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»Du hast es geschafft«, sagte Toni plötzlich. Er hatte sich vorgebeugt und lächelte, seine Zahnlücke sah so noch größer aus.

Seth wischte seine Nase an Tonis Hosenbein ab und ließ den Kopf auf die Planken sinken. Er spürte, dass die Bierwürze an seinen Ohren kitzelte.

Sir Belham half Toni, sich zu erheben. Er war ein Gentleman, alles an ihm war vornehm und schön, ob es die feinen Schuhe, die weißen Strümpfe oder der Kragen seines weichen Hemdes waren. Doch jetzt war alles verklebt und verdreckt.

»Wie geht es dir?«

Seth wendete den Kopf und sah Franklin Myers vor sich. Mehrfach hatte er ihn beobachtet, und er mochte ihn. Obwohl er der Gehilfe von Sir Belham und damit ein wichtiger Mann war, lachte er viel und war überhaupt nicht eingebildet. Außerdem standen seine Haare lustig in der Luft herum. »Müde«, flüsterte er, und seine Stimme kratzte vom Schreien.

Mr. Myers hob ihn hoch. »Ich bringe dich jetzt in die Kajüte von Doc Havenport, damit wir dich noch einmal in Ruhe untersuchen.«

Der Schiffsarzt hatte einen Tisch in der Mitte seiner Kajüte stehen. Darauf saß einer der Seesoldaten. Mit schmerzverzerrtem Gesicht ließ er die Behandlung über sich ergehen. Seth musterte Doc Havenport, oft hatte er ihn noch nicht gesehen. Selten entdeckte man ihn an Deck, und auch in der Offiziersmesse schien er selten die GesellschaftderGentlemenzusuchen. LetzthinhatteSmutjeHenry erzählt, dass sich Doc Havenport das Essen gern in seiner Kajüte servieren ließ. Er hatte sich daran erfreut, dass der Schiffsarzt seine Kajüte reinlich hielt, dass alles stets geordnet und aufgeräumt war. Neugierig sah Seth sich um. Der Smutje hatte recht. An den Wänden waren kleine Borde angebracht. Sie waren mit Tiegeln, Gläsern, Büchern und allerlei Gerätschaften gefüllt, die Seth nicht kannte. Eine schmale Leiste vor jedem Bord verhinderte, dass die Sachen bei Seegang auf den Boden fielen und zu Bruch gingen.

Plötzlich brüllte der Seesoldat auf und schlug Doc Havenport derart vor die Brust, dass dieser zurücktaumelte. Mr. Myers, der Bartholomäus’ Wunde auswusch, sprang auf und eilte ihm zu Hilfe. Als er neben den Doc trat, fiel Seth auf, dass der junge Gentleman zögerte. »Ihr arbeitet mit Haarseilen?«

Der Seesoldat hatte sich vom Schiffsarzt abgewandt und beantwortete die Frage. »Ja, das macht er. Er hat mir diese verlumpten Teile durch das schiere Fleisch gezogen.«

Doc Havenport nickte. »Natürlich, das muss ich, um die Wunde zu reinigen. Wenn Ihr nicht stillhaltet, kann ich nichts für Euch tun.«

Franklins Augenbraue sprang in die Höhe. »Wollen wir die Wunde nicht mit einem Tuch und Wasser reinigen, um sie dann vielleicht einfach zu nähen?« Er nahm sich den Arm des Seesoldaten und musterte die Verletzung.

»Warum sollten wir hier nähen?«, fragte Doc Havenport und bemühte sich nicht, die Wut in seiner Stimme zu unterdrücken.

»Die Wundränder sind nicht sonderlich ausgefranst. Wenn man den Splitter entfernt und die Wunde näht, haben wir die besten Wundheilungsvoraussetzungen.«

Wovon reden die da? Seth fasste nach seinem Bein. Wenn die beiden sich nicht einig sind, will ich lieber nicht untersucht werden.

Doc Havenport öffnete einen der Schränke, holte Verbandszeug heraus und legte es neben dem Seesoldaten auf den Tisch. »Man kann die Wunde ausweiten und mit Scharpie füllen, Verbände und Kompressen anlegen, bis sich – plus bonum et laudabile – der heilsame Saft des Eiters bildet, der für die Auffüllung der Wunde mit Fleisch sorgt.«

Mr. Myers’ Stimme wurde lauter. »Das sind Methoden, die sind …«

Doc Havenport fiel ihm ins Wort. »Junger Mann, das sind traditionelle Methoden, und ich vertraue auf die bewährten Behandlungen.«

In der Kajüte saßen noch vier weitere Patienten, die verarztet werden mussten. Seth sah zur Tür und dann noch einmal auf sein Bein. Meine Wunde ist genäht, dachte er. Ob das gut ist? Wer hat denn nun recht? Wieder wurde ihm übel. Im Sitzen rutschte er langsam zur angelehnten Tür und schob sich hindurch. Sein Bein schmerzte, als er die ersten Schritte machte, aber er war erleichtert, den Streithähnen entkommen zu sein.

***

Die Männer hockten in einer Reihe auf dem Boden und warteten schweigend darauf, behandelt zu werden.

Rafael Peacock reichte einem Seesoldaten, dessen Handgelenk bereits mit Gittertüll verbunden worden war, einen Becher mit Wasser. Dann ging er weiter und spülte den Stofflappen eines Matrosen aus, der sich die aufgesprungene Lippe kühlte.

Marc hatte mit den Behandlungen bereits begonnen. Blechhülsen und Klammern zum Schienen der Brüche, leinene Scharpien und Netze aus Baumwolle zum Bedecken von Wunden lagen in Griffweite. Die Tiegel mit dem Beinwell und der Johanniskrautsalbe waren angebrochen.

Auf der Tischkante saß Toni, der Zimmermann. Er hatte den Oberkörper entblößt, und Carl zog die Augenbrauen in die Höhe. Eine derart ausgeprägte Muskulatur hatte er seit seiner Studienzeit nicht mehr gesehen. Ausgeprägter Musculus deltoideus, pectoralis und trapezius, konstatierte er. Wie jung und schmächtig sein Gehilfe daneben wirkte.

»Wie heißt du?«, hörte er Marc fragen.

»Toni. Toni Sellers.« Luft zischte beim Sprechen durch die Lücke seiner fehlenden Schneidezähne. »Und wer bist du?« Der Zimmermann maß den Gehilfen mit skeptischem Blick.

»Ich bin Marc Middleton, der botanische Zeichner. Doch ich verstehe mich auch ein wenig auf medizinische Behandlungen. Toni, welche Arbeit verrichtest du an Bord?«

»Ich bin Zimmermann.«

»Du brauchst deinen Arm also so schnell wie möglich, um wieder arbeiten zu können.«

Jetzt spiegelte sich die Angst auf Tonis Gesicht. »Das wird doch wieder, oder?«, fragte er.

»Dein Arm ist ausgekugelt, doch das kann man richten.«

»Wird’s wehtun?«

»Sehr sogar. Dann kannst du den Arm aber bald wieder bewegen.«

Toni biss sich auf die Lippen und nickte, als wolle er das Zeichen geben. Einer der Matrosen, der auf dem Boden saß, schloss die Augen und hielt sich die Ohren zu.

Er wird ihm doch nicht den Arm einrenken wollen, dachte Carl und runzelte die Stirn.

»Leg dich bitte auf den Boden.«

Wortlos kam der Zimmermann der Bitte nach.

Behutsam hob Marc den ausgekugelten Arm aufrecht in die Höhe und stellte seinen linken Fuß in die Achselhöhle des Hünen, der stöhnend den Kopf beiseitedrehte.

»Ich fange jetzt an, Toni«, sagte er, zog den Arm mit Spannung in die Länge und führte ihn von rechts dem Körper entgegen. Eine schnelle Bewegung, ein durchdringender Schrei. Der Zimmermann fuhr auf, die linke Faust erhoben, um sie dann ziellos auf die Planken rasen zu lassen.

Marc zuckte zusammen, wich aber nicht zur Seite. Er ließ sich von Peacock einen feuchten Lappen reichen, den er an Toni weiterreichte. Der biss in den nassen Stoff und knurrte vor sich hin.

»Schone den Arm einige Tage. Es ist wichtig, ihn mit nassen Umschlägen zu kühlen. Nimm diesen Lappen mit. Tauche ihn einfach in kaltes Wasser, und wasche ihn nach der Anwendung immer wieder aus. Und die Wunde am Schlüsselbein – lass den Schorf darauf. Kratze ihn nicht herunter, und versuche ihn nicht mit Wasser aufzuweichen. Lass der Heilung ihren Lauf.« Marcs Stimme war sanft, fast betörend. Geschickt legte er den Arm des Zimmermanns in eine Schlinge und fixierte sie am Körper.

Stöhnend erhob Toni sich. Ein deutliches »Danke« erklang.