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Atlantischer Ozean, 13. September 1785

»Du musst den Affen freikaufen.«

Seth schaute auf und schirmte seine Augen mit der Hand ab. »Ich denke, ich muss mich freikaufen.«

»Ja, aber du musst auch den Affen freikaufen.« Dan reckte den Brustkorb. Sicherlich hoffte er, dadurch männlicher auszusehen, was ihm auch gelang. Verärgert drehte Seth den Kopf beiseite und beobachtete die Tropfen, die auf den Planken zerplatzten. Seit sie San Jago verlassen hatten, regnete es unentwegt. »Warum muss ich den Affen freikaufen?«, fragte er.

Dan duckte sich unter eines der geölten Zelttücher, die der Kapitän auf dem Deck hatte aufspannen lassen, um den Regen aufzufangen. Er stieß dabei gegen die Plane, und ein Schwall Wasser klatschte neben Seth auf den Boden. Du Trampel, wollte er rufen, verschwendest unser Trinkwasser, weil ein paar Tröpfchen deinen Leib berühren, doch er schwieg und wartete auf eine Antwort.

»Die Männer erstellen gerade eine Liste, wer bereits den Äquator überquert hat und wer nicht. Die Salztaufe erhält, wer die Linie noch nicht überquert hat. Tiere zählen auch dazu. Und euer blöder Affe wird bisher kaum die Linie überquert haben, also musst du ihn freikaufen.«

Der Affe hockte in der Ecke des Käfigs und schaute Seth an. Niedliche Augen hatte er. Wie schwarze Knöpfe, die auf Hochglanz poliert waren. Er war kleiner als eine Katze, und die Farbe des weichen Felles war, je nachdem, wie das Licht darauf fiel, mal grünlich, dann wieder bräunlich. Seth fühlte sich unbehaglich, wie immer, wenn Dan in seiner Nähe war. Jedes Mal schrie dann in seinem Kopf eine Stimme auf, er solle auf der Hut sein. Und wieder einmal mehr verstand er nicht, was hier ausgeheckt wurde. Aber sobald Dan daran beteiligt war, konnte das nichts Gutes bedeuten. »Bist du schon getauft?«, fragte er und ahnte die Antwort.

»Na, klar!« Dan streckte seine Brust noch weiter vor. Er war in den letzten Wochen wirklich ein gutes Stück gewachsen, zu allem Überfluss hatte der Dreckskerl auch Muskeln angesetzt.

»Was macht man bei der Taufe?«

»Das wirst du dann schon sehen.«

Seth streckte seinen Finger durch das Gitter des Käfigs und strich über das weiche Fell des Affen.

Kaum hatte das Schiff abgelegt, hatte Edison den zappelnden Leinensack geöffnet und seine Beute präsentiert. »Das ist ein grüner Affe«, hatte er übers Deck gebrüllt und das Tier im Nacken packen wollen. Doch der Affe biss ihm in die Hand und sprang kreischend davon. Durch die Beine der Männer, um Seekisten herum, über Hängematten hinweg flüchtete er hinter den Ofen. Dort saß er und rührte sich nicht.

Edison kam auf Seth zu, packte ihn am Hemd und zerrte ihn zum Ofen. Die riesigen Hände lagen schwer auf Seths Schultern und drückten ihn auf die Knie. »Du hast dünne Arme, hol das Vieh vor.«

Unsicher schaute Seth zu Nat hinüber, doch der nickte nur. In dem dunklen Spalt zwischen Ofen und Bordwand ließ sich der Affe nicht erkennen. Ob er beißen würde?

»Hol jetzt das Vieh vor, bevor ich ungeduldig werde. Was glaubst du, wie es klingt, wenn ich dir deine dünnen Ärmchen breche? Ich sag’s dir: wie brechender Reisig.« Der Druck auf seinen Schultern verstärkte sich.

Nat stand auf und verschwand wortlos. Seth schluckte und schob seine Hand ins Dunkel. Der Schatten, der in der Ecke kauerte, wich seinen suchenden Fingern aus und drängte sich noch weiter an die Wand. Die ersten Männer langweilten sich und setzten ihr Würfelspiel fort.

»Sag dem Scheißvieh, dass ich den Ofen anwerfe und es zu einem Stückchen schwarzer Kohle röste, wenn es da bleibt.« Edisons Stimme wurde lauter, der Druck seiner Hände unerträglich. Seths Finger tasteten sich weiter vor und fühlten nichts.

Ein Stück Banane.

Plötzlich stand Nat neben ihnen, ein Stück Banane in der Hand.

»Verdammter Rotzlöffel«, grölte Edison, »leckst du dem Smutje den Schwanz, oder warum gibt er dir von seinen kostbaren Früchten?«

Das ist kein Schwanzlutscher, dachte Seth, das ist mein Bruder Nat. Ihm fällt immer etwas ein.

»Dann kannst du ja auch mal bei mir vorbeischauen.« Edison grinste schmierig, langte nach der Banane und drückte sie Seth in die Hand.

Die Banane verschwand im Dunkel. Der Schatten huschte ein Stück vor, und Seth griff in das Fell. Weich war es. Der Affe zappelte und schrie, schrill und laut wie ein Baby. Grimmig zog Seth das Bündel hervor.

Edison versuchte, nach dem Tier zu greifen, und erneut gruben sich die weißen Zähne in seine Finger. Ohne zu zögern, holte Edison aus. Ein Tritt traf den kleinen Körper mit solcher Wucht, dass er Seth aus der Hand glitt und über die Planken raste. Mit einem dumpfen Knall prallte der Affe an eine Seekiste und blieb liegen.

Die Würfelspieler sahen Edisons blutenden Finger, den vor Wut geröteten Kopf und lachten. Sie sahen, wie der Matrose dem Affen hinterherstapfte und wie sich Nat ihm in den Weg stellte. »Lass den Affen in Ruhe«, hatte er gesagt und dabei die Arme in die Seite gestemmt. Zwei Köpfe kleiner hatte er vor Edison gestanden und ihn direkt angesehen.

Nein, Nat, hatte es in Seth aufgeschrien, es ist nur ein Affe, ein kleiner, verlauster Affe. Mach das nicht.

Doch Nat war an diesem Abend Besitzer eines grünen Affen geworden, der Augen wie Knöpfe hatte und ein Fell, das so weich war, dass Seth die Worte fehlten, es zu beschreiben.

»Ey.« Ein Fuß traf Seth in den Oberschenkel, just an der Stelle, die bei der Explosion der Fässer verletzt worden war. Auch wenn Mr. Myers die Fäden längst gezogen hatte, war die Narbe empfindlich. Er schluckte.

»Ey. Ich rede mit dir.« Noch ein Tritt.

Seth schaute auf. Dan. Für einen Moment hatte er ihn vergessen. »Wie kann man sich denn freikaufen?«, fragte er und bröselte trockenes Brot durch die Stäbe des Käfigs.

»Tja, dein Bruder und du, ihr seid doch so neunmalklug. Dann macht euch schlau, sonst geht der Affe baden«, sagte Dan spöttisch. Kurz schob er seine Hand unter dem Zelttuch hervor. Es hatte aufgehört zu regnen. Wortlos ging er zu Edison hinüber, der gerade seine Wachschicht antrat.

Henry hatte sie vorgewarnt. Einen Hühnerkäfig hatte er ihnen überlassen und Essensreste, unter der Bedingung, dass sie das Tier beim nächsten Landgang wieder in die Freiheit entließen. »Er gehört nicht auf ein Schiff«, hatte er gesagt und dabei streng geklungen. »Ich habe es schon zu oft erlebt: Alle möglichen Tiere werden zum Zeitvertreib mit an Bord gebracht und krepieren dann vor Hunger, weil sich niemand mehr um sie kümmert. Wenn’s gut läuft. Wenn’s schlecht läuft, werden sie von irgendwelchen betrunkenen Hohlköpfen zu Brei geschlagen.«

Seth öffnete die Tür des Käfigs und strich dem Affen übers Fell. Flink kletterte das Tier heraus und setzte sich auf seine Beine. Nat und ich werden uns um dich kümmern, schwor Seth sich, während er den kleinen Rücken kraulte, wir sind für dich da. Mach dir keine Sorgen. Aber ich muss mich mit Nat beraten. Dieses Lächeln, dieses tückische Leuchten in Dans Augen bedeutet Gefahr.

Atlantischer Ozean, 14. September 1785

Waffendrill war ausgerufen worden. Die Offiziere und Seesoldaten exerzierten auf Deck. Carl ließ das Papier sinken und beobachtete das Procedere. Wie die Männer ihre Arme mal auf die eine Schulter legten, mal auf die andere – sie sahen fast aus wie das Londoner Trane-Orchester. Albern und unprofessionell. Er schmunzelte.

Der Kapitän hatte durchgegriffen, um den einreißenden Müßiggang zu unterbinden. Erneut hatte er das Schiff komplett reinigen lassen, selbst die jungen Offiziere hatten im Zwischendeck mit anpacken müssen. Danach hatte Geschützdrill an den Kanonen und Drehbassen auf dem Programm gestanden, und nun mussten die Seesoldaten ihr Waffentraining absolvieren.