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Als der Kapitän die Litanei beendet hatte, donnerte er los: »Und für den Fall, dass das für irgendwen zu hoch war, kann ich euch sagen, dass ich fuchsteufelswild werde, wenn einer von euch bei der Wache einschläft, Befehle verweigert oder sich unsauber verhält. Erwische ich einen, der innenbords pisst oder scheißt, den lass ich’s auslöffeln. Ich gehe davon aus, dass wir uns verstanden haben! Und, meine Herren, wir werden mit ein oder zwei Tagen Verspätung ablegen, da wir noch die Ankunft der Gentlemen erwarten. Sollte irgendjemand das Schiff ohne Anweisung verlassen, werden wir dies entsprechend ahnden. Und jetzt zurück an die Arbeit.«

Er machte auf dem Absatz kehrt, und die Mannschaft stellte sich wieder für den Ausschank an.

Henry stand neben Mary und goss, als wäre nichts geschehen, den ersten Viertelliter Rum in einen Becher.

Sie beugte sich zu ihm. »Mindestens die Hälfte der Artikel droht mit Hinrichtung.«

»Neunzehn«, antwortete Henry. »Neunzehn Artikel sind es, um genau zu sein. Der Rest wird mit Peitschenschlägen oder leichteren Strafen wie Arrest vergolten.«

Es wird immer schlimmer, dachte Mary. Selbst Taylor ist ein Widerling. »Und wie der Kapitän gesprochen hat!«, begann sie und schrak auf, als Henry seine Kelle auf den Fassrand schlug.

»Halt’s Maul!«, zischte er. »Das sind die Gesetze der Royal Navy. Wenn dir das zu viel ist, dann hau ab.«

Mary schwieg. Um sie herum stand eine Traube Männer. Riesige Kerle, gedrungene Muskelpakete, dickleibige Packer. Mit einem Mal spürte sie es am gesamten Leib: Sie war ein kleines Licht inmitten dieser Mannschaft. Ein ganz kleines Licht. Hier wurde nicht geredet, hier hatte man eine Aufgabe, und die galt es zu erfüllen. Zügig öffnete sie das zweite Fass und ergriff die Kelle, um Wasser in die Becher zu schöpfen, die ihr entgegengehalten wurden.

Den Nachmittag über blieb Henry verstockt und wortkarg. Hafersäcke und Kohlen mussten aus dem Ladedeck in die Kombüse geschleppt, Brote aus der Vorratskammer geholt, Zwiebeln geschnitten und Töpfe geschrubbt werden. Befehl um Befehl nahm Mary entgegen und eilte sich zusehends, ohne dass seine Laune sich änderte. Wie konnte sie ihn wieder milde stimmen? Wenn er ihr keinen Unterschlupf mehr gewährte, würde sie dem großen Reinschiffmachen zugeteilt, das man ausgerufen hatte, um die Mannschaft bis zur Abfahrt beschäftigt zu halten. Und damit wäre sie Bennetter ausgesetzt, seinem scharfen, alles kontrollierenden Blick.

Als Henry einen großen Topf mit Wasser auf die Kochstelle setzte und ihn, obwohl kein Seegang zu erwarten war, an zwei Ringen festzurrte, die in den Wänden eingelassen waren, fand er seine Sprache wieder. Fast zärtlich erklärte er: »Das hier ist ein feines Schiff. Wir haben eine Kombüse mit Feuerstelle und Rauchabzug. Ich habe schon auf Schiffen gearbeitet, da wurde nur auf Deck gefeuert. Es ist eine Schinderei, in Hitze, Wind oder Dauerregen das Feuer am Brennen zu halten, damit das Essen rechtzeitig aufgetischt werden kann.«

Mit kreisenden Bewegungen rührte er Hafer in das Wasser.

»Vorhin, als du so über den Kapitän gesprochen hast, hätte ich dir gern eins auf die Fresse gegeben«, setzte er nach und drehte sich zu ihr um. Sofort starrte sie auf das Messer in ihrer Hand, mit dem sie Zwiebeln in kleine Würfel zerlegte.

»Du hast keine Ahnung, über wen du da sprichst, oder?«

Mary schüttelte den Kopf.

»Gott hält seine schützende Hand über unsere Reise. Und so wichtig wie dieser Schutz ist für uns der Kapitän, der gleich neben Gott steht. Dann kommt erst einmal lange, lange niemand mehr, der auch nur annähernd von Bedeutung hier ist. Und du, du zählst zu den kleinen Würstchen.«

Sie legte das Messer auf den Tisch und wischte die verstreuten Würfel zusammen.

»Und sprich ihn nicht an. Niemals.«

Fragend blickte sie auf.

»Niemand aus der Mannschaft spricht den Kapitän von sich aus an. Er muss das Wort an dich wenden, also wage es nicht.«

Marys Schultern sackten herab, und die Arme baumelten neben ihrem Körper.

»Bevor du das nächste Mal die Schnauze aufreißt, denke daran, dass hier an Bord viele rechtschaffene Männer sind, die es als Ehre betrachten, unter Kapitän Taylor zu dienen. Und die zögern nicht, die hauen dir eine runter. Und jetzt ist gut.«

Henry langte nach einer Holzschüssel, füllte sie mit grauem Brei und reichte sie ihr. »Beeile dich. Gleich kommen die ersten Messdiener, um das Essen für sich und ihre Back abzuholen.«

»Messdiener?«

»Das sind die Jungs, die das Essen für ihren Tisch holen. Sie wechseln wöchentlich.«

Mary nahm einen Löffel. Das Porridge schmeckte nach nichts, aber es war warm.

Es dämmerte, als Mary die letzten Holzschüsseln spülte. Henry reichte ihr das Tablett mit dem Porzellangeschirr der Offiziere. »Wenn du das gespült hast«, sagte er, »kannst du dich aufs Ohr hauen. Der Kapitän hat verfügt, dass die Kombüse nicht am morgendlichen Reinschiffmachen teilnehmen muss. Dennoch beginnt auch unser Tag um vier Uhr.«

Dann zerrte er unter einem der Schränke einen Strohsack hervor und verschwand in der Vorratskammer, um sich schlafen zu legen. Stille kehrte auf dem Schiff ein, denn die Nachtruhe war ausgerufen worden. Nachdem sie das Geschirr gespült, getrocknet und gestapelt hatte, löschte sie das Feuer, drehte die Öllampe aus und verließ die Kombüse.

Leise begab sie sich in das Mannschaftsdeck, in dem es nach verdreckter Wäsche und Schweiß stank. Sohnrey hatte veranlasst, dass der Schmied ein Hakenpaar an den Holzbalken anbrachte, damit sie die Hängematte aufspannen konnte. Die Haken waren direkt neben der Wand befestigt, weit entfernt vom Niedergang und der Luke. Weit entfernt von Tageslicht und frischer Luft.

Mary fürchtete, in der Enge den Matrosen zu wecken, der mit offenem Mund neben ihr schlief. Sie hatte ihn beim Rumausschank gesehen. Er trug immer noch die Kleidung, die er tagsüber am Leib gehabt hatte. Sie stellte sich auf Zehenspitzen und betrachtete die Schlafenden: Jeder der Männer ruhte in seiner Arbeitskleidung.

Vorsichtig schob sie sich in die Hängematte, die nachgab, sich drehte und sie schwungvoll auf den Boden krachen ließ. Beklommen harrte sie dort aus und lauschte, ob jemand sich rührte. Es blieb ruhig, sodass sie nach einiger Zeit einen zweiten Anlauf wagte. Dieses Mal sank sie tief in den Stoff der Hängematte, deren Seitenteile sich über ihr fast wieder schlossen. Es konnte nicht mehr sein als ein Fußbreit, der ihr zum Schlafen zustand. Die Arme musste sie auf dem Bauch verschränken, da sie sonst auf dem Nebenmann zu liegen gekommen wären. Durch das Segeltuch hindurch spürte sie sein rechtes Bein, das gegen das ihre drückte.

Jetzt nahm sie das erste Mal an diesem Tag das Schwanken des Schiffes und das Knacken des Holzes wahr. Das Schnarchen der Männer, von denen einer in regelmäßigen Abständen von einem trockenen Husten geschüttelt wurde, erschien ihr plötzlich übernatürlich laut. Ihr Mund war trocken. Die Blase drückte. Doch daran, sich zu bewegen oder gar aufzustehen, um einen Schluck Wasser zu nehmen oder welches zu lassen, wagte sie nicht einmal zu denken. Die Zeit schien sich zu dehnen, und sie bemerkte nicht, dass sie einschlief.

Unvermittelt brüllte die Stimme der Nachtwache in die Stille: »Und jetzt umgewendet!«

Mary riss den Kopf in die Höhe und erkannte schemenhaft, dass die Männer sich auf die Seite drehten. Der Arm des Nachbarn landete auf ihr, gefährlich nahe der verschnürten Brust, und drückte auf ihre Lungen. Sie blickte ihn an, doch seine Augen waren geschlossen. Ich kriege keine Luft. Meine Brust. Sein Arm muss da weg, dachte sie und versuchte, ihn anzuheben. Wie schwer so ein Arm sein kann. Wenn ich ihn bewege, wird der Kerl wach. Er wird mich anglotzen und dann anfahren, was ich an ihm herumgreife. Ich muss ihn schieben, ganz langsam auf meine Hüfte schieben, das ist ungefährlicher. Sie platzierte den Arm auf ihrem Beckenknochen. Behutsam legte sie sich wieder nieder und spürte den Atem des Mannes, den er ihr in den Nacken blies.