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»Aber man wird keine Frau an Bord nehmen, das ist strengstens untersagt«, entgegnete Landon vorsichtig. Er wollte William Middleton nicht zu nahetreten, aber das musste ihm doch klar sein.

Der alte Mann sah mit einem Schlag eingefallen aus und schloss die Augen. »Bitte erschreckt nicht, denn der Gedanke mag abwegig erscheinen. Aber letzthin ließ Mary sich von mir beim Navy Board absetzen. Dort bereiten sich auch dieses Mal die Wissenschaftler auf ihre nächste Expedition vor.« Er flüsterte, als würde die gesenkte Stimme die Ungeheuerlichkeit seiner Vermutung schmälern. »Eine Mappe hatte sie geschnürt und wollte sich vorstellen. Als Mitarbeiter der Wissenschaftler. Versteht Ihr?«

Landon schüttelte den Kopf. Keine Expedition der Welt würde eine Frau verpflichten. Und Mary, sie hatte ihren Vater genau durch solch eine Reise verloren, sie wusste um die Risiken. Nur wer zu dumm war, sich einen Platz im Gefängnis zu sichern, ging an Bord eines Schiffes. Dort war es wie im Gefängnis, nur hatte man noch die Möglichkeit, dabei zu ertrinken.

William Middleton schien das Schweigen zu verstehen, seinen Zweifel zu spüren. »Sie wägt nicht ab«, sagte er sanft. »Nie. Sie handelt. Ohne lange nachzudenken. Wenn sie einem Schmetterling nachjagt, sieht sie nicht den Abgrund, auf den sie erhobenen Hauptes zustürmt.«

Ein Knacken im Feuer ließ Landon zum Kamin hinüberschauen. Worauf hatte er sich eingelassen? Eine verstockte junge Dame heimzuholen, die das Elternhaus aus Wut verlassen hatte und bei einer Verwandten oder Freundin Zuflucht suchte, das war eine Sache. Worüber jedoch sprachen sie hier? Über eine Frau, die auf einem Schiff angeheuert haben sollte?

»Was denkt Ihr, Mr. Reed? Haltet Ihr es für möglich, dass sie an Bord des Schiffes ist?« Die Stimme des Alten zerfiel.

Nein, dachte Landon, ich halte es nicht für sonderlich wahrscheinlich, aber wir müssen jede Möglichkeit in Erwägung ziehen.

Plymouth, 19. Juli 1785

Als Mary im Morgengrauen die Kombüse betrat, griff Henry augenblicklich nach einem Leinensack. »Morgen, Marc. Du bleibst hier, kniest dich vor die Feuerstelle und passt auf. Ich gehe, bevor wir wieder anfeuern, prüfen, ob der Abzug frei ist.«

Müde hockte Mary sich auf den Boden und betrachtete in den kupfernen Wandbeschlägen der Kochnische ihr Gesicht. Sie bemerkte die tiefen Augenringe und das kurzgeschnittene Haar, das ungekämmt unter der Mütze hervorschaute. Noch immer hatte sie sich nicht an den Anblick gewöhnt.

Nach einer halben Ewigkeit ertönte Henrys Stimme: »Marc, bist du so weit?«

Die Antwort ging in einem schrillen Gegackere unter, und bevor Mary sich versah, schoss aus dem Abzug ein schwarzverstaubtes Huhn, das flügelschlagend in der Asche landete. Panisch ergriff es die Flucht. Erschrocken warf Mary sich auf das Tier. Es presste sich unter ihrem Arm durch und sprang gegen die Wände der Kochstelle. Sie bekam den dünnen Hals zu packen. Still verharrte das Huhn und gab ihr die Gelegenheit, sich nochmals in den Kupferplatten anzuschauen. Das Gesicht war von schwarzen Aschestreifen überzogen, die die Flügelschläge hinterlassen hatten.

»Na, solange wir noch lebendes Federvieh haben, muss ich es nutzen«, sagte Henry, als er in die Kombüse zurückkehrte. »Jetzt wissen wir, dass der Abzug frei ist. Du kannst die Asche zusammenfegen. Gib mir das Vieh, das kommt in den Topf.«

Sie reichte ihm das flatternde Huhn und begann, die Küche zu kehren.

Mit einem Schlag trennte Henry dem Huhn den Kopf ab und knüpfte es zum Ausbluten über eine Schüssel. Dann begann er, Möhren zu schälen und zu zerkleinern.

»Sag mal, also, wenn ich«, sie zögerte, »na ja, halt mal pissen muss, wo mache ich das?«

»Du verdammte Landratte«, erwiderte er, während er die Schalen auf den Boden fallen ließ. »Vorne am Bug, bei der Galion, kannst du scheißen. Beeile dich, wir haben zu tun.«

Mary verließ die Kombüse. So schnell sie konnte, rannte sie das Zwischendeck entlang. Ein öffentlicher Ort an Deck des Schiffes für die Notdurft, dachte sie. Sich vor aller Augen entblößen. Ausgeschlossen. Es gibt nur eine Lösung, auch auf die Gefahr hin, dass ich das Ergebnis auslöffeln muss!

Kaum hatte sie die Stallungen erreicht, ging sie das Gatter aufmerksam ab. Sie war allein.

Ungeschickt kletterte sie über die Umzäunung, woraufhin die Schafe blökend auseinanderstoben. In die hinterste Ecke hockte sie sich und lauschte, ob jemand durch die Unruhe der Tiere aufmerksam geworden war.

Es blieb still.

Eilig ließ sie die Hosen herunter, und die Erleichterung trieb ihr das erste Lächeln seit Stunden ins Gesicht.

In die Kombüse zurückgekehrt, musste sie Tee für die Offiziere brühen, die Vorratskammer füllen und Wasser holen. Zum Frühstück gab es Porridge. Just als Mary einen Löffel zu sich nahm, hieß es wieder spülen, und vom Grogausschank ging es ohne Pause an die Zubereitung des Abendessens. Wie am Tag zuvor stand sie bis in die tiefe Nacht über dem Abwasch.

Nachdem sie ihre Arbeit beendet hatte, schlich sie zum Mannschaftsdeck hinüber. Doch zu ihrem Entsetzen hörte sie Stimmen. Die Männer waren noch wach!

Kaum jemand nahm von ihr Notiz, als sie sich durch die ersten aufgespannten Hängematten schob, nur ein dunkelhaariger, drahtiger Kerl gab Mary den knappen Befehclass="underline" »Zieh schon mal die Back hoch.«

Sie schaute sich um, und ihr wurde heiß. Sohnrey nannte sich Backsvorsteher. Aber was um Himmels Willen war das?

Der Dunkelhaarige bemerkte ihr Zögern und fuhr sie an: »Die Back! Du sollst den Tisch hochziehen. Hörst du schlecht?«

Eilfertig knüpfte sie das Seil auf, das in einem Ring an der Seitenwand verknotet war, und hievte den Tisch unter die Decke. Er hatte ein stolzes Gewicht, und sie merkte, wie ihre Arme zu zittern begannen und ihr das Blut in den Kopf stieg. Schnell drehte sie sich zur Wand, um ihre Anstrengung zu verbergen. Erleichtert, dass sie den Tisch hatte bewegen können, schlang sie einen Doppelknoten in den Strick. Noch während sie sich umwandte, sah sie den Tisch auch schon von der Decke herabrasen. Mit Gebrüll sprangen einige der Männer zur Seite, doch der Dunkelhaarige bemerkte das Unglück zu spät. Mit einem dumpfen Knall krachte die Holzplatte in seinen Rücken. Eine der Randleisten, die das Geschirr bei Seegang vor dem Fallen bewahren sollte, zersplitterte. Der Tisch fing sich in den Seilen und schwang durch den Raum.

Marys Blick hing an dem Mann, der sich langsam aufrichtete und brüllte vor Schmerz und Wut.

Ein anderer Matrose schubste sie beiseite und ergriff das Seiclass="underline" »Was war das für ein Knoten? Du bist doch kein Seemann, du bist ’n Arschloch.«

Mary taxierte die Entfernung zum Niedergang. Es gab kein Entkommen. Zu viele aufgebrachte Männer waren im Weg. Hören Sohnrey und Bartholomäus den Aufruhr nebenan nicht? Warum hilft mir niemand? Ich darf nicht kotzen, ich darf nicht heulen, dachte sie noch, als sie aus den Augenwinkeln einen Schatten wahrnahm und fast zeitgleich den Faustschlag spürte. Ihr Kopf flog nach hinten und krachte an die Bordwand. Sie taumelte und schlug die Hände vor das Gesicht. Durch die Finger konnte sie erkennen, dass der Dunkelhaarige vor ihr stand. Sie hatte ihn nicht kommen sehen.

»Sollte ich auch nur eine angeknackste Rippe haben, breche ich dir dafür zwei«, sagte er und rieb sich die Faust. Dann tastete er seinen Brustkorb ab und schob im Wechsel die Schultern vor. Plötzlich hielt er inne und stöhnte.

Mary duckte sich tiefer und vergrub das Gesicht in ihren Armen, als endlich die erlösende Stimme erklang: »Verdammt, was ist hier los?«