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Was verriet sie? Noch fester drückte sie den Leinensack an ihre Brust und grub die verräterisch schmalen Finger in die Falten des Stoffs.

»Erste Regeclass="underline" Red nicht so geschwollen im Mannschaftsdeck daher!«, dröhnte Sohnreys Stimme in die Stille hinein.

Fast zuckte sie zusammen vor dem scharfen Ton, mit dem er sie ansprach. Mary schluckte. Wie töricht sie war: Ihre Ausdrucksweise hatte für das Schweigen der Männer gesorgt. Erleichtert lockerte sie den Griff, mit dem sie den Leinensack hielt.

»Ich muss dich warnen. Spar dir dein feines Mundwerk auf, bis du auf das Achterdeck kommst. Das verträgt hier keiner. Zu deiner Frage: Unser Quartier ist beengt. Hier gibt es keinen Platz mehr.«

Bartholomäus fiel ihm ins Wort: »Sohnrey, komm! Wir finden eine Lösung, dessen bin ich sicher. Den Ärger, den Kyle Bennetter zu erwarten hat, ist es wert.« Er grinste Mary an.

Sie sah seine dunkelblauen Augen, die von schwarzen Wimpern umrahmt waren. Außergewöhnlich langen Wimpern. Er sieht sympathisch aus, stellte sie fest. Wenigstens ein Mensch, vor dem ich mich nicht ängstigen muss.

»Vor Bennetter musst du dich in Acht nehmen«, sagte Bartholomäus, und Mary befürchtete, sie wäre ein offenes Buch, in dem er mit Leichtigkeit ihre Gedanken lesen konnte. »Er ist so etwas wie die rechte Hand des Kapitäns. Zu Beginn jeder Fahrt führt er sich auf wie ein Berserker, zweimal habe ich das jetzt erlebt. Manchmal wird er ruhiger, wenn er merkt, dass die Dinge laufen, aber wenn er jemanden auf dem Kieker hat, dann …«

»Genug jetzt!«

Bartholomäus schwieg sofort.

»Kennst du dich mit Seemannstätigkeiten aus?«, fragte Sohnrey.

Mary registrierte den Überdruss in seiner Stimme. Sie musste lügen, ihr blieb keine Wahl.

Doch der Matrose schien ihr Zögern bemerkt zu haben, denn bevor sie auch nur den Mund öffnen konnte, beantwortete er sich seine Frage selbst: »Das habe ich mir gedacht. Einen Mann deines Schlages können wir hier nicht gebrauchen.«

»Aber wo soll ich hin?« Sie hatte die Reise noch nicht einmal angetreten, und alles schien sich gegen sie verschworen zu haben.

»Ich kann deine Probleme nicht lösen.« Sohnreys Blick blieb ungerührt.

»Aber ich könnte vielleicht Eure Hängematte nutzen, wenn Ihr auf Wache seid«, wagte sie einen verzweifelten Vorstoß.

Doch dieses Mal schüttelte selbst Bartholomäus den Kopf. »Das geht nicht. Die Wachmannschaften schlafen im Schichtsystem. Es gibt die Backbord- und die Steuerbordwache. Alle vier Stunden wechseln sie sich ab und …«

Sohnreys drohender Blick ließ ihn erneut stocken. »Lass uns später darüber sprechen«, sagte er nur noch, und für einen Moment schwiegen sie alle. Plötzlich erhellte sich Bartholomäus’ Miene: »Eine Möglichkeit gäbe es allerdings noch …«

Smutje Henry drehte sich um und wies mit den Armen durch das Ladedeck. Seine Augen leuchteten vor Stolz. Mary hatte mehrfach gehört, dass die Navy Krüppel für die Kombüse einstellte und sie mit lächerlichem Salär bezahlte. Doch sie konnte bei diesem Mann kein Gebrechen erkennen. Flink war er mit ihr durch die Gänge bis hinunter in das Ladedeck geeilt. Das Wasser schlug mit sanftem Murmeln gegen die Bordwände und verriet, dass sie nunmehr unter dem Wasserspiegel sein mussten. Das Schiff war kalfatert worden, in der feuchten Kühle hing noch der Geruch teergetränkten Wergs.

»Also, pass auf«, sagte Henry, »du sorgst dich um die Viecher, die im Zwischendeck stehen. Es ist ein Kreuz mit ihnen. Stellt man sie aufs Wetterdeck, fegt sie der nächste Sturm davon. Oder sie sterben am Zug und ewig nassen Fell. Bringst du sie unter Deck, hört man überall ihr Gebrüll. Vor allem nachts. Wir brauchen aber das Frischfleisch. Drei Kühe, zwanzig Schafe, mehrere Dutzend Hühner, eine Ziege, fünf Schweine und drei Katzen haben wir dabei. Unterwegs werden wir immer wieder lebende Viecher mit an Bord nehmen.«

Mary lachte auf. »Katzen stehen auch auf dem Speiseplan?«

»Nur in Notfällen«, er griente. »Sie sollen ja eigentlich die Ratten im Griff behalten. Aber beide sind gegrillt recht bekömmlich.«

Mary nickte und musterte die zahllosen Fässer, Säcke und Kisten, die wohlsortiert verladen worden waren. Eine eigene kleine Welt auf engstem Raum.

»Das ist beeindruckend, oder? Da wir weniger Waffen und Munition haben als ein herkömmliches Linienschiff, können wir für ein Jahr Proviant laden. Für hundert Mann. Tausend Pfund Schiffszwieback, gepökeltes Rind- und Schweinefleisch. Drei Tage die Woche gibt es Hafergrütze, Brot und Käse. Wir nennen sie die Feigentage. Die restlichen vier Tage der Woche gibt es Fleisch. Das gibt Kraft für die Arbeit. Na, und dann werden wir wie bei Kapitän Cook Sauerkraut gegen den Skorbut auftischen. Weißt du, wie er die Mannschaft dazu bekommen hat, dass sie es überhaupt aß?«

Mary schüttelte den Kopf.

»Die Matrosen wollten das Zeug nicht anrühren. Also ließ er es den Offizieren servieren. Und als die Matrosen sahen, dass die beim Kraut zulangten, da konnte es ja nicht zu ihrem Schaden gereichen, auch davon zu kosten. Ein kluger Mann war das, der Cook.«

Er blieb stehen und wies auf mehrere Fässer: »Dort ist das Wasser. Auf dieser Seite ist des Seemanns bester Freund untergebracht: das Bier. Zwölfhundert Gallonen Bier, stell dir das vor. Und links daneben stehen sechzehnhundert Gallonen Hochprozentiges, alles feinster Fusel. Branntwein, Arrak und Rum. Der Kapitän versteht es, die Männer bei Laune zu halten.«

Der Smutje lachte: »Das ist mein Reich. Und pass auf dich auf, es ist gefährlich, die Suppenkelle auf einem Schiff zu schwingen.«

Mary mochte seine offene Art. Und wenn er so viel arbeitete, wie er redete, konnte es für die Mannschaft nur von Vorteil sein.

»Was findest du daran so lustig?«, fragte er. »Ich sehe doch dein Feixen. Aber glaube es mir: Wenn’s der Meute nicht schmeckt, kann es schon vorkommen, dass sie den Smutje abstechen. Verstehen kann ich es ja. Die haben dann wahrscheinlich Hunger auf zartes Fleisch …«

Verwundert blickte sie Henry nach. Freundlich war er, aber sein Humor erschien ihr etwas abwegig.

Gemeinsam rollten sie wenig später zwei Holzfässer aus der Vorratskammer und trugen sie hinauf an Deck. Die Sonne stand inzwischen im Zenit. Sofort umringten erste Männer die Fässer, jeder von ihnen hatte zwei Holzbecher bei sich. Doch bevor Henry mit dem Ausschenken beginnen konnte, betrat Kapitän Taylor das Achterdeck und ließ die Glocke schlagen.

Die Matrosen teilten sich vor den Augen des Kapitäns in kleine Gruppen auf. Die Seesoldaten in ihren roten Jacken schulterten die Musketen. Ein Bild militärischer Disziplin mit blank gewienerten Messingknöpfen. Ungefähr ein Dutzend Männer, in Zweierreihen akkurat formiert. Sie schienen den Seeleuten ihre nachlässige Aufstellung vorhalten zu wollen.

Der Kapitän erhob die Stimme: »Wir sind hier, um gemeinsam in den Pazifik aufzubrechen. Heute werde ich die sechsunddreißig Kriegsartikel verlesen.«

Jeder Mann der Besatzung ergriff seine Kopfbedeckung, zog sie ab und presste sie vor die Brust. Mary zuckte zusammen, tat es ihnen gleich und blickte zu Boden.

Der Kapitän räusperte sich. »Fangen wir an. Artikel 1: Der Kapitän und die Offiziere zeichnen dafür verantwortlich, dass die Lobpreisung Gottes würdig und während der gesamten Reise durchgeführt wird. Gleichermaßen wird der Tag des Herrn eingehalten und …«

Mary lauschte konzentriert. Hier war nicht vom Zusammentreffen mit einem gegnerischen Schiff die Rede. Vielmehr befassten sich die Artikel mit dem Verhalten der eigenen Mannschaft. Man schien in der Royal Navy davon auszugehen, dass der Seemann gemeinhin ein zuchtloser Mensch war. Und dementsprechend wurde kein Verbrechen ausgelassen: Flüche, Gotteslästerungen, Spionage, Streit, Streik, Meuterei, Raub, Diebstahl von Kleidung, Raufereien, Erpressung, Verschwendung, Unterschlagung von Proviant oder auch Brandstiftung. Selbst Mord, Sodomie und das Desertieren oder die Aufnahme von Deserteuren anderer Schiffe wurden aufgeführt.