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Die Katze kam ihm entgegen. Bennetter ging in die Knie und lockte sie mit einem zirpenden Geräusch. Dann öffnete er die Hand und ließ den Vogel auf die Planken fallen. Kurz schnupperte die Katze, einen Augenblick zitterten ihre Barthaare, dann schlugen die Zähne in das schwarze Gefieder.

Plymouth, 28. Juli 1785

Kein Wind wollte heute die Luft teilen, dick und nach Fisch stinkend machte sie das Atmen schwer. Den Geruch werde ich heute in der Kleidung mit nach Hause nehmen, dachte Landon und rieb sich über die Augen. Müde blickte er hinüber zu seinem Schiff, dessen Ladung endlich gelöscht wurde. Vier Stunden hatte er im Hafen verbracht, um Schwierigkeiten zu lösen, die es wegen der Frachtbriefe gegeben hatte. Vier Stunden nichts als Gestank, Gezänk und Lärm.

An seinen Schreibtisch sehnte er sich zurück, in die Ruhe seines Arbeitszimmers. Er beschloss, ins Kontor zu fahren, und dort erst eine Tasse des Bing-Tees zu genießen, den er sich aus China hatte mitbringen lassen. Für einen Moment glaubte er, den Duft des Tees zu riechen, sah die Tasse neben den Korrespondenzen auf seinem Schreibtisch stehen und spürte die Schreibfeder in seiner Hand über das Papier gleiten.

Er hielt inne.

Ein Stimmengewirr schwoll an.

Menschen eilten an das letzte Ende der Kaimauer, ein Mann winkte mit den Armen und zeigte immer wieder hinaus aufs Wasser. Was kümmert es mich, fragte er sich, als eine Frau mit gerafften Röcken schreiend an ihm vorbeilief und in die nächstbeste Gasse verschwand. Nein, hier ist mehr als ein außergewöhnlich großer Fisch ins Netz gegangen, hier ist mehr als ein von Treibholz gerissenes Fischernetz zu beklagen. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Wie von Fäden gezogen, drehte er sich um und verfiel mit den anderen in einen Laufschritt, den Rufern entgegen.

»Seht, dort hinten, da treibt sie«, hörte er den Mann, der ohne Unterlass mit den Armen umherwinkte, rufen.

Landon blieb stehen und schirmte seine Augen gegen das Licht ab. Ein weißer Fleck, der auf den Wellen tanzte. Ein rund gewölbter Rücken, der aus dem Wasser ragte.

»Wer ist es?«, vernahm er eine andere Stimme.

»Man weiß es noch nicht, aber es ist wohl eine Frau.«

Ein kleines Boot mit zwei Männern war auf dem Weg zur dahintreibenden Leiche. Der eine erhob sich, nahm sein Paddel und stupste gegen den weißen Rücken. Nichts geschah. Langsam drehten die beiden Männer das Boot bei. Der erste legte sein Paddel beiseite, ging in die Knie und warf ein Netz aus. Mit dem Paddel schob er den Körper hinein, einer der Arme schwappte dabei in die Höhe, und für einen kurzen Moment tauchte der Hinterkopf mit dunklem Haar auf.

Eine Frau mit dunklem Haar treibt im Hafen von Plymouth. Landon verspürte das Bedürfnis, sich anzulehnen, sich irgendwo festzuhalten, wenn es sein musste, sich zu setzen, hier, auf das dreckverschmierte Straßenpflaster. Doch er blieb stehen, leicht schwankend, und sah zu, wie das Boot näherkam, seine grausige Beute im Netz hinter sich herziehend. Kurz durchzuckte Landon der Gedanke, wie quälend langsam Boote sich zuweilen fortbewegten, die Minuten schienen sich zu dehnen.

Als das Boot die Kaimauer erreichte, griffen mehrere Männerhände in die Tiefe und zogen das Netz in die Höhe. Der Kopf der Frau war nach vorne gebeugt, wirr verdeckte das lange, nasse Haar das Gesicht. Wächserne Haut schimmerte zwischen den Strähnen hindurch; einstmals weiß, war sie vom Wasser aufgedunsen und gräulich verfärbt. Wasser troff aus dem Rock und der Bluse, beides einfache wie auch zweckmäßige Kleidung.

Zwei Frauen unter den Schaulustigen sanken bei dem Anblick der Leiche zusammen. Ein älterer Mann drehte sich beiseite und traf, als er sich erbrach, die Holzpantine seines Nachbarn. Doch niemand reagierte.

Angewidert schloss Landon die Augen. Ich kann nicht hinsehen, ich kann nicht hinsehen, hämmerte es in seinem Kopf. Was ist, wenn sie es ist?

»Sie ist es nicht.«

Landon riss die Augen auf und schaute William Middleton geradewegs ins Gesicht. Danke für diese wunderbare Nachricht, alter Mann. Aber darf ich mich über den Tod eines anderen Menschen derart freuen, fragte er sich und genoss das warme Gefühl der Erleichterung, das sich in ihm ausbreitete.

»Wie ein Lauffeuer ist es durch die Gassen gegangen. Ich war in der Nähe und bin sofort hergeeilt. Nichts lag mir ferner, als Euch zu erschrecken, aber ich sah …«

»Es ist alles gut, selten habe ich mich so gefreut, eine vertraute Stimme zu vernehmen.«

Gemeinsam versuchten sie, einen Blick auf die Frau zu erhaschen, die nun auf dem Straßenpflaster lag und, umringt von Menschen, kaum auszumachen war.

»Wir werden noch erfahren, wer sie ist. Aber nun muss ich nach Hause«, sagte Landon und fühlte sich matt. »Entschuldigt den eiligen Aufbruch, aber es wartet noch Arbeit auf mich.«

Gemeinsam schritten sie aus, den Menschen entgegen, die zur Unglücksstelle liefen, um sich das Ereignis nicht entgehen zu lassen.

»Und ich habe geahnt, dass sie es nicht ist. Sie ist auf der Sailing Queen, da bin ich mir sicher«, sagte William Middleton unvermittelt und blickte auf das Meer hinaus, das als tiefgraue und mattschimmernde Scheibe vor ihnen lag.

Landon seufzte. Vielleicht war es der Altersstarrsinn, der ihn so sicher machte. Er blieb stehen und wandte sich William Middleton zu. »Ich wünschte, ich könnte Euren Optimismus teilen. Der Bootsmann Bennetter hat mir unmissverständlich klargemacht, dass keine Frau an der Reise teilnehmen würde.« Willst du es nicht verstehen?, fügte er in Gedanken an und wagte es nicht, die Frage auszusprechen.

Die knochigen Schultern zogen sich in die Höhe, als würde der alte Mann frösteln. »Es ist ein Gefühl, mehr nicht.«

Wie sehr wünschte ich mir, dass du ein besseres Argument als dein Gefühl vorbringen kannst. Mit aller Inbrunst nähren wir das letzte Fünkchen Hoffnung, halten es uns mühselig am Leben, weil wir die Wahrheit nicht sehen wollen.

»Es gab damals Gerüchte, dass Sir Joseph Banks sich eine seiner Gespielinnen nach Afrika bestellt hat. Afrika, ja, ich glaube, es war Afrika. Dort wollte er sich mit ihr treffen. Ihr erinnert Euch?«

Landon schüttelte den Kopf. »Nein, daran erinnere ich mich nicht.«

»Vielleicht war es auch ein anderer Forscher, doch darum geht es nicht. Ich will damit nur andeuten, dass es noch andere Möglichkeiten gibt. Vielleicht ist sie ja wirklich nicht an Bord, aber es könnte sein, dass sie Kontakt zu einem der Wissenschaftler hat, die diese Reise begleiten.« William Middleton nickte heftig mit dem Kopf, als wollte er vor sich sein eigenes Wort bestätigen. »Ja! Ja, das ist es – sie reist ihm hinterher und geht später an Bord.«

Er versteigt sich immer mehr in seine Theorien und bemerkt es nicht. Ich muss behutsam vorgehen. »Gehen wir davon aus, dass es so wäre – wir können mitnichten der Expedition hinterherreisen.« Aus den Augenwinkeln beobachtete Landon den alten Mann, der nun zügiger ausschritt.

»Nein, das nicht, aber ich bin mir wirklich sicher, dass ihr Verschwinden mit der Sailing Queen verbunden ist. Sie lebt! Sie wird uns nicht irgendwann im Hafen treibend begegnen.« Seine Stimme hatte einen trotzigen Unterton angenommen.