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»Ich habe das Gelage frühzeitig verlassen.« Er nahm einen Schluck des Madeira-Weines, den der Kapitän zu ihrer Unterredung geöffnet hatte, und sah sich um. Die Kapitänskajüte war geräumig, aber nicht mit den Palästen anderer Kapitäne vergleichbar, von denen man sich berichtete. Zweckmäßig war sie und sachlich, keine Spielereien, kein üppiger Aufwand.

Der Kapitän erhob die Hand und winkte ab. »Ihr wisst sehr wohl, was ich meine. Darum geht es auch nicht. Wir müssen die Schiffsjungen für eine Nacht aus dem Mannschafts- und Ladedeck fernhalten.«

Carl nickte. Der Gedanke war naheliegend. Er hatte einfach recht daran getan, sich für diesen Mann, auch wenn er kein Kapitän war, einzusetzen. Taylor bedachte alles: den Notstand seiner Männer, den es zu lindern galt, und selbst dabei übersah er nicht die Kinder, die vor der anstehenden Orgie geschützt werden mussten.

»Ich bin das Alter der Midshipmen durchgegangen. Bei ihnen sehe ich keine Handhabe. Sie sind alt genug, für sich zu entscheiden, wie sie die Nacht verbringen möchten.«

»Was plant Ihr? Wo sollen die Kinder die Nacht verbringen?«

»Das Schiff ist beengt, kleiner als viele Linien- oder Handelsschiffe. Deshalb würde ich dafür plädieren, die Jungen für eine Nacht in der Offiziersmesse unterzubringen.«

Das war eine ungewöhnliche Entscheidung. Sicherlich würde sie für Unmut unter den Offizieren sorgen.

»Man könnte in Erwägung ziehen, die Kinder für eine Nacht im Ladedeck unterzubringen. Aber wer gibt uns die Sicherheit, dass sich nicht auch liebestolle Paare ein ruhigeres Plätzchen suchen und sich genau dorthin zurückziehen werden?« Taylor seufzte und rieb sich die Stirn. »Ich hasse das. Viele der Männer holen sich die widerwärtigsten Erkrankungen, sie wissen darum und lassen es doch nicht sein.«

»Wir können eine Untersuchung anordnen, wenige Tage nach der Abfahrt.«

»Das wird nicht vonnöten sein. Sie werden ohnehin irgendwann mit ihren Beschwerden bei Doc Havenport auftauchen.« Müde sah Taylor auf. »Es gab auch schon eine Fahrt, bei der hat sich keiner der Männer infiziert. Vielleicht nützt es, wenn wir Stoßgebete gen Himmel senden.«

Für einen Moment schwiegen sie. Der Kapitän schwenkte sein Glas und sah dem auf- und abgleitenden Weinspiegel zu. »Aber nicht nur, dass die Männer ihr Geld vergeuden«, fuhr er fort, »um sich an billigen Hafenhuren zu erfreuen. Auch für uns bedeutet das einen immensen Aufwand: Am Tag darauf müssen die Decks gründlichst gesäubert und geschwefelt, die Hängematten gewaschen werden. Und das Schiff muss bis in den letzten Winkel durchsucht werden, dass sich nicht noch vorwitzige Weiber irgendwo versteckt halten, um sich auf der Weiterreise eine goldene Nase zu verdienen.«

»Gut«, Carl leerte sein Glas, »dann lasst uns zur Tat schreiten. Ihr werdet das Eurige veranlassen, und ich werde, wenn es Eure Zustimmung findet, meinen Gehilfen bitten, die Nacht mit den Kindern an Deck zu verbringen. Wir können die Kinder nicht unbeaufsichtigt lassen.«

***

Seth sah sich um und schob sich noch tiefer unter das Beiboot. Wenn nur einer der Seesoldaten, die ringsum an der Reling postiert waren, genauer hinsah, würde man Nat und ihn sofort entdecken. Doch die Aufmerksamkeit der Männer galt den Booten voll kreischender und winkender Weiber, die die Sailing Queen umkreisten.

Einträchtig hing die Mannschaft an der Reling und musterte die Frauen, die von den Fährmännern im Hafen ausgewählt worden waren.

Edison zeigte in die Tiefe und warf einem der Fährmänner einen Beutel mit Münzen zu.

Kurz darauf betrat das erste Weib das Deck. Hübsch sah sie aus, stellte Seth erstaunt fest, nicht halb so verlottert wie manche der Huren, die er in Plymouths Hafen gesehen hatte. Ihr dunkles Haar war lockig, die Haut hellbraun und glatt. Sie beugte sich vor und küsste Edison, wobei sie ihre Zunge in seinen Mund schob.

Seth schluckte.

Grob ließ Edison seine Hand auf das runde Hinterteil fallen, und das Weib lachte schrill auf. Ihr Kleid hat Schmutzflecke und ist am unteren Saum schon recht verschlissen. So schön ist sie doch nicht, dachte Seth und bemerkte den Seesoldaten Lukas, der das Weib umkreiste.

»Siehst du«, flüsterte Nat, »er kontrolliert sie, aber er darf sie nicht anfassen.«

»Warum kontrolliert er sie?«

»Die Frauen dürfen keinen Alkohol an Bord bringen, doch oft verstecken sie ihn unter ihren Röcken. Die Seesoldaten sollen den Schmuggel verbieten. Sie dürfen die Frauen aber nicht anfassen, um nachzuschauen.«

»Woher weißt du das alles?«

Die Antwort war ein Grinsen. Nicht mehr. Einen Moment überlegte Seth, ob er beleidigt sein sollte, dass sein Bruder so viele Dinge vor ihm geheimhielt. Doch dafür blieb jetzt keine Zeit. Neugierig ließ er seinen Blick am Rock der Frau hinabgleiten, konnte aber keine Ausbuchtungen oder Auffälligkeiten entdecken.

Dunkelhaarige und blonde Weiber jeder Hautfarbe folgten. Viele von ihnen waren geschminkt, viel zu dick hatten sie die rote Farbe auf Wangen und Lippen geschmiert. Die Brüste trugen sie hochgeschnürt, und wenn sie mit den Männern zum Niedergang verschwanden, wackelten sie mit dem Hinterteil, als wäre es ein in Seenot geratenes Schiff, das über die Wellen schlingerte. Der Gedanke ließ Seth kichern, und sofort erntete er eine Kopfnuss von Nat. Die Hand vor den Mund gepresst, unterdrückte er das Kichern, das in seinem Bauch kribbelte. Wie albern sie sich alle benahmen, die gierigen Männer und die dick bemalten Frauen. So würde er nie werden, schwor er sich und spürte, dass das Kribbeln inzwischen seinen Hals erreicht hatte. Erleichtert lachte er auf, als die Glocke zur Nachtruhe rief, schob sich unter dem Beiboot hervor und lief dem Achterdeck entgegen.

***

Drei Jungen hatte Kapitän Taylor ausgewählt. Drei Jungen hatte er für zu jung befunden, um die Nacht unter Deck zu verbringen. Dan, Nat und Seth. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, standen sie vor Mary und starrten sie erwartungsvoll an. Was machte man jetzt mit drei Jungen? Sagte man ihnen einfach, dass sie sich hinlegen und still sein sollten? Mary griff nach den wollenen Decken. »Wir müssen auf dem Boden schlafen. Wenn irgendwer von euch heute Nacht Wachdienst hat, muss er trotzdem antreten.«

Die Jungen nickten, breiteten die Decken auf dem Boden aus, setzten sich darauf und beobachteten, wie Mary die Lampe löschte.

Angestrengt lauschte sie ins Dunkel und hörte, dass die Jungen sich ausstreckten. Erleichtert atmete sie ein. Dass Carl sie nach dem Abendessen beiseitegenommen und ihr die Aufgabe übertragen hatte, die Kinder zu beaufsichtigen, erschien ihr immer noch widersinnig. Nichts hatte sie in ihrem Leben bisher mit Kindern zu schaffen gehabt, und ausgerechnet ihr fiel diese Aufgabe zu.

Wo Carl wohl steckte? Sie warf sich auf die Seite. Immer wieder drang aus dem Mannschaftsdeck Gelächter herüber. Gelegentlich wurden Lieder geschmettert, und dem Gesang nach zu urteilen, waren Männer wie Frauen erheblich angetrunken. Sie schloss die Augen und sah erneut die Bilder des frühen Abends vor sich. Niemand hatte ihr mitgeteilt, dass Frauen, dass Dirnen an Bord kommen würden. Es waren nicht die ersten Dirnen gewesen, die ihr in ihrem Leben begegnet waren. Eine hatte, als sie an ihr vorbeiflanierte, die Lippen gespitzt und ihr sanft das Kinn gekitzelt. Abgestoßen hatte sie die Berührung. Und abstoßend war die Anwesenheit dieser Frauen an Bord.

Was ärgert dich so daran, schalt sie sich in Gedanken.

Die Krankheiten, die eingeschleppt werden, entgegnete eine zweite Stimme.

Die erste Stimme lachte hell auf und erwiderte nichts darauf.

»Nat?«, flüsterte Seth in die Stille.

»Ja?«

»Wo ist Vater?«

Mary schluckte. Die Kinder. Ihr stieg das Blut in den Kopf.

In der Ferne erklang ein Stöhnen, gedämpft, aber immer noch deutlich in seinem Rhythmus herauszuhören, Fleisch klatschte auf Fleisch, eine Frau schrie verzückt.