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Mary blickte in den Kessel und rührte das Blasen schlagende Porridge.

»Marc Middleton?«

Noch immer hatte sie sich nicht daran gewöhnt: Marc! Marc! Marc! Sie hatte zu reagieren, wenn dieser Name fiel. Er musste ihr ins Blut übergehen, selbst aus dem Schlaf musste sie auffahren, wenn jemand sie so rief. Jede Verzögerung würde ihr als Tagträumerei ausgelegt werden. Sie durfte keinen Verdruss auf sich ziehen, zu funktionieren hatte sie – immer und sofort.

Vor ihr stand Seth. Am Morgen waren sie aus dem Stroh gekrochen und hatten einander die Halme aus den Kleidern gezogen. Sein blondes Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel, war im Nacken feuchtgeschwitzt gewesen. Die helle Haut, mit Sommersprossen bedeckt, hatte noch von der Wärme des Schlafes geglüht. Wortlos waren sie auseinandergegangen, um ihr Tagewerk zu beginnen.

»Mr. Myers lässt nach Euch schicken«, sagte der Kleine, und nichts in seiner Haltung deutete darauf hin, dass sie vor Kurzem Rücken an Rücken erwacht waren. Die nassen Hosenbeine in die Knie gekrempelt, trat er barfuß im Wechsel von einem Bein aufs andere.

Wo sind seine Schuhe? Er wird sich verkühlen, dachte Mary. Er ist noch ein Knabe, zu weich für dieses Leben. Wie alt mag er sein? Neun Jahre? Vielleicht zehn?

Sein Blick hing an ihr.

Was hatte er gesagt?

Mr. Myers ließ nach ihr schicken?

Es war, als würde aus ihr Luft entweichen. Der Druck ließ nach, und sie fühlte sich leicht. Die Wissenschaftler waren an Bord gekommen.

»Lass den Topf stehen. Die sollen mir einen der Schiffsjungen zuteilen«, sagte Henry, ohne sich umzudrehen.

Gern hätte sie noch ein Wort an ihn gerichtet, einen kleinen Dank vielleicht, doch Seth packte sie am Arm und zog sie mit sich.

Aus der Unterwelt hinausgespuckt fühlte sie sich, als sie den Kopf aus der Luke hob. Am liebsten wäre sie in der Sonne stehengeblieben und hätte sich an Licht und Wärme betrunken. Wie konnte es unter Deck nur fortwährend so kalt und dunkel sein?

Die Männer zogen an Eisenketten gebundene flache Steine über die Planken und schrubbten mit Sand das Holz. Am Bug, wo das Holz schon blank gerieben war, wurden gerade die Sandreste weggespült. Eimer um Eimer wurde mit Wasser gefüllt und an einer Leine an Bord gezogen. Auch Seths Bruder war unter ihnen. Sein Gesicht war gerötet, und der Schweiß lief ihm die Stirn herab. In den Wanten sprangen die Matrosen. Sehnige Männer, die weder Höhe noch Wind fürchteten, Männer, deren Muskeln bei jeder Bewegung hervortraten. An den Masten knatterten die weißen Segel, irgendwer sang. Die Arbeit, das Meer, der Wind, alles war schön und friedlich.

Seth führte Mary über Deck und zeigte auf seinen Vater, der abseits stand, mit zwei Männern ins Gespräch vertieft. Der stattlichere der beiden strich sich eine Locke aus der Stirn. Schwarzes Haar, das im Sonnenlicht glänzte.

Ihr stockte das Blut. Landon. Er war hier, an Bord! Er suchte sie. Sie spürte ihr Herz einem Hammer gleich an ihre Rippen krachen. William musste sich eine Erklärung zusammengereimt haben. Wie konnte ich so töricht sein, mich von ihm beim Navy Board absetzen zu lassen? Sie wissen jetzt, dass ich hier bin. Ihre Hände zitterten, als sie die Mütze tiefer ins Gesicht zog und den Schritt beschleunigte.

Seth verfiel in einen Laufschritt und flüsterte: »Ich glaub, die suchen einen Matrosen. Ich weiß nicht, was er angestellt hat, aber vielleicht ist ein Dieb unter uns. Oder sogar ein Mörder.« Seine Augen leuchteten.

Kurz war sie versucht, den Jungen wegzuschicken, um sich seines Geplappers zu entledigen. Was war, wenn man sie entdeckte, bevor das Schiff ablegte? Wenn Landon sie an der Mannschaft, an Kapitän Taylor, an Kyle Bennetter und an Sir Belham vorbei abführte?

Endlich erreichten sie das Achterdeck. Mary packte Seths Schulter und schob ihn hastig durch die niedrige Tür, hinein in den Kajütengang. Sie hörte sich aufatmen, doch in ihrem Kopf irrlichterten die Gedanken. Einen Matrosen suchten sie, hatte der Junge gesagt. Solange man nur im Mannschaftsdeck Ausschau nach ihr hielt, hatte sie eine Chance. Oder hatte Landon nach einer Frau gefragt? Einer Frau im Gewand eines Mannes? Selbst wenn sie an Bord aus Plymouth herauskäme, würde die verderbte Mannschaft dann nicht genauer hinschauen? Gierig, ein Weib zu entdecken, das ihnen ausgeliefert war?

Der Junge ließ die Arme hängen, doch er wandte den Kopf und sah erst auf ihre Hand, die seine Schulter umklammert hielt, dann hinauf in ihr Gesicht. Sofort ließ sie ihn los, und Seth geriet ins Stolpern. Er wäre gefallen, wenn nicht Franklin Myers nach ihm gegriffen hätte. Waren ihre Augen blind geworden? Sie hatte Franklin nicht bemerkt.

Einen Moment starrten sie einander an, dann fragte er: »Marc, geht es dir gut? Und wo ist dein Gepäck? Als ich die leere Kajüte sah, fürchtete ich, du wärst nicht erschienen.«

Ihr Herz schlug immer noch zu schnell und zu laut. »Nein, doch, ich meine, dass mein Leinensack im Mannschaftsdeck ist.«

Franklin zog die Brauen zusammen. »Warum ist dein Gepäck im Mannschaftsdeck?« Er wandte sich zu Seth, der neugierig lauschte. »Geh und bring alles her.«

Das Klatschen der nackten Füße entfernte sich und ließ sie mit Franklin in völliger Stille zurück. Sie musste sich konzentrieren, er durfte ihr nichts anmerken.

Und er schien ihr nichts anzumerken, denn er öffnete die Tür zu einer der Kajüten und wies hinein. »Marc, erfrisch dich erst einmal. Du erweckst den Eindruck, als könntest du einen Augenblick der Ruhe vertragen.«

Sieben mal fünf Fuß, ein Bullauge, zwei Schwingkojen aus rauem Holz, eine zur Rechten, eine zur Linken, der schmale Gang durch Franklins Seekiste zugestellt. Kaum Platz, um sich aneinander vorbeizuschieben, und doch war die Kajüte für Mary in ihrer Prächtigkeit kaum zu übertreffen. Die Angeln der Tür knarrten, als Franklin sie zuschob.

Der winzige Raum schenkte Trost. Ein Gefühl der Geborgenheit, das jedoch trügerisch war, solange Landon noch über Bord strich. Sie sah sich um. Zu ihren Füßen stand das weiße Emaillegeschirr für die Notdurft, auf die Koje linkerhand hatte Franklin nachlässig seinen Mantel geworfen. Eines der silbernen Tabletts, die sie aus der Kombüse kannte, war auf der Seekiste bereitgestellt worden. Dünner schwarzer Tee, von ihr am Morgen selbst gekocht, daneben zwei Tassen und ein Kännchen Milch. Eine Schüssel mit Wasser lud zur Erfrischung ein, säuberlich gefaltet lag für jeden ein Leintuch bereit.

Ihr Puls verlangsamte sich. Sie merkte, dass sie nach Schafdung, Schweiß und Küchendünsten stank. Vorsichtig stellte Mary die Tassen auf die Kiste und warf einen Blick in das polierte Silber des Tabletts. Um das rechte Auge leuchtete ein Veilchen. Wie ein bläulich-violetter Halbmond rahmte es den Augapfel, dessen Weiß von geplatzten Äderchen durchzogen war. Als sie das Tablett niedersinken ließ, wurde die Tür aufgerissen.

Jetzt haben sie mich. Es ist vorbei. Sie werden mich abführen, dachte sie und hörte das Tablett zu Boden fallen. Ohne sich rühren zu können, starrte sie zur Tür hinüber. Das Haar war nicht schwarz, keine Locke tanzte über die Stirn. Der Mann trug keinen Mantel, nur ein Hemd und Kniebundhosen.

»Myers …«, sagte er, wurde ihrer gewahr und brach ab. Sein Blick wanderte an ihr hinab und wieder hinauf. »Wo ist Franklin Myers? Und was macht Ihr in seiner Kajüte?« Die Arme in die Seiten gestemmt, trat er einen Schritt vor. Der Brustkorb, die Arme, das Kreuz, alles an ihm verriet seine Kraft. Ein Riese von einem Mann, der die Kajüte scheinbar komplett ausfüllte.

Mager und knochig kam sie sich neben ihm vor. Sie wölbte den Rücken und schob die Arme vor ihren Leib. »Leider hatte ich noch nicht die Ehre, mit Euch bekannt gemacht zu werden. Mein Name ist Marc Middleton, und ich bin der Zeichner.«

»Oh, sehr erfreut, ich bin Carl Belham. Carl – wir verzichten hier auf die Formalitäten. Aber bitte, wer hat dich denn so zugerichtet?«