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Nat schwieg.

Erst als die Frau verstummte, das Stöhnen verebbte und das Aufeinanderklatschen des nackten Fleisches endete, flüsterte er leise zurück: »Vater hat die erste Wache.«

»Bist du dir sicher?«

»Ja, so etwas würde er nie tun. Mach dir keine Sorgen.«

»Nat, darf ich zu dir rüberrutschen?«

»Los, komm her.«

Ein Rascheln, dann wurde es still. Kurz darauf vernahm Mary den gleichmäßigen Atem schlafender Kinder.

Atlantischer Ozean, 10. August 1785

In Ketten zogen sie am Schiff vorbei. Spiralförmig gewundene Ketten, die schillernd unter der Oberfläche des Wassers mit den Bewegungen der Wellen wogten. Bläulich schimmernde Salpen, deren Färbung je nach Lichteinfall bis ins Violette changierte.

Einer der Schiffsjungen, ein blondes Bürschchen mit unzähligen Sommersprossen, stellte den Eimer vor ihm auf die Planken. Carl ging in die Knie, tauchte die Hand ins Wasser und hob eines der daumenlangen Geschöpfe in der gewölbten Handfläche heraus. »Sehen sie nicht aus wie Feen, ganz und gar unwirklich?« Er streckte dem Jungen die Hand entgegen, wobei er spürte, dass sich auch einige der Seeleute näherdrängten und ihm über die Schulter schauten.

Der Junge kniete sich ebenfalls nieder und betrachtete den glasklaren Körper mit seinen feinen Farbreflexen. »Sind das Quallen?«, fragte er und hob den Kopf. Helle, blaue Augen, die ihn aufmerksam anschauten.

»Nein, das sind Salpen. Sie haben hufeisenförmige Muskelbänder. Hier außen. Kannst du sie sehen?«

Das kinnlange Haar wippte beim Nicken.

»Manchmal sind diese Bänder auch ringförmig. Die Salpen ziehen sie zusammen, und durch diese rhythmische Bewegung schwimmen sie. Mal formieren sie sich als Kette, mal als großer, leuchtender Teppich, der sich über die Wellen legt.«

»Wie lang war die Kette, die wir eben gesehen haben?«

»Ich schätze, hundertdreißig Fuß.«

»Das sah aus wie eine Haarlocke«, sagte der Junge bedächtig.

Carl ließ die Salpe in den Eimer zurückgleiten. »Wie heißt du?«

Erschrocken schaute der Junge ihn an, blickte dann in die Runde der umstehenden Männer.

»Du darfst mir deinen Namen verraten.« Carl lächelte, als er sich aufrichtete.

Immer noch hockte der Junge auf dem Boden. Der aufmerksame Blick war verschwunden, vielmehr sah er aus, als sei er gerade aus einer weit zurückliegenden Erinnerung wieder an Bord angelangt.

»Seth. Aber verzeiht, ich muss wieder arbeiten«, flüsterte er, sprang auf und wollte sich durch die Männer hindurchdrängen.

Carl packte ihn am Kragen und zog ihn zurück. »Ja, ja, aber bevor du deiner Arbeit nachgehst, bringst du noch den Eimer in die Offiziersmesse. Dort sitzt unser Zeichner, Mr. Middleton. Er soll auch hiervon einige Exemplare auf Papier festhalten. Sagst du ihm das?«

»Jawohl, Sir.«

Der Junge streckte sich, winkelte die Arme an und führte seine Handflächen zu den Schläfen, dass Carl fast aufgelacht hätte. Er hatte diese Haltung bei den exerzierenden Seesoldaten gesehen. An diesem schmächtigen Körper wirkte sie grotesk, fast anrührend. Seth, Kleiner. Du bist ein erfrischendes und helles Bürschchen. Lass das Ballett, das brauchen wir nicht. »Und jetzt troll dich!«

Der Junge ergriff den Eimer und verschwand.

Die Männer wandten sich ab. Die meisten traten erneut an die Reling, um das dahingleitende Lichtspiel zu beobachten.

Auch Carl schaute noch einmal aufs Wasser hinaus. Der Atlantik, Kurs Südsüdwest. Er atmete zufrieden durch, drehte sich um und prallte fast mit Kapitän Taylor zusammen.

Er hat so klare Züge. Doch irgendetwas ist immer abwartend und distanziert in seinem Blick, bemerkte Carl. Wie ist es wohl, ihn in ausgelassener Heiterkeit zu erleben? Wahrscheinlich würde er das als Blöße empfinden, als Übertreibung.

Taylor grüßte ihn und zeigte auf den Astronomen Rafael Peacock, der neben ihnen stand.

Bitte nicht, flehte Carl innerlich. Jetzt wird es wieder um den Nautischen Almanach gehen, die Bestimmung des Standortes unseres Schiffes auf See. So wie gestern Abend beim Essen und vorgestern und den Abend zuvor.

»Sir, wir haben Euch gesucht. Wir hätten da eine Bitte.«

Carl fiel auf, dass Peacock an seinem Mantel herumzupfte. Irgendetwas suchte dieser Mann immer. Messgeräte, Bücher, Taschentücher. Mehrfach hatte er das Bedürfnis verspürt, ihn an die Hand zu nehmen, um ihm die Welt zu erklären. Sicher, er war eine Koryphäe auf seinem Gebiet, aber wenn Peacock eine Bitte äußern wollte, dabei an seinem Mantel herumzupfte und den Kapitän zur Begleitung auffuhr, konnte das nichts Gutes bedeuten.

»Wie ich ja bereits erläuterte, müssen wir die Distanzen vom Zentrum des Mondes bis zur Sonne und zu neun ausgewählten hellen Sternen bestimmen. Diese Positionen sind im Almanach im Abstand von drei Stunden angegeben, samt Anweisungen, wie man die Brechung durch die Erdatmosphäre und die Parallaxe in die Berechnung mit einbezieht.«

Komm auf den Punkt. Carl schaute Taylor an, der, die Hände auf dem Rücken verschränkt, regungslos neben Peacock verharrte.

»Wir benötigen für die Vermessung vier Beobachter, und einer der Männer ist ausgefallen. Er ist erkrankt.«

»Ja, ich hörte davon. Genauer gesagt, war es ein bisschen viel Rum, und er ist in der Nacht gestürzt«, sagte Carl und bemühte sich um einen scherzenden Ton.

Peacock machte ein Gesicht, als hätte man ihn dabei ertappt, den Rum selbst getrunken zu haben.

»Also gut, was kann ich für Euch tun?«

»Ich, also wir wollten uns erkundigen, ob es möglich wäre, dass wir Euren Zeichner, Mr. Middleton, kurzfristig zur Arbeit heranziehen?«

Carl zog die Augenbrauen in die Höhe und hob den Kopf. Jetzt überragte er Peacock um eine Fußlänge. Hastig fuhr dessen Hand in die Manteltasche und zappelte in ihr herum.

»Oh, Mr. Peacock, ich würde Euch gern aushelfen, aber Mr. Middleton ist ein mir bisher unbekannter Zeichner, den wir erst im letzten Moment für die Reise gewinnen konnten. Wir müssen ihn jetzt einarbeiten und können ihn keineswegs entbehren.«

Peacock nickte heftig. »Ja, Sir, vielen Dank, Sir. Trotzdem. Das hatte ich befürchtet, aber …«

Kapitän Taylor hob die Hand, legte sie dem Astronomen auf die Schulter und schob ihn weiter. »Mr. Peacock, wir werden eine Lösung finden. Seid gewiss.«

Carl sah den beiden hinterher. Erst steckte der Bootsmann seinen Gehilfen in das Mannschaftsdeck. Den hatte er ordentlich  zurechtgestutzt, aber nun kam auch Peacock an und wollte den Kerl abziehen. Was hatten die alle mit diesem Marc Middleton?

***

Mary setzte den Pinsel auf das Papier und trug die gelbe Gouache in der Skizze des Blütenkopfes flächig auf. Sie lehnte sich zurück und verglich die Proportionen der Zeichnung mit der vor ihr liegenden Pflanze. Das Ergebnis war stimmig. Diese Arbeit konnte sie Carl präsentieren. Sie stellte den Pinsel ins Wasser, beugte sich über das Veilchen und bog die Blütenblätter auseinander. Es zu pressen würde mit der hölzernen Presse einfach werden. Hier waren keine Schwierigkeiten vorauszusehen, die Wahrscheinlichkeit, dass sich Schimmel bilden würde, war gering.

Die Tür wurde geöffnet, und Seth schob sich, vor seinen Beinen einen Eimer balancierend, in die Messe. Seine Augen weiteten sich, als das Schiff ruckartig ins Krängen kam.

Mary griff nach der Tischkante und sah aus dem Fenster. Sie hatten an Fahrt gewonnen, und Madeiras Umriss war auf Apfelgröße zusammengeschrumpft. Durch die heftige Bewegung des Schiffes schien die Insel in die Höhe zu schießen. Für einen Moment verschwand sie aus ihrem Blickfeld, und nur tiefes Blau war zu sehen. Wasser klatschte auf den Boden, und Mary hörte den Jungen fluchen. Ein kratzendes Geräusch ließ sie auf den Tisch zurückblicken. Die Farbtiegel rutschten und kamen knapp vor der Kante zum Stehen. Das Schiff hob sich wieder in seine ursprüngliche Position, und die Tiegel schlitterten erneut – dieses Mal in entgegengesetzter Richtung – davon. Himmel, wenn mir gleich am ersten Arbeitstag die Farben zu Boden gestürzt wären, welch Einstand wäre das geworden. Sie griff nach den Tiegeln und zog sie wieder neben sich.