoher See befanden. Er hatte dann wieder den Kopf in die Höhe gereckt und stolz angemerkt, dass bei den Forschungsfahrten die Kapitäne mit strengem Blick die Auswahl der gesamten Mannschaft trafen. Diesen strengen Blick kannte sie, den beherrschte selbst der Portier Ebenezer Stone.

Der Wirt knallte den Teepott auf den Tisch, und Mary nahm einen Schluck. Der Rum brannte in ihrer Kehle und ließ sie husten. Die Augenbraue des Wirtes hob sich fragend. Wie gering eine Geste sein muss, dachte sie, dass man sich von ihr bedroht fühlt.

»Geht schon.« Sie räusperte sich nicht, um die belegten Stimmbänder dunkel klingen zu lassen. »Ich hab noch nichts zwischen die Zähne bekommen. Das haut mir dann schnell auf den Magen.«

Der Wirt schlurfte davon. Mit einer dampfenden Kartoffelsuppe kehrte er zurück und stellte sie ihr hin. Sofort nahm sie einen Löffel und fragte mit vollem Mund nach einem Zimmer.

Der Wirt zog einen Schlüssel aus dem Beutel, der an seinem Gürtel befestigt war, und forderte Vorauszahlung.

Mary legte ihm die Münzen hin und ergriff den Schlüssel.

»Halt«, sagte er.

Ihr wurde heiß.

»Wie heißten?«

»Ma… Marc. Marc Middleton«, antwortete sie und kam sich verwegen vor. Intuitiv hatte sie entschieden, dass sie Marc Middleton heißen wollte. Middleton, Williams Nachname, würde sie auf ihrer Reise begleiten. Ein Allerweltsname, nichtssagend. Perfekt.

Plymouth, 16. Juli 1785

Auch am heutigen Tag hatte Ebenezer Stone Stellung hinter seinem Tisch bezogen. Mary trat dem bleichen Portier unter die Augen und bat darum, zu Sir Belham vorgelassen zu werden. Und es geschah – nichts. Marc Middleton wurde die marmorne Treppe hinaufgeschickt.

Vor der dritten Flügeltür im ersten Stock blieb sie stehen, atmete tief ein und hob die zitternde Hand, um anzuklopfen. Der Mann, der ihr öffnete, sah sie erstaunt an.

»Entschuldigt mich, man schickt mich zu Euch. Mein Name ist Marc Middleton. Ich wollte mich gern als botanischer Gehilfe vorstellen. Für die Expedition«, sagte Mary.

»Oh, sehr erfreut. Ich bin Franklin Myers, der botanische Gehilfe von Sir Belham. Tretet ein. Darf ich Euch einen Tee anbieten?«

Myers führte sie am Schreibtisch vorbei zu einem runden Tisch, auf dem ein Teeservice stand.

Mary nahm Platz. Ihre Hände wurden feucht, während Myers Tee in ein Porzellantässchen goss.

»Um es kurz zu machen«, begann er, »der Leiter der naturwissenschaftlichen Abteilung bestellt seine Mitarbeiter selbst. Und die Posten sind längst vergeben, auch die Mannschaft ist inzwischen vollständig. Unser Portier hat Euch dennoch zu uns verwiesen. Aber nicht, weil wir einen Gehilfen benötigen, vielmehr weil uns just der Zeichner ausgefallen ist. Er hat sich den Daumen gebrochen, und wir könnten fähigen Ersatz gebrauchen. Das bedeutet, Mr. Middleton, wenn Ihr Interesse an dieser Position hättet, würde ich gern Eure Mappe anschauen.«

Der Puls rauschte in Marys Ohren, und sie hatte Mühe, sich auf ihre Worte zu konzentrieren. »Oh, gern würde ich auch als Zeichner der Forschungsreise zu Diensten sein.« Ich würde auch als Gepäckträger mitreisen, überlegte sie, während sie die erste Zeichnung hervorholte. Das ist meine Chance, Franklin Myers davon zu überzeugen, dass ich qualifiziert bin.